Die alten blauen Polizeibusse mit den vergitterten Fenstern stehen wieder quer über der Straße, als ob es 2012 oder 2013 ist. Die Regierung bunkert sich ein, vor dem Parlament marschieren die Gewerkschaften auf, eine Stimme aus dem Megafon redet vom "Kampf auf der Straße", Steine und Tränengasgranaten fliegen. Alles, als ob in der Villa Maximos, am Sitz des griechischen Premierministers, kein Regierungschef der radikalen Linken säße, sondern noch der konservative Vorgänger.

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Vor dem Parlament kam es am Mittwochabend zu Ausschreitungen.
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Doch Alexis Tsipras macht an diesem Abend den linken Sündenfall perfekt. Das Parlament stimmt im Schnellverfahren über neue Steuererhöhungen und Pensionskürzungen ab, wie die Kreditgeber es von Tsipras verlangten. Und Syriza, der regierende Parteienbund aus Marxisten, Trotzkisten und Reformkommunisten, steht vor dem Kollaps.

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Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou griff zu drastischen Worten.
Foto: reuters/ALKIS KONSTANTINIDIS

Mehrheit

Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou, eine der härtesten Kritikerinnen innerhalb von Syriza, spricht kurz vor der Abstimmung gar von einem "Putsch gegen die Demokratie" und einem "Völkermord".

Am Vormittag hatte bereits Nadia Valavani ihren Rücktritt eingereicht. Die stellvertretende Finanzministerin gilt als besonders überzeugte, moralisch unangreifbare Linke. Valavani war noch keine 20, als sie Anfang der 1970er-Jahre als kommunistische Aktivistin von der Junta in Einzelhaft gesteckt wurde. Sie könne das Abkommen mit den Gläubigern in der EU und beim Internationalen Währungsfonds nicht mittragen, so schrieb sie Tsipras.

Widerstand schwillt an

Der Widerstand in der Partei schwillt immer weiter an. Mehr als die Hälfte des 200 Köpfe zählenden Zentralkomitees stellt sich am Mittwochnachmittag gegen den Handel, der Tsipras in Brüssel abgezwungen wurde. Andere wie der Minister für Energie und öffentliche Investitionen, Panayiotis Lafazanis, der Wortführer der Linken Plattform, machten bis zuletzt keine Anstalten, ihren Sessel zu räumen.

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Tsipras und sein Finanzminister Euclid Tsakalotos hatten viel zu Grübeln.
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Er solle das Notgesetz gefälligst zurücknehmen, blaffte Lafazanis den jungen Regierungschef an. Auch Yanis Varoufakis, bis vor zehn Tagen noch Finanzminister, besiegelte seinen Bruch mit Tsipras. Das Kreditabkommen sei ein "neuer Vertrag von Versailles", sagte er im Parlament.

Schlechter Handel

Es sei ein schlechter Handel, so räumte Tsipras bereits am Abend davor in einem Interview im Staatsfernsehen ein. Im Parlament wiederholte er diese Botschaft. Er stehe zwar nicht hinter den meisten Maßnahmen, man müsse sie nun aber umsetzen, und fügt hinzu: "Ich bin stolz auf den Kampf, den wir in den vergangenen fünf Monaten geführt haben."

In der Fraktion hatte Tsipras zuvor laut Beobachtern sogar mit Rücktritt gedroht. Im Parlament war davon keine Rede mehr. Seine Regierung habe nicht die Unterstützung der Wähler verloren, verkündete er.

Die Abstimmung im Parlament fällt um kurz nach 1 Uhr (MESZ) in der Nacht jedenfalls eindeutig aus. 229 Abgeordnete stimmen mit Ja, 64 mit Nein, sechs enthalten sich. Den klaren Sieg hat Tsipras aber vor allem den großen Oppositionsparteien zu verdanken, die das Paket unterstützen. Nur mit den Stimmen von Syriza und seinem Koalitionspartner Anel (Unabhängige Griechen) wäre der Premier durchgefallen. Gleich 38 Syriza-Abgeordnete verweigerten ihm die Gefolgschaft.

Regierungsumbildung

Die spannende Frage ist nun, wie Tsipras weitermacht. Bereits im Vorfeld der Abstimmung war gemunkelt worden, er könnte am Donnerstag seine Regierung umbilden oder möglicherweise ein Mehrparteienkabinett der "nationalen Rettung" führen, wie es der Technokrat Lukas Papademos am Ende des Krisenjahres 2011 für einige Monate tat.

Auf 86 Milliarden Euro soll sich der dritte Rettungskredit belaufen, den Athen nun aushandeln will, sobald die Vorleistungen erbracht sind: sofortige Erhöhung der Mehrwertsteuern, Pensionsreform, völlige Unabhängigkeit für die nationale Statistikbehörde und Gründung eines unabhängigen "Steuerrats", der über die Einhaltung der Haushaltsziele wacht.

"Tsipras hat das große Nein des Volkes beim Referendum genommen und daraus ein großes Ja gemacht", so sagt eine Studentin über den Kurswechsel des Regierungschefs. Sie verkauft während des Generalstreiks am Mittwoch ein linkes Blatt, die "Arbeitersolidarität". (Markus Bernath aus Athen, 16.7.2015)