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Millionen Menschen gingen in Deutschland auf die Straße, um gegen Hartz IV zu demonstrieren. Es nützte nichts. Die größte Sozialreform der Bundesrepublik trat am 1. Jänner 2005 in Kraft.

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Aber auch heute noch wird gegen Hartz demonstriert – hier bei einer Demo in Bremen im Mai

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Die Bezeichnung mag der Namensgeber immer noch nicht. "Hätte ich Leutheusser-Schnarrenberger geheißen, wäre mir das erspart geblieben", klagte der ehemalige VW-Personalvorstand Peter Hartz vor geraumer Zeit in einem Interview. Doch er kommt nicht dagegen an. "Hartz IV" klingt eben einfacher und knackiger als "Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch".

So nämlich heißt jene staatliche Leistung, die Deutschland nunmehr seit zehn Jahren beschäftigt, im Gesetz. Zum ersten Mal erfuhren die Deutschen am 14. März 2003 davon, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundestag eine umfassende Reform der Sozialleistungen ankündigte und erklärte: "Wir werden die Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen."

Kranker Mann

Die Bundesrepublik galt damals als der "kranke Mann Europas", vor allem wegen der hohen Arbeitslosigkeit. Ökonomen kritisierten, dass Arbeitslose gar nicht gezwungen wären, einen Job anzunehmen. Denn üppige Sozialleistungen würden auch ohne Arbeit ein halbwegs komfortables Leben ermöglichen.

Schröder berief eine Kommission ein und betraute Hartz mit der Leitung. Das Ergebnis trat am 1. Jänner 2005 in Kraft. Zuvor hatten Arbeitslose bis zu drei Jahre lang Anspruch auf das lohnabhängige Arbeitslosengeld, das aus Beiträgen der Arbeitslosenversicherung bezahlt wird.

Höchstens zwölf Monate Arbeitslosengeld

Diese Unterstützung heißt seit zehn Jahren Arbeitslosengeld I. Es gibt sie nach wie vor, aber sie wird nicht mehr so lange ausbezahlt. Wer unter 50 Jahre alt ist, bekommt maximal zwölf Monate lang das ALG I. Ältere Arbeitslose können es bis zu 24 Monate lang erhalten. Danach kommt Hartz IV.

Hartz IV, oder auch Arbeitslosengeld II (ALG II) genannt, ist eine steuerfinanzierte Leistung. Ein weiterer Unterschied zum beitragsfinanzierten Arbeitslosengeld: Die Höhe richtet sich, anders als bei der österreichischen Notstandshilfe, nicht nach dem zuvor bezogenen Arbeitslosengeld, sondern es gibt feste Regelsätze (wie bei der Mindestsicherung).

399 Euro Grundbetrag

2005, als das Gesetz in Kraft trat, bekam eine alleinstehende Person 345 Euro im Monat, derzeit sind es 399 Euro. Ein Hartz-IV-Bezieher hat außerdem Anspruch auf Kostenübernahme der Miete und der Heizkosten durch die Arbeitsagentur. Strom müssen Hartz-IV-Bezieher selbst bezahlen.

Die Größe der Wohnung muss "angemessen" sein. Will heißen: Sie darf nicht zu groß oder teuer sein. Als Richtlinie gilt: Für eine Person sind 40 bis 50 Quadratmeter in Ordnung, für zwei Personen 60 Quadratmeter. Für jede zusätzliche Person können 15 Quadratmeter mehr angerechnet werden.

Diese Regeln gelten für alle gleichermaßen, also für einen ehemaligen Manager, der nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes I in Hartz IV rutscht ebenso wie für einen Straßenkehrer. Und obwohl die Leistung Arbeitslosengeld II heißt, steht sie in gleicher Höhe auch ehemaligen Sozialhilfebeziehern zu.

Unterschiedliche Bilanzen

Die eine, allgemeingültige Bilanz nach zehn Jahren Hartz IV sucht man in Deutschland vergebens. Je nach Interessenlage gibt es nur verschiedene Sichtweisen.

Zufrieden ist das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW). Es sieht die Reform als Erfolg und erklärt: "Die Reformen brachten das Ende der Dauerkrise auf dem deutschen Arbeitsmarkt, und die Verluste der Krisenjahre konnten in nicht einmal einer Dekade wettgemacht werden." Denn Arbeitslose hätten schneller Jobs angenommen als noch vor der Reform.

Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) hingegen bilanziert etwas zurückhaltender und meint, der Rückgang der Arbeitslosigkeit sei "zumindest teilweise auf die Arbeitsmarktreformen zurückzuführen". Es meint aber auch: "Allerdings dürfte auch der Aufschwung zwischen 2006 und 2008 dazu beigetragen haben."

Doch es gibt auch Stimmen, die Harz IV komplett ablehnen. So lautet der kritische Befund des Kölner Politologen Klaus Butterwegge nach zehn Hartz-Jahren, "dass es sich bei Hartz IV um ein zutiefst inhumanes System voll innerer Widersprüche handelt, das Menschen entrechtet, erniedrigt und entmündigt". Er sieht einen "ausufernden Niedriglohnsektor" in Deutschland und "die Verbreitung sozialer Eiseskälte". (Birgit Baumann aus Berlin, 31.7.2015)