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Ein Pro-Euro-Demonstrant am Dienstagnachmittag vor dem Parlament in Athen.

Foto: REUTERS/Marko Djurica

Alles passt für den nächsten großen Akt im Schuldendrama dieses Landes: die schweren grauen Regenwolken im Abendhimmel; die Kameras der internationalen Sender mit ihren Scheinwerfern auf den Balkonen des Athens Plaza, die blau-weißen griechischen Fahnen in der Menschenmenge, die der Gewittersturm wild flattern lässt; und natürlich die trillerpfeifenden Demonstranten vor den Mauern des Parlaments, manche in Europafahnen gehüllt. "Rücktritt" skandieren sie und "Nieder mit Zoes Diktatur!". Nicht nur der griechische Premier Alexis Tsipras soll jetzt weg, auch Zoe Konstantopoulou, die rabiate linke Parlamentspräsidentin.

Zehntausende Menschen sind am frühen Dienstagabend auf dem Syntagma-Platz in Athen, und aus den Nebenstraßen strömen immer weiter neue Leute: ältere, gut gekleidete Ehepaare, Business-Frauen, Männer mit gepflegtem Dreitagebart und Bürotasche. Es ist wohl die größte Pro-Europa-Demonstration seit Griechenlands Beitritt zur Eurozone vor 14 Jahren. Der gehobene Mittelstand rebelliert.

"Wir wollen unsere Position in Europa nicht verspielen", sagt ein Unternehmer mit britischem Akzent. "Ich will eine Regierung, die Reformen durchführt, nicht so etwas hier", sagt der Mann, der weder seinen Namen noch seine Branche nennen will. Griechenland steuert auf ein Referendum zu, dessen Sinn kaum jemand im Land versteht. "Nein beim Referendum heißt "Hinaus aus Europa", aber was kommt dann?", sagt Alexis, ein Anwalt, der mit seinen Kolleginnen gekommen ist. "Das erklären sie uns nicht."

Ein Nein sei ja wohl keine ernsthafte Option, sagt ein anderer junger Mann. "Die Leute verstehen das nicht, weil man ihnen nie die Wahrheit gesagt hat. Wenn wir Nein sagen", erklärt Nikos, "dann verlieren wir den Euro, und dann sind wir ärmer als wir jetzt schon sind". Nicht er persönlich, sagt Nikos entschuldigend. Er arbeitet bei der Botschaft eines EU-Landes in Athen.

1,6 Milliarden gespritzt

Wieder geht ein konfuser Tag in Griechenland zu Ende. 16 Milliarden Euro an Kredithilfe hat das Land am Dienstag verloren und zugleich 1,6 Milliarden Euro an Schulden an den Internationalen Währungsfonds nicht zurückgezahlt. Nur wenige Stunden vor Ende der Zahlungsfrist an den IWF und eines Kreditangebots der Gläubiger bittet die Links-Rechts-Regierung von Alexis Tsipras in einem Brief an die Eurogruppe plötzlich um mehr Zeit und mehr Geld. Eine "lebensfähige Lösung in der Eurozone" will die Regierung, doch sie bietet nichts Neues an. Auch das Referendum bleibt, so bekräftigt Staatsminister Nikos Pappas, ein enger Freund Tsipras', im Parlament.

Probleme bei Pensionen

Seit Montag gelten die Kapitalkontrollen, weil die Europäische Zentralbank Griechenland nicht länger alimentieren will. 60 Euro am Tag können die Griechen nun nur noch am Tag am Geldautomaten beheben. Bei den Pensionen hat die Regierung schon kämpfen müssen. Nur 120 Euro sollen die Pensionisten am heutigen Mittwoch bei ausgewählten Banken erst einmal erhalten.

Innerhalb von Stunden habe sich am Montag bereits die Stimmung gedreht, sagt ein politischer Stratege der konservativen früheren Regierungspartei Nea Dimokratia (ND). Seit Einführung der Kapitalkontrollen sind keine Umfragen veröffentlicht worden, doch Zahlen erhalten die Parteien sehr wohl von einem Meinungsforschungsinstitut. "Wir haben das Momentum", sagt der ND-Funktionär. Von 22 auf neun Prozentpunkte sei der Abstand zwischen Gegnern und Befürwortern des Kreditabkommens mit den Gläubigern geschrumpft: 50 Prozent dagegen, 41 dafür.

Denn die Frage, die den Griechen am Sonntag vorgelegt wird, ist trügerisch, so sagt Odin Linardatou, die Sprecherin der liberalen Parlamentspartei To Potami. "Wenn es klar formuliert hieße "Euro oder Drachme?", dann wäre auch die Antwort klar. 80 Prozent für den Euro. Daran haben wir nicht den mindesten Zweifel."

Auf dem Stimmzettel steht es aber anders. Dort geht es um zwei Dokumente aus der Eurogruppe. Vor allem für die älteren Wähler auf dem Land, aber auch für die jüngeren sei das zu kompliziert, sagt Linardatou.

Es wird ein knapper Sieg oder eine knappe Niederlage, so heißt es bei der Nea Dimokratia. "In beiden Fällen sieht es hässlich aus für Tsipras und Griechenland", sagt der Parteistratege der Konservativen. Verliert Tsipras, muss er zurücktreten; gewinnt er, kann die Regierung trotzdem keine Pensionen und Gehälter mehr zahlen und wird stürzen. (Markus Bernath aus Athen, 1.7.2015)