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Der darbende Tristan (Stephen Gould, li.) im Kreise seiner Recken: Im dritten Akt findet sich Zeit zur Betrachtung von Traumbildern.

Foto: APA / Bayreuther Festspiele / Nawrath

Immer wieder bringt der Sommer außergewöhnliche Ereignisse wie hohe Temperaturen, politische Lethargie und regen Reiseverkehr mit sich. Letzterer staut sich Ende Juli auch in der Stadt Bayreuth, in die neben tausenden Wagnerianern auch Dutzendschaften von Journalisten pilgern, um die Neuinszenierung einer Wagner-Oper zur Weltbedeutung emporzuschreiben.

Obwohl: Dieses Mal gab es sogar schon vorher einiges zu berichten. Theaterdonnerschlagzeilen dominierten die Probenzeit: Hügelverbot für Eva Wagner-Pasquier! Anja Kampe legt vier Wochen vor der Premiere die Partie der Isolde zurück! Und für Christian Thielemann wird der Posten eines Musikdirektors der Bayreuther Festspiele geschaffen, samt eigenem Parkplatzschild!

Es musste natürlich so kommen, bei einer solch bedeutungsschwangeren Premiere. Katharina Wagner, bald alleinige Festivalchefin und Urenkelin des Komponisten, inszeniert Tristan und Isolde auf dem Grünen Hügel: 150 Jahre nach der Uraufführung des Werks, 129 Jahre nach der Inszenierung ihrer Uroma Cosima. Onkel Wieland und Papa Wolfgang haben die ultimative Liebesoper in der "Scheune" zusammen dreimal in Szene gesetzt.

Katharina Wagner nahm sich Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert mit ins Boot, und die bauten ihrer Chefin drei ästhetische Bühnenräume: Aus dem Verdeck von Tristans Schiff wurde ein Labyrinth aus grauen Stiegen. Botschaft, vielleicht: Die zwei Liebenden sind noch Irrende. Aus Markes idyllischem Burggarten wurde ein dunkler Gefängnishof, bewacht von seinen Mannen. Botschaft, wahrscheinlich: Die Gesellschaft sanktioniert wahre Liebe drakonisch. Und aus Tristans Burggarten auf Kareol wurde Schwärze, aus der fallweise Dreiecksformen leuchteten, die diverse fieberhafte Trugbilder Isoldens beinhalteten. Speziell der letzte Aufzug erinnert daran, wie weiland Wieland Wagner mit Licht und Abstraktion die Bühne in Bayreuth revolutionierte.

Vertrauen auf die Hormone

Macht Katharina denn auch etwas Revolutionäres? Aber ja. Tristan und Isolde pfeifen im ersten Aufzug auf die Drogen, schütten den Liebestrank weg und vertrauen auf die körpereigenen Glückshormone. Die irische Königstochter checkt ganz von selbst, dass unter der harten Emotionskruste des Hasses, den sie für den Mörder ihres Geliebten empfindet, ein vulkanisches Liebesfeuer brodelt. Und Eveyln Herlitzius ist eine sehr, sehr energiegeladene Isolde, eine Kämpferin vom Typ Elektra; raubkatzengleich ringt sie mit ihrem Bühnenschicksal.

Es wundert einen nur, dass sich die Raubkatze ausgerechnet in den harmlosen, teddybärbraven Tristan von Stephen Gould verkrallt. Und dann singt der auch noch nicht einmal halb so toll wie sie: gleichförmig, leicht schlampig, etwas reserviert. Herlitzius hingegen sucht das Extreme, schont die Stimme und scheut eine gewisse Schärfe nicht. Von atemberaubender Dezenz bis zu hysterischer Exaltiertheit: alles da. Ganz groß ihr Liebestod, in dem sie noch eins draufsetzt.

Fantastisch auch, was Christian Thielemann hier macht: wie er das famose Festspielorchester wieder und wieder zurücknimmt, um dann umso intensiver zu kulminieren. Es ist überhaupt eine einzigartige Leistung, die der Deutsche hier bietet. Korrespondierend mit der Interpretation von Herlitzius lässt der Musikdirektor mit feingliedriger, sportlicher Vitalität musizieren, körperlich drängend, immer klar konturiert, nie fett und behäbig. Überaschenderweise ist da mehr vom flackernden Feuer eines Carlos Kleiber als von der glosenden Glut eines Wilhelm Furtwängler.

Christa Mayer steht Herlitzius als Brangäne auch in Sachen Intensität zur Seite, eher ein Gemütlicher wie sein Herr: Iain Patterson als Kurwenal. Unauffällig Raimund Noltes Melot, schön Tansel Akzeybeks Hirte. Und Georg Zeppenfeld bietet als König Marke ganz in Senfgelb (Kostüme: Thomas Kaiser) kraftvollen, ebenmäßigen Schöngesang.

Den Marke wollte Katharina Wagner ja nach eigenen Angaben zum Bad Guy stilisieren; tatsächlich agiert Georg Zeppenfeld nur äußerst steif, zerrt Isolde aber immerhin nach deren Liebestod energisch von Tristans tristem Krankenhausbett weg. Davor gelingt der jungen Regisseurin mit einer steif-stilisierten Kampfszene auf Kareol noch Skurriles, auch findet das Schwert auf des toten Ritters Brust einfach zu keiner Ruhe: Solides Regiehandwerk ist das noch nicht. Nach Beifall für die Regie und erschütterndem Getrampel für Thielemann und Herlitzius findet das Weltbedeutende, so notiert man, zu seinem Ende. (Stefan Ender aus Bayreuth, 27.7.2015)