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Wohin darf der deutsche Staat schauen, wen darf er belauschen? Die Frage, wie Bürgerrechte und der Bedarf der Sicherheitsbehörden in Balance gehalten werden können, muss wieder einmal das deutsche Verfassungsgericht entscheiden.

Foto: REUTERS/Thomas Peter

Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die Reise von Berlin nach Karlsruhe am Dienstag persönlich angetreten und gleich auch noch den Präsidenten des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, mitgebracht. Verhandelt wurde über ein brisantes Thema: Die erweiterten Lausch- und Spähbefugnisse in Deutschland seit dem Jahr 2009.

Zu diesem Zeitpunkt trat das "BKA-Gesetz zur Terrorabwehr" in Kraft. Damals erhielt das Bundeskriminalamt Möglichkeiten, die bis dahin nur der Polizei in den Ländern zustanden. So darf seither auch das BKA mit richterlicher Genehmigung private Computer anzapfen, Wohnungen akustisch und per Video überwachen. Zur Gefahrenabwehr hat das BKA das Recht, ohne Wissen des Betroffenen Telefonate zu überwachen und aufzuzeichnen.

Kritiker sehen Bürgerrechte verletzt

Gegen das Gesetz Verfassungsklage eingereicht haben unter anderem der ehemalige Innenminister Gerhart Baum (FDP), Exkulturstaatsminister Michael Naumann (SPD), Grüne, Rechtsanwälte und ein Arzt. Den Klägern gehen die Überwachungsmöglichkeiten zu weit. Sie sehen darin Bürgerrechte massiv verletzt. So erklärte Baum, Betroffene wüssten oft gar nicht, wie weit die Möglichkeiten der Überwachung reichen.

Selbst Gespräche mit Vertrauenspersonen wie Ärzten oder Anwälten seien nicht mehr geschützt. Baum: "Sie sind nicht mehr sicher, wenn Sie zu einem Psychiater gehen, dass diese Angaben, die Sie dort über Ihr Privatleben, über Ihre Sorgen machen, nicht eines Tages bei der Polizei landen. Das ist ein Hauptangriffspunkt von unserer Seite."

1.500 Gefährdungshinweise

De Maizière und Münch verteidigten das Gesetz natürlich. So erklärte der Minister, Deutschland sei seit 2000 insgesamt zwölf Terroranschlägen entgangen. Diese seien "entweder misslungen oder konnten vereitelt werden". Das sei zum Teil Glück gewesen, auch hätten ausländische Nachrichtendienste Hinweise gegeben. Aber: "Es war auch das neue BKA-Gesetz, das die Beamten in den Stand gesetzt hat, entsprechende Ermittlungen aufzunehmen."

Laut Münch gab es seit 2009 insgesamt 1.500 "Gefährdungshinweise", die auf mögliche Anschlagsplanungen oder -vorbereitungen hindeuteten. In nur 15 Fällen seien Maßnahmen nach dem BKA-Gesetz eingesetzt worden. De Maizière betonte, die Maßnahmen seien "weit entfernt von einer Massenüberwachung".

Bei der Verhandlung wurde die Skepsis des Gerichts deutlich. Die Richter stellten de Maizière viele Fragen und gaben ihm auch eine Liste mit klärungsbedürftigen Punkten mit. Vizepräsident Ferdinand Kirchhof erklärte, man müsse bis zum Urteil im Herbst folgende Frage beantworten: "Wie viel an Datenschatz darf der Verfassungsstaat den Ermittlungsbehörden zugestehen, und welchen Datenschutz schuldet er seinen Bürgern?" (Birgit Baumann aus Berlin, 8.7.2015)