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Die goldenen Zeiten, in denen der Handel mit der Fläche nicht geizte, sind vorbei. Kostspielige stationäre Strukturen sind auf dem Prüfstand.

Foto: Reuters / Yuya Shino

STANDARD: Angenommen, Sie haben 100 Euro fürs Shoppen: Wie viel davon fließt in den stationären Handel, wie viel geben Sie online aus?

Will: Ich arbeite bis acht, neun Uhr abends, aus Zeitgründen gebe ich keinen einzigen Euro online aus, was dem widerspricht, wofür ich persönlich stehe. Aber ich buche Reisen über das Internet, erledige Bankgeschäfte online, und ich habe ein Auto übers Web gekauft.

STANDARD: Aus Zeitgründen stationär? Online geht doch schneller.

Will: Das stimmt. Bei Transaktionen ist das Smartphone mein Zauberstab. Aber wesentliche Einkäufe erledige ich lieber stationär. Ich mag das Soziale und Haptische eines Shops.

STANDARD: Über den Anteil am Konsumkuchen, der stationären Händlern bleiben wird, gibt es mehr wilde Spekulationen als seriöse Daten. Wie hoch schätzen Sie ihn ein?

Will: Österreich ist in Studien von A. T. Kearney erstmals auf den besten E-Commerce-Märkten gelistet worden, auf Platz 27. Wir gehen davon aus, dass bis 2020 im Non-Food-Bereich jeder dritte Euro via Internet ausgegeben wird. Derzeit fließt aber die Hälfte der Online-Ausgaben ins Ausland ab.

STANDARD: Für zwei von drei Euros ist das Filialnetz aber zu groß.

Will: Ja, wir nennen das Flächenwahnsinn. Es gab eben eine goldene Zeit, in der man auf der Fläche auch in Osteuropa viel Erfolg hatte. Jetzt ist die Entwicklung rückläufig, der stationäre Handel muss sich umstellen. Es muss gelingen, mit einfacheren Mitteln das stationäre mit Onlinegeschäften zu verbinden und Kinderkrankheiten zu überwinden. Österreich hinkt im Wirtschaftswachstum hinter dem EU-Schnitt her: Lassen sich drei, vier andere Märkte übers Internet ohne Barrieren und hohe Investitionen adressieren, ist das für den Handel eine große Chance.

STANDARD: Wie viele Jobs wird der Weg ins Web kosten?

Will: Der Umbruch ist fundamental. Filialen werden schließen und Arbeitsplätze verlorengehen. Es wird nie so sein wie in der maschinellen Produktion, wo der Mensch keine zentrale Rolle mehr spielt. Denn Händler brauchen ein Mindestmaß an stationärer Präsenz – aber eben mit neuen Spielregeln. Verschränkung wird immer wichtiger – auch der Lebensmittelbereich kann sich nicht darauf ausruhen, dass noch 97 Prozent seines Geschäfts stationär laufen.

STANDARD: Aber der Einzelhandel zählt zu den größten Arbeitgebern. Wie tief wird der Einschnitt sein?

Will: Es ist schwer, Zahlen zu nennen. Es gibt jedenfalls auch einen Wechsel hin zum Onlinehandel. Und große Chancen liegen darin, in Geschäften über bessere Ausbildung mehr Beratungskompetenz zu bieten. Damit rechtfertigt sich der höhere Kostenaufwand.

STANDARD: Große Händler kommen mit teuren Strukturen nicht mehr zurecht. Derzeit haben in der Branche vor allem Sanierer das Sagen.

Will: Die Situation ist beunruhigend. Viele Unternehmen versuchen, sich neu auszurichten. Und diese Veränderungen gehören politisch berücksichtigt, anstatt neue Regelungen zu initiieren, die noch stärker belasten. Es braucht keine Nägel mehr in einem Stock, in dem schon viele drin sind.

STANDARD: Headquarter wandern zusehends ins Ausland ab. Welche Risiken birgt das für den Handel?

Will: Geld hat kein Mascherl, ist sehr mobil geworden. Und es gibt eine schleichende Abwanderung, die so nicht in den Statistiken ablesbar ist. Erst kürzlich etwa hat ein großer österreichischer Händler die halbe Logistik in die Slowakei abgezogen. Grund waren nicht nur die Kosten, sondern die Flexibilität. Ein Lkw darf in der Slowakei um zweieinhalb Stunden früher beladen werden als bei uns, er ist damit just in time in Österreich. Dieser Händler ist ein Patriot, seit Jahrzehnten in Österreich. Aber der Standortwechsel war für ihn notwendig, um mit dem Online-Mitbewerb mithalten zu können.

STANDARD: Führt am Internetriesen Amazon ein Weg vorbei?

Will: Ja, ganz klar. Wir haben in einer Studie Konsumenten befragt und Webshops geprüft. Bei der Zufriedenheit belegte Amazon als Platzhirsch nur Platz neun.

STANDARD: Amazon und Co profitieren von kostengünstigeren Rahmenbedingungen. Vom Kampf gegen Steueroasen abgesehen – wie realistisch sind faire Spielregeln?

Will: Es gibt die digitale Binnenmarktstrategie. Sie gibt die Möglichkeit für Vereinheitlichungen, damit Österreichs Anbieter wettbewerbsfähiger werden. Das ist ein Hoffnungsschimmer. Derzeit ist Österreich Europameister, was die Höhe der Abgaben betrifft. Wir leben Richtlinien der Kommission stärker als andere, überziehen es oft, etwa beim Urheberrecht oder in der Verpackungsverordnung.

STANDARD: Sie haben im Sinne des Handels drei Wünsche frei ...

Will: Ein halbes Jahr keine neuen Beschlüsse: Bisher hat jeder einen bürokratischen Mehraufwand bedeutet. Dann sollte es ein Screening geben, bei dem wir allen Abgaben, die in Österreich deutlich höher sind, auf den Grund gehen. Es geht ja alles Richtung Vereinheitlichung, aber sind wir vorauseilend gehorsam, verschlechtern wir unsere Wettbewerbsposition. Und es braucht ein anderes Miteinander der Arbeitgeber und -nehmer. Keine Verkrustung, sondern Bewusstsein dafür, dass die beiden nicht ohne einander können. (Verena Kainrath, 16.7.2015)