Jun Yangs Fotoserie "Somewhere" inspirierte ein Pressefoto: Emilio Morenatti hatte 2008 einen Spielzeugverkäufer in Kabul fotografiert, der dort kurz nach den Bombardements Ballons verkaufte.

Foto: Jun Yang

Jun Yang ist kein somnambuler Wanderer. Trotzdem spaziert er – oder sein Alter Ego – durch die Nacht. Durch Beijing wie in The Center of the World (2013) oder durch Taipeh wie in A Short-Story on Forgetting and Remembering (2007). Er schlafe nicht, weil er schon als Kind Angst gehabt habe, nicht mehr aufzuwachen, erzählt die Stimme aus dem Off. So entsteht die Figur eines nächtlichen Spaziergängers. Die urbane Nacht eröffnet dem Künstler einen sinnbildlichen Raum; einen Ort, der entrückt zu sein scheint von der Welt, bekannt und dennoch fremd. Freilich schläft die Stadt nicht völlig, aber das Leben hat sich ins Private verlagert, hinter erleuchtete Fenster von Wohnungen oder ins Innere der Autos und Taxis, die durch die Straßen zu irrlichtern scheinen.

Manchmal dringen auch die Geräusche nicht mehr so wirklich an Betrachter und Protagonisten heran, werden ausgeblendet. Es scheint, als wäre man nicht mehr Teil dieser Welt. Es ist ein bewusstes Abstandnehmen: Es wird still, und ein Gedankenraum öffnet sich. Die sanfte Erzählerstimme breitet die Reflexionen über das Leben in größter Ruhe, ohne Eile aus. Und doch entsteht ein Sog der Gedanken, der den lauschenden Betrachter mit sich trägt.

The Center of the World, 2013 (Filmstill)
Foto: Jun Yang
The Center of the World, 2013
jun yang

The Center of the World ist nicht Teil der Galerieausstellung bei Martin Janda, sondern wird in der 200 Meter entfernten Ra'mien Bar gezeigt. Warum? Yang wurde zwar 1975 in Qingtian, China, geboren, wuchs aber in Wien auf, wo seine Eltern eines der ersten Chinarestaurants eröffneten. Das Ra'mien ist allerdings ein Lokalkonzept, das Yang gemeinsam mit seinem Bruder entwickelte. Nach einigen Jahren stieg er jedoch aus. Auf Plakaten, die dieses und einige andere Lokalprojekte zusammenfassen, notiert er den Grund: Die Notwendigkeit, Gewinne zu erwirtschaften, weiche irgendwann Gedanken der Gewinnmaximierung.

The Center of the World (8:49 min) ausgerechnet dort zu zeigen, kann man also als subtile Kritik verstehen oder auch als räumlich fortgesetzte Beschäftigung mit dem Verhältnis von Kunst und Wirtschaft: Denn der innere Konflikt eines von der Gesellschaft angetriebenen Individuums, sein Glück in der persönlichsten Bereicherung und Optimierung zu finden, ist eine Reflexion über den Neoliberalismus und den Verlust kollektiver Ideale. "Profit wird zur Leistung", sagt Yangs nachdenklicher Philosoph an einer Stelle.

A Short-Story on Forgetting and Remembering, 2007 (Filmstill)

Auch A Short-Story on Forgetting and Remembering (2007), der im Rahmen der Schau im Topkino zu sehen war (und jetzt auf Vimeo zu sehen ist), hat diese bedächtige Poesie und entwickelt über Bilder und Gedanken intensive Melancholie. Die nächtliche Stadt mit ihren tausenden Leuchtreklamen ist hier ein traumähnlicher, zeitloser Raum, in dem man fremden Erinnerungen nachspürt, die so verinnerlicht wurden, dass sie von eigenen Erfahrungen nicht mehr zu unterscheiden sind.

A Short-Story on Forgetting and Remembering, 2007
jun yang

Im Vergleich zu diesen Filmen von ungeheuer poetisch-narrativer Qualität (etwa auch in Phantom Island zu kulturell-territorialen Fragen) überzeugen die präsentierten skulpturalen und installative Arbeiten leider wenig. (Anne Katrin Feßler, 4.7.2015)