Es gibt sie manchmal. Einfache Spiele auf einer Website, die es erlauben in wenigen Sekunden loszulegen und stundenlang Spaß damit zu haben. Games, die trotz simpler Spielmechanik den Ehrgeiz wecken, es immer wieder zu versuchen. "Mini Metro" war etwa so ein Fall. Mehr als hundert GameStandard-Leser haben im Frühjahr 2014 um die effizienteste virtuelle U-Bahn-Linie konkurriert.

Simpel, aber genial, hält es auch "Agar.io". Auch ohne Anleitung lässt sich das Prinzip des Multiplayer-Games bereits im ersten Anlauf erlernen und entfesselt sodann den Darwinisten in der Spielerseele.

Umzingelt: Alle wollen den peorg fressen.
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Fressen und Wachsen

Am Anfang war eine Zelle. Eine ziemlich kleine Zelle mit dem Ziel, sich rapide zu vergrößern. Als solche startet man als Abbildung eines farbigen Kreises, dessen Bewegungsrichtung sich durch die Positionierung des Mauszeigers oder (im App-Format) des Fingers festlegen lässt. "Wachstum" lautet die Devise, ermöglicht durch herumliegende Nahrung, die durch bunte Pünktchen symbolisiert wird.

Der Konsum des Futters lässt die Zelle an Masse und Größe gewinnen. Doch es gibt Fressfeinde – im doppelten Wortsinn. Andere Spieler wollen sich ebenfalls an derregelmäßig nachwachsenden Nahrung bedienen, können sich aber auch gegenseitig fressen. Dazu reicht es aus, die eigene Zelle über die des Konkurrenten zu schieben, um diese zu schlucken. Je nach seinem Umfang sorgt das für eine deutlich größere Massezunahme als das Aufsammeln der Futterpünktchen.

Voraussetzung ist allerdings, dass man selbst merklich größer ist als das Opfer. Annähernd gleich große Zellen passieren einander unbeschadet. Ist der Kontrahent der größere, heißt es "Game over". Im Laufe des eigenen Wachstums erlebt man gleichwohl ein Schicksal als Jäger und Gejagter.

Die App-Ausgabe für Smartphones.
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Strategische Elemente

Dabei wird aber für Varianz und Balance gesorgt. Wer größer bzw. massiger ist, ist mächtiger – aber auch langsamer. Passt das auserkorene Opfer auf, hat man meist keine Chance, es einzuholen. Man muss es also entweder strategisch in eine Engstelle drängen, oder sich teilen. Bei diesem Vorgang entstehen zwei Zellen mit jeweils der Hälfte der eigenen Gesamtmasse. Der neue "Zwilling" wird in die eigene Bewegungsrichtung geschleudert und eignet sich daher für Überraschungsangriffe.

Doch das setzt wiederum Risikofreudigkeit voraus. Bis die zwei oder mehr Zellen (auch eine Mehrfachteilung ist möglich) wieder zusammenwachsen, vergeht einige Zeit. Während dieser Periode bieten sich die Einzelteile des virtuellen organischen Verbundes als gefundenes Fressen für andere Spieler an. Wer einfach nur etwas Geschwindigkeit gewinnen will, um zumindest einen Teil seiner Haut aus einer bedrohlichen Situation zu retten, kann auch einfach nur kleine Masseteile abwerfen.

Neben der unsichtbaren Spielfeldbegrenzung gibt es auch gezackte "Killerzellen" als strategisches Element. Diese verharren regungslos am Spielfeld, wachsen und teilen sich gelegentlich. Für kleine Spieler sind keine Gefahr, sondern bieten sich mitunter sogar als Deckung an. Wer bereits die Gigaliner-Version einer Zelle steuert, sollte sich aber vorsehen. Ist man groß genug, die Killerzellen zu schlucken, sprengt es bei einem solchen Versehen einen erheblichen Teil der eigenen Masse in kleine, für die Konkurrenz gut verdauliche Stückchen.

Der Spectator-Mode erlaubt es, dem Treiben entspannt in hoher Zoomstufe zuzusehen.
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Wachstumssucht

Das ultimative Ziel ist es, in die dauerhaft eingeblendete, Top-10-Liste zu kommen, die die Spieler mit der aktuell größten Masse ausweist. Der Weg bis dahin ist aber ein langer. Im Zuge einer erfolgreichen Teilnahme – zwangsläufig wird jeder früher oder später vom Thron gestoßen – lässt sich aber auch gut beobachten, wie gigantisch die Masseunterschiede zwischen einem neu eingestiegenen und einem schon länger partizipierenden Spieler ausfallen können. Ein Umstand, den man erst selbst bemerkt, wenn man entlang einer gegnerischen Riesenzelle entlang schwimmt oder selbst eine ist. Je größer man wird, desto weiter zoomt das Spiel hinaus.

Einen Teil zum hohen Unterhaltungsgrad tragen auch die verschiedenen Skins bei, die angemeldeten Spielern zur Verfügung stehen. Wer zuerst einen kleinen "Doge" verspeist, anschließend nur knapp vor gigantischen Zellverbänden aus Griechenland und Russland fliehen kann, um schließlich von einer sich teilenden NASA-Zelle geschluckt zu werden, dürfte das gut nachvollziehen können.

Ein Screenshot mit politischer Symbolkraft.
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Spielmodi

Während die App-Version aktuell auf den "Free for all"-Modus limitiert ist, stehen im Browser weitere Varianten offen. Im Teamspiel treten Zellen in Rot, Grün und Blau gegeneinander an und anstelle der Rangliste erscheint ein Tortendiagramm mit der Gesamtmasse der jeweiligen Fraktion. Neue Spieler werden stets dem gerade schwächsten Team zugeordnet. Zellen gleicher Farbe können sich in diesem Modus nicht gegenseitig essen und prallen voneinander ab.

Im "Experimental"-Mode toben sich die Entwickler gelegentlich aus und erproben neue Spielmechaniken und Elemente. Zuletzt wurde etwa das Konzept einer stetig wachsenden Mutterzelle in der Mitte der Arena erprobt, rund um die auch das meiste Futter wuchs. Im "Partymodus" können Freunde für private Spiele eingeladen werden.

Darwin-Style

Dem Prinzip des Darwinismus folgt "Agar.io" übrigens im tatsächlich gemeinten Sinne. Vielfach wird Darwins Erörterung vom "Survival of the fittest" fälschlich als das "Überleben des Stärkeren" übersetzt. Dabei meinte der bekannte Evolutionsforscher eigentlich das "Überleben des Anpassungsfähigsten". Und genau darum geht es, neben guten Reflexen, in diesem fesselnden Multiplayer-Game – das jeweils Beste aus der aktuellen Situation zu machen.

"Agar.io" kann online im Browser gespielt werden. Eine Anmeldung – etwa via Facebook-Login – ist möglich, aber nicht verpflichtend. Finanziert wird das Spiel über Werbeeinblendungen im Hauptmenü. Es gibt auch eine App-Umsetzung für iOS und Android. (Georg Pichler, 19.07.2015)