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Expertin Glawischnig gibt Antworten.

Foto: APA / ROLAND SCHLAGER

Die Bundesregierung stellte am vergangenen Freitag in Hinblick auf die Unterbringung von Flüchtlingen einen Fünf-Punkte-Plan vor. Ein Beschluss lautete, den Tagsatz für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge von 77 Euro auf 95 Euro zu erhöhen.

Katharina Glawischnig, Juristin und Expertin zum Thema unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, beantwortet die häufigsten Fragen unserer User.

Was wird mit den Tagsätzen genau finanziert?

Katharina Glawischnig: Die Tagsätze finanzieren die Miete für das Haus oder die Wohnung, in dem die Jugendlichen betreut werden, samt Instandhaltung, Möbel, Betriebskosten, Energiekosten. Weiters werden die Gehälter der MitarbeiterInnen bezahlt, wobei man für die Betreuung von zehn Jugendlichen bei einem Tagsatz von 95 Euro zumindest fünf MitarbeiterInnen/Vollzeitäquivalente benötigt, um den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen. Selbstverständlich brauