Kronleuchter aus farbigem Muranoglas, Terrazzo-Böden, Samtvorhänge und vergoldete Bilderrahmen – internationale Gäste wollen ihren Aufenthalt in Venedig möglichst authentisch erleben. Das könnte jedenfalls als Erklärung dafür herhalten, dass die meisten Hotels in der Lagunenstadt nach wie vor zu Recht traditionellem Dekor tendieren. Gäbe es die rigiden Vorschriften des Denkmalschutzes nicht, wäre Venedigs Gestaltungswille möglicherweise besser sichtbar.

Alle zwei Jahre findet in der Stadt die renommierte Architektur-Biennale statt, abwechselnd mit der Kunst-Biennale in den ungeraden Jahren wie heuer. Gerade deshalb könnte zeitgenössische Gestaltung wohl als ebenso authentisch für die Stadt gelten wie Stucco Veneziano, jene lokale Spachteltechnik, die zum Beispiel den Säulen im Foyer des berühmten Hotel Danieli den Anschein von Marmor verleiht. Und mittlerweile gibt es sogar einige Hotels, die gestalterisch neue Wege gehen – indem sie ihre Gäste mit modernem Interieur hinter historischen Mauern überraschen.

Foto: Claudio Sabatino
Hinter der unauffälligen Fassade des Palazzina G verbergen sich schräge Ideen Philippe Starcks.
Foto: Claudio Sabatino


"Wissen Sie eigentlich, wie viele Bed and Breakfast es in dieser Stadt gibt?" Die nach dem Weg gefragte Signora runzelt unwillig ihre Stirn, die sich aber sofort wieder glättet, als sie den Namen des gesuchten Etablissements hört. "Das Palazzina G, ja sagen Sie das doch gleich, das ist ums Eck, der Eingang befindet sich in der Gasse hinter dem Palazzo Grassi."

Begrüßung mit Tentakeln

Einige Sackgassen später, mithilfe von Smartphone-Navigation – Touristen erkennt man in Venedig immer am Handy vor dem Gesicht – und gestenreicher Wegbeschreibungen von Einheimischen, taucht eine unscheinbare Tür ohne Beschriftung auf – der Hoteleingang. Dahinter befindet sich nicht etwa eine Rezeption, stattdessen greift eine fantastische Lagunen-Kreatur mit Glastentakeln nach den Eintretenden.

Das Aman Canal Grande eröffnete zur
Foto: Aman Venice
letzten Kunst-Biennale im Jahr 2013.
Foto: Aman Venice


Philippe Starck hat in dem Gebäude aus dem 16. Jahrhundert, seinem ersten Hoteldesign in Italien, ein kreatives Universum erschaffen, das mit rund 300 Spiegeln und Glasarbeiten des französischen Künstlers Aristide Najean sowie einigen ausgewählten Vintage-Stücken ein Kaleidoskop aus Stilen und Farben erzeugt, und das in direkter Nachbarschaft zum Palazzo Grassi, dem bekanntesten Museum Venedigs für zeitgenössische Kunst. Einige der über die gesamte Stadt verteilte Ausstellungs-Satelliten der Biennale befinden sich ebenfalls in unmittelbarer Nähe.

Besser über den Bootsanleger

Wie das Palazzina G liegt auch das Hotel Centurion Palace am Canal Grande gleich neben einer Anlegestelle für Vaporetti, den Linienbooten der städtischen Verkehrsbetriebe. Das ist in einer Stadt mit Kanälen anstelle von Straßen und entsprechend zahlreichen Brücken, über die der Koffer gewuchtet werden will, nicht außer Acht zu lassen.

Ende des 19. Jahrhunderts im neogotischen Stil erbaut, repräsentiert der Palazzo ein typisches venezianisches Kaufmanns-Domizil: zentraler Gebäudeteil mit zwei Seitenflügeln aus rotem Backstein, Fensterfront und Haupteingang mit privatem Bootsanleger zum Wasser hin.

