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US-Geheimdienstchef James Clapper bei Lüge ertappt.

Foto: Reuters/Gripas

Das US-amerikanische Argument der Terrorbekämpfung zieht kaum noch – und je länger es strapaziert wird, desto weniger. Laut der Enthüllungsplattform Wikileaks richtete sich der flächendeckende Lauschangriff des Geheimdienstes NSA nicht nur gegen mittelöstliche Jihadisten, sondern gegen fast alle der größten französischen Firmen. Vergangene Woche schon hatten Medien enthüllt, dass die NSAdie Handys der drei aufeinanderfolgenden Staatspräsidenten Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und François Hollande mindestens bis 2012 abgehört hatte.

Falsche Beteuerungen

Peinlich sind die neuen Enthüllungen vor allem, weil sie die Beteuerungen aus Washington schlicht als Lügen entlarven. Nach früheren Meldungen, die NSA habe auch den brasilianische Ölkonzern Petrobras ausgespäht, hatte der amerikanische Geheimdienstchef James Clapper versichert, die USA benützten ihre Abhörkapazitäten "nicht dazu, Handelsgeheimnisse ausländischer Firmen zu stehlen, um die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen zu steigern".

Genau das tat die NSA aber in Frankreich. Laut der Zeitung Libération belauschte die US-Agentur zwischen 2002 und 2012 rund hundert französische Großkonzerne, darunter "fast die Gesamtheit" der vierzig Mitglieder des Pariser Börsenindexes CAC 40. Das Blatt nennt keine Namen, sondern nur die betroffenen Bereiche Verkehr, Energie, Telekom oder Biotechnologie. In diesen Sparten verschaffte sich die NSA demnach Zugang zu Exportangeboten im Umfang von 200 Millionen Euro. Damit ermöglichte sie amerikanischen Konkurrenzfirmen in internationalen Ausschreib ungen einen erheblichen Vorteil.

Moscovici über französische Wirtschaftslage

Und das ist noch nicht alles. Laut dem Online-Portal Mediapart zapfte die NSA im Pariser Wirtschaftsministerium Bercy die am besten geschützten Telefonleitungen an. So erfuhren die US-Amerikaner, was der frühere Wirtschaftsminister Pierre Moscovici öffentlich nie einzuräumen gewagt hätte: "Niemand ist sich des Ernstes der französischen Wirtschaftslage bewusst", meinte der heutige EU-Kommissar laut einem NSA-Dokument im Juli 2012 zu einem sozialistischen Parlamentarier. Mosovici stellte auch "drastische Maßnahmen" in Aussicht. Als der Parteifreund einwandte, das werde dem rechtsextremen Front National Auftrieb verleihen und die französischen Sozialisten scheitern lassen, erwiderte der Minister, er richte sich eher nach den Reformen des ehemaligen deutschen Kanzlers Gerhard Schröder. Das Dokument trägt den Vermerk "no foreign", nicht zur Verbreitung im Ausland.

Alle "Five Eyes", das heißt neben den USA auch Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland, erhielten hingegen 2008 den Hinweis, dass sich der französische US-Botschafter Jean-David Levitte beklagt hatte, dass im Veruntreuungsskandal um das irakische Programm "Öl gegen Lebensmittel" keine US-Firmen genannt wurden. Die angeführten französischen Firmen seien hingegen meist Filialen von US-Konzernen. Levitte fragte das Pariser Außenministerium offenbar, ob er diese Konzerne nennen solle. Dank dieser Insiderinfos konnten die USA in Paris diplomatischen Druck machen, damit die Namen im Dunkeln blieben. (Stefan Brändle aus Paris, 1.7.2015)