Der Kampf um die Schuldzuweisung hat begonnen. In der hiesigen Öffentlichkeit wird das Bild einer inkompetenten griechischen Regierung ohne Strategie aufgebaut. Der schwarze Peter liegt demzufolge ausschließlich in Athen.

Doch selbst renommierte Ökonomen argumentieren, dass die Krisenpolitik der Troika (der "Institutionen") keinen wirtschaftlich rationalen Kern hat. Joseph Stiglitz stellte fest (Standard, 1. 7. 2015), dass die Troikapolitik von Beginn an keine solide ökonomische Grundlage hatte, Paul Krugman spricht von einer "monströsen Torheit" der EU. Ein Schuldenschnitt wäre ökonomisch geboten, und er wäre, darauf weist der prominente Ökonom Eichengreen hin, zu geringen Kosten zu haben gewesen. Schon am 22. Juni hat Jürgen Habermas daran erinnert, dass der ökonomische Aufstieg Deutschlands nur möglich wurde durch das Londoner Abkommen von 1953, in dem Deutschland 50 Prozent seiner Schulden erlassen wurden.

Worum geht es also bei der Troikapolitik, wenn nicht um ökonomische Rationalität? Zunächst um die Kaschierung einer Tatsache: die Vergesellschaftung privater Schulden. Ein wirkliches Rettungspaket für Griechenland hat es nie gegeben. Die Milliardenkredite waren de facto Bankenrettungspakete für die großen westeuropäischen Institute. Deren Kredite wurden bedient, die öffentliche Hand in Europa übernahm Schulden und Haftungen.

Der Grund für die unnachsichtige Haltung der Troika liegt aber tiefer. Es geht um ein politisches Signal. Jedwede politische Alternative zur neoliberalen Sparpolitik muss destruiert werden. Jede Bewegung oder Partei, die auch nur in Nuancen gegen die neoliberalen Dogmen Politik machen will, wird mit aller Härte bekämpft. Das ist die Botschaft. Vor allem an die spanische Bevölkerung, die mit Podemos immer stärker eine Antiausteritätspartei unterstützt.

Entgegen der aktuellen öffentlichen Debatte kamen die meisten konstruktiven Vorschläge von der griechischen Regierung. Sie war zu weitreichenden Kompromissen bereit und ist es auch in den letzten Tagen, also nachdem die Verhandlungen für gescheitert erklärt wurden. In dem Vorschlag vom 23. Juni ging es nicht mehr um die zentrale Forderung der griechischen Regierung, nämlich um ein Ende der Austeritätspolitik. Es sollten nur noch die schlimmsten Verwerfungen dieser Politik entschärft werden. So wurde etwa einer Erhöhung der Mehrwertsteuer zugestimmt.

Die Troika-Institutionen haben sich demgegenüber konfus verhalten in einer Arbeitsteilung, die einen Kompromiss verunmöglichte. Eurogruppe, IWF, EU-Kommission und EZB waren sich keineswegs einig in den Verhandlungen, was immer wieder zu unvorhersehbaren Wendungen im Verhandlungsprozess geführt hat.

Sanktionen für Deutschland

Um was geht es eigentlich? Um eine gesamteuropäische Konstellation, die zu enormer Heterogenität und Entsolidarisierung führt. Bei aktuell etwa sieben bis acht Prozent Exportüberschuss Deutschlands, der ja überhaupt erst die anderen Länder unter Druck setzt, müssten längst Sanktionen gegen Deutschland verhängt werden. Zwar stellte die Kommission ein Ungleichgewicht der Leistungsbilanz Deutschlands und anderer Überschussländer fest, es sei aber nicht "übermäßig". Die strukturellen Probleme werden nicht angegangen.

Die EU sieht sich mit enormen Desintegrationstendenzen konfrontiert. Die Anti-EU-Stimmung in Großbritannien ist nur ein Beispiel. Zugleich erleben wir eine dramatische Flüchtlingskrise. Große Teile der Bevölkerungen in den Mitgliedstaaten, die am härtesten von der Sparpolitik betroffen waren, sind gegen eine Fortführung dieser Politik. Dies zeigt u. a. die Tatsache, dass die sozialdemokratischen Parteien, die die Austeritätspolitik exekutiert haben, jedwedes Vertrauen der Bevölkerung verloren. Nicht nur in Griechenland befindet sich die Pasok im freien Fall, auch in Spanien löst sich das Zweiparteiensystem auf. Viele der Enttäuschten fordern mit der neu gegründeten Partei Podemos echte Demokratie. Auch die österreichische und deutsche Sozialdemokratie formulieren keine Alternativen und werden abgestraft.

Und wir sollten nicht vergessen, dass François Hollande seine Wahl mit einem Programm gegen den Fiskalpakt gewann. Das Umschwenken auf den deutschen Kurs förderte den Aufschwung des Front National.

In diesem Sinne ist es wichtig, dass Syriza die neoliberalen Politiken nicht übernimmt. Sie sind gewählt worden, gegen die Austeritätspolitik anzutreten, und halten Wort. Sie mag politisch ausgebootet werden. Aber sie fragt zu Recht in einem demokratischen Akt die eigene Bevölkerung. Syriza ging an die Schmerzgrenze und war mit heftigen innerparteilichen Konflikten konfrontiert. Aber sie zieht eine rote Linie. Wenn Syriza umkippt, werden viele Menschen politisch wieder in Passivität verfallen und/oder ins politisch rechte Lager driften. Das ist bei aller Hitzigkeit der aktuellen Auseinandersetzungen nicht zu unterschätzen im Hinblick auf die Schaffung von Alternativen.

Die aktuell sich alternativlos gebende Sparpolitik wird destruktive Kräfte erzeugen, die sich nicht nur gegen die schwächsten Teile der Gesellschaft wenden, wie die Austeritätspolitik, sondern auch Europa als supranationales Projekt beseitigen könnten.(Ulrich Brand, Jens Wissel, 3.7.2015)