Im Hausinneren gelang es Architekt Guido Ciompi, mittels moderner Einrichtung den historischen Charakter des Gebäudes sogar noch hervortreten zu lassen. So betont die geradlinige Möblierung auch die ungewohnten Proportionen der mehrere Meter hohen Zimmer. Raumhohe Verglasungen auf der zum Canal Grande liegenden Seite bringen die venezianische Fassadenstruktur aus hellem istrischem Karstmarmor besser zur Geltung. Dem emsigen Schiffsverkehr auf dem breiten Fensterbrett im Schatten sitzend zuzuschauen, ist zudem ein echter Genuss.

Das Centurion Palace Hotel diente lange
Foto: Centurion Palace
venezianischen Kaufleuten als Privathaus.
Foto: Centurion Palace


Eine ähnliche Herangehensweise hat der weltweit tätige Hoteldesigner Jean-Michel Gathy: "Ich versuche, mich jeweils auf die lokale Kultur zu beziehen, aber es geht mir nicht um Ästhetik. Ich mag Hotels, die eine Seele haben." Bei der Ausstattung des Aman Canal Grande nach der Renovierung des ehemaligen Palazzo Papadopoli entschied er sich für eine zurückhaltende Möblierung, die nicht in Konkurrenz mit dem opulenten Originaldekor des Renaissance-Gebäudes tritt.

Aus den Betten in modernem italienischem Design blickt man auf historische Deckengemälde, extra für das Hotel gestaltete Vasen stehen auf restauriertem Terrazzo mit dem eingearbeiteten Wappen der Familie Papadopoli. Alte Kronleuchter wurden auseinandergenommen und zur Politur nach Murano geschickt, alte Holztüren aufgearbeitet und mit Originalbeschlägen versehen, Wände mit Seidendamast im ursprünglichen Dekor bezogen.

Direkt vom Markusplatz

Das mondäne Hotel Cipriani auf Giudecca hat schon einen, das Excelsior auf dem Lido ebenfalls – und nun auch das Ende Juni eröffnete JW Marriott Venice Resort and Spa auf einer künstlich angelegten Laguneninsel vor der Stadt: den eigenen Anlegesteg am Markusplatz. Von dort bringen hauseigene Shuttleboote die Gäste zu ihrer Unterkunft – ohne Umwege, Gedränge oder Scherereien mit den Ticketautomaten der Vaporetti. Die Fahrt zum neuen Marriott dauert 20 Minuten und ist eine perfekte Sightseeingtour. Zuerst führt sie vorbei an der ehemaligen Zollstation an der Ostspitze des Viertels Dorsoduro, von der man früher zum Schutz der Stadt nachts eine Eisenkette quer über den Canal Grande spannte.

Foto: Matteo Thun Partners
Das im Juni 2015 eröffnete JW Marriott Venice Resort war früher Lungenheilanstalt.
Foto: Marriot Venice


Später geht es zwischen Giudecca und der Klosterkirche San Giorgio Maggiore hindurch, die zu den klassischen Meisterwerken von Andrea Palladio zählt. Und dann zeigt sich auch schon der Wasserturm des ehemaligen Lungensanatoriums, das nun ein von Matteo Thun und dessen Partner Luca Colombo gestaltetes Hotelresort beherbergt.

Regionales mit Thun-Prägung

Statt die 19 desolaten Gebäude einfach abzureißen, wurden sie so umgestaltet, dass sie zwar modernen Ansprüchen – samt Spa und Infinity-Pool auf dem Dach – genügen, aber den historischen Charakter der Insel wahren. Besonderes Augenmerk legten die Gestalter auf regionale Handwerkskunst: Stoffe einer venezianischen Traditionsfirma oder Glaskunst von der nahen Insel Murano ließen die Architekten einfließen, die Tische im Thun-Design sind aus lokalen Hölzern gefertigt. Und auch wenn Matteo Thun seine Kreationen nach eigener Aussage nie um sich haben will – die Gäste sehen das bestimmt anders. (Gabriela Beck, 18.7.2015)