Graz – Thronend begrüßt er die Besucher, mit klischeetypisch grimmigem Blick: Beethoven, dessen steinernes Denkmal am Ende des Aufgangs zum Grazer Stefaniensaal platziert ist. Im Saal leitet Nikolaus Harnoncourt gleich Beethovens eigenwilliges, kleinteilig zerrissenes Spät- und Großwerk, die Missa solemnis.

Doch erst einmal gibt es einen Film zu sehen. Harnoncourt probt das Stück mit seinem Concentus Musicus, dem Arnold Schoenberg Chor und den Solisten – als Erklärer, Entertainer, Motivator und Intensivator in Personalunion. Er geißelt den "Urlaubsgeist" seiner Musiker, ermuntert den Querflötisten, bei einer zarten Linie, an eine Elfe zu denken, die mit dem Zeh ("dem kleinen!") kurz den Boden antupft. Eine Stelle im Benedictus soll vom Orchester drastischer interpretiert werden: "wie ein Teenager, der den Vater beißt!"

Drastisch ist dann wesensgemäß auch Harnoncourts Interpretation von Beethovens Opus 123, intensiv in der Wucht wie auch in der Zartheit. Wie der Komponist ist ja auch Harnoncourt ein ewiger Querdenker, ein Hitzkopf, ein freier Radikaler der Musik, glückselig im Widerstand. Das Feindbild: alles Lauwarme. Die Panik: etwas unreflektiert zu machen, da es halt immer schon so war, weil es die Leute so gewohnt sind.

Sachte beginnt das Kyrie, straff das Gloria. Im Gratias agimus tibi wird langsamer Walzer getanzt, beim Miserere nobis animiert Harnoncourt das Orchester zu lateinamerikanischem Rhythmusempfinden. Saftig das Blech im Finale des Gloria, frisch und energisch die Streicher zu Beginn des Credo. In der Mitte dieses Messteils zeigen sich beim Zuhörer erste Ermüdungserscheinungen vom steten Taumel zwischen den dynamischen und emotionalen Extremen.

Das Geigensolo im Benedictus bringt Konzertmeister Erich Höbarth, Harnoncourts wacher Assistent beim Einsatzgeben, angenehm kitschfrei, wenn auch klanglich etwas dünn in der hohen Lage. Aus dem Schatten der extrem fordernden Chorpartie, die der Arnold Schoenberg Chor aufopferungsvoll engagiert interpretiert, singen sich die Solisten dann spätestens im Agnus Dei: glänzend Laura Aikin, gänzlich edle Ergriffenheit Bernarda Fink, elegant Johannes Chum, etwas matt Ruben Drole. Helle Begeisterung danach im Stefaniensaal. (end, 6.7.2015)