"Großtuerei" ist gemeint, wenn der Sponge-Bob-Watnik mit der roten Trinkernase über die Welt fliegt und zu verstehen gibt: Wir werden sie leicht besiegen, indem wir nur mit unseren Mützen winken.

Bild: Anton Tschadski

"Intoleranz".

Bild: Anton Tschadski

"Scheinheiligkeit".

Bild: Anton Tschadski

"Sklavische Unterwerfung".

Bild: Anton Tschadski

Der 28-jährige Anton Tschadski.

Foto: Anton Tschadski

Kiew – Die Figur des Watnik, ein graues Knäuel auf zwei Beinen, klopft gerne derbe Sprüche. "Du Schweinehund – liebe Stalin! Sei ein Patriot!" – "Der Westen verfault – Russland erlebt seine Wiedergeburt!" Er liebt Verschwörungstheorien, hasst den Westen, trinkt, flucht und prügelt sich gerne. Ein graues Viereck, mit einer roten Trinkernase und einem blauen Auge, von den Nationalfarben der russischen Trikolore unterlegt: "1/3 Hass, 1/3 Dummheit und 1/3 Neid."

Der junge russische Karikaturist Anton Tschadski kreiert mit dem Watnik bitterböse Satiren auf die politische Stimmungslage in Russland: Von den USA bedroht, aufgehetzt gegen die "Faschisten in Kiew" und angeekelt von "Gayropa", ohne die Probleme im eigenen Land zu sehen – das sind zentrale Motive in den Zeichnungen von Tschadski. Wie eine unheilvolle Mischung aus dem "Herrn Karl" und dem bösen Zwilling der US-Zeichentrickfigur Sponge-Bob Schwammkopf – patriotisch, obrigkeitshörig und ungebildet.

Der Watnik (zu Deutsch: wattierte Jacke) machte schon 2011 in den sozialen Netzen seine Runden, erlebte aber erst mit der Ukraine-Krise seine große Stunde. Ukrainische Künstler haben dem übellaunigen Würfel auf zwei Beinen mittlerweile Kurzfilme, Popsongs und einen satirischen Youtube-Sender (Watnik Today) gewidmet. Das Wort Watnik ist als Neologismus in die russische Sprache eingegangen.

Mit der Verbreitung kamen aber auch die Vorwürfe an Tschadski, russophob zu sein. "Ich sage mit meinen Karikaturen nicht: Hasst die Russen, sondern lacht über sie!", so Tschadski im STANDARD- Gespräch. "Ich wollte zeigen, dass sich die russische Gesellschaft derzeit in einer Selbstisolierung befindet. Sie hat sich selber in ein Stalin-Lager gesperrt und freut sich noch darüber!"

In Russland selbst ruft der Watnik naturgemäß gemischte Gefühle hervor. Ein Abbild einer zunehmend radikalisierten, hurrapatriotischen Gesellschaft, sagen die einen. Eine Provokation oder gar ein Projekt westlicher Geheimdienste, polterte der Rechtspopulist Wladimir Schirinowski in einer Rede vor der Staatsduma. Es gibt auch Versuche, den Watnik positiv umzudeuten: Die staatliche Universität Altai lobte einen Essaywettbewerb aus: "Warum ich stolz bin, ein Watnik zu sein."

Für Tschadski selbst blieb die Kritik nicht ohne Folgen. Vor einem Jahr verlor er seinen Job in der Regionalverwaltung der Schwarzmeerstadt Noworossijsk. Mittlerweile wurde gegen ihn in Russland ein Verfahren wegen "Volksverhetzung" eröffnet, seit Jahresbeginn lebt er im Exil in Kiew. Und so illustriert die Geschichte des Watnik auch die tiefen Gräben zwischen Kiew und Moskau: Während Tschadski nicht mehr nach Russland einreist, hat er in Kiew zuletzt seine erste Ausstellung eröffnet. Prorussische Separatisten sollen gar ein Kopfgeld auf Tschadski ausgesetzt haben.

In Russland steht der Watnik in einer langen Tradition der politischen Satire – von den cartoonartigen Druckgrafiken der "Lubki" im 17. Jahrhundert über die bissigen Satiren des Nikolai Gogol bis zum "Homo sovieticus", einer satirischen Umdeutung des sowjetischen Mythos vom neuen Menschen – faul, gierig, trunksüchtig und apolitisch.

Grantiger Watteknäuel

Eine "mentale Software", die nach der Wende nicht gelöscht, sondern zuletzt durch die Repressionen und die Propaganda in den russischen Medien wieder aktiviert wurde, so der Soziologe Juri Lewada, der sich jahrelang mit dem Phänomen des Homo sovieticus auseinandersetzte.

Inzwischen ist der Watnik zu einem Selbstläufer geworden: Die grantigen Watteknäuel gibt es mittlerweile in der Ukraine, in Belarus und Kasachstan, aber auch in Polen oder Island: "Überall gibt es Probleme und Stereotype in der Gesellschaft, die man in einem Watnik darstellen kann", sagt Tschadski. Teilweise wurde die Figur schon von anderen Zeichnern übernommen. Dass der Watnik so hohe Wellen schlagen würde, hat selbst Tschadski überrascht. "Ich kontrolliere die Bewegung längst nicht mehr."

Inwiefern darf gelacht werden, wenn dabei religiöse oder nationale Gefühle verletzt werden? "Ein guter Karikaturist zeigt immer Probleme in der Gesellschaft auf – und die gibt es nun mal, sei es in Russland oder im Islamismus", sagt Tschadski unter Anspielung auf das Attentat auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo. "Wir erschaffen diese Probleme nicht, wir bringen sie nur zu Papier." (Simone Brunner, 14.7.2015)