Noch immer eine Legende, aber im Straßenbild schon länger nicht mehr präsent: Am 27. Juli 1990 war ganz Schluss, als das letzte 2CV-Fließband in Portugal gestoppt wurde. Zu viel hätte Citroën ändern müssen, um die Sicherheitsnormen zu erfüllen.

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Dass Frankreich den "Train à Grande Vitesse", kurz TGV, erfunden hat, wissen heute alle. Weniger bekannt ist, dass die Grande Nation auch den TPV geschaffen hat – la "Toute Petite Voiture", zu Deutsch: das ganz kleine Fahrzeug.

Und in Wahrheit ist das TPV noch bekannter als der TGV. Es ist der 2CV, die Abkürzung für "deux chevaux". Zwei Pferdestärken also. Sein Erfinder ist Pierre Boulanger. Er war kein Hippie, auch kein Bonvivant, sondern schlicht der Vorsteher der Automarke Citroën. Per Fragebogen ließ er Landbewohner in ganz Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg fragen, wie sie sich gerne fortbewegen wollten.

Von Anfängern fahrbar

Aufgrund der Antworten erstellte er seinen Ingenieuren nach dem Krieg, als die Gürtel noch eng geschnallt waren, ein Pflichtenheft: "Ein Wagen, der zwei Personen und einen Zentner Kartoffeln mit 60 Stundenkilometern befördern kann, der nicht mehr als drei Liter auf hundert Kilometer verbraucht und der von Anfängern gefahren werden kann."

So sollte es sein, und so war es. 1948 begann die Produktion. Boulanger (zu Deutsch: Bäcker) wählte jenes Rohmodell aus, in dem ihm der Strohhut nicht vom Kopf fiel, wenn er sich ans Steuer setzte. Mehr Komfort lag nicht drin. Eine Handkurbel setzte die zwei Pferde (deux chevaux) in Bewegung.

Ein Scheinwerfer auf dem linken Kotflügel tat es. Der Vierräder hatte immerhin drei Gänge; einem Landwirt in Verdun schien das indes so extravagant (oder er wusste nicht, was eine Gangschaltung war), dass er sein Leben lang im Ersten fuhr. Der robuste 400-Kubik-Motor überlebte es. Und den Landwirt. Stoßdämpfer? Unnötig – über die Kartoffeläcker geht der Bauer schließlich auch nicht mit Federn, n' est-ce pas?

Die einzigartige, dem Bauhaus-Design nachempfundene Form der "Ente" (diese Bezeichnung setzte sich nur im deutschsprachigen Raum durch) überdauerte Zeiten und Moden.

Wie eine Berg-und-Tal-Bahn

Der "Deuche", wie man in Frankreich lieber sagt, war ein wenig wie die Marseillaise: in kürzester Zeit entworfen und wie aus einem Guss. Da gab es nichts daran zu rütteln. Praktisch war es nämlich auch, das 500 Kilo leichte Gefährt, das im Ernstfall bis zu 115 km/h auf den Tacho brachte. Ganze Familien profitierten bei der Fahrt ins Grüne davon, dass sie die beiden Sitzbänke problemlos ums Picknicktuch gruppieren konnten.

Die Individualisten profitieren ihrerseits von dem Lebensgefühl auf Rädern, das auch eine Prise Weltanschauung enthielt. Die seitlichen Klappfenster, die einst dazu gedient hatten, mit gespreizter Hand das Abzweigen auf den Feldweg anzuzeigen, wurden später hochgeklappt, um den Studentenarm lässig durch die Öffnung zu schieben und zu verfolgen, wie die anderen Wagenlenker – die gestressten – überholten. Und dann war da noch die Gummifederung, die verhindern sollten, dass die rohen Eier auf der Hinterbank selbst bei einem frenetischen Ackerritt in die Brüche gingen. Das vermittelte Eindrücke, die man sonst nur vom Jahrmarkt auf der Berg-und-Tal-Bahn kennt.

Anti-Statussymbol

Oder vom Joint-Rauchen. Das Landgefährt des Monsieur Boulanger wurde in den 1960er-Jahren zum Anti-Statussymbol der Woodstock-Generation, 2CV bedeutete so viel wie Mai '68. In England verwendete ihn aber auch die Royal Navy, wenn alle anderen Vehikel versagten. Die Uno setzte ihn in den Anden ein, die französische Armee in den Sahara-Kolonien. Und was tat Laurent Fabius, der heutige Außenminister Frankreichs, als er 1985 für die Sozialisten Premierminister wurde, aber von Journalisten im Ferrari 400 ertappt wurde? Zur Imagekorrektor fuhr er nonchalant im "Deuche" am Regierungssitz vor.

In den 1980er-Jahren wurde der 2CV auf der Leinwand nicht mehr nur von Louis de Funès, sondern auch von James Bond geritten. Doch seinen Zenit hatte er bereits hinter sich. Von den 5,1 Millionen verkauften Exemplaren waren die meisten abgesetzt; die früher monatelangen Wartelisten verkürzten sich. Grund war nicht einmal so sehr die abnehmende Nachfrage, sondern die Entwicklung der Sicherheitsbestimmungen.

Damit hielt die Ente nicht mehr Schritt. 1988 stellten die Citroën-Werke in Frankreich die Produktion ihres originellsten Modells ein. Am 27. Juli 1990 war ganz Schluss, als das letzte 2CV-Fließband in Portugal gestoppt wurde. Zu viel hätte Citroën ändern müssen, um die Sicherheitsnormen zu erfüllen.

Ein Stück Frankreich

Anfangs hatte es noch viel Spott abgesetzt: Beim Pariser Autosalon von 1948 fragte einer, wo der dazu gehörige Dosenöffner sei. 1990 herrschte umso mehr Trauer über den Verlust von einem Stück Frankreich, einem Stück Freiheit, einem Stück Anderssein. Heute hoffen die Fans nur noch, dass Citroën nie die schlechte Idee hat, einen neuen 2CV mit Aircondition und Bordcomputer zu lancieren. Es wäre purer Verrat. (Stefan Brändle, 25.7.2015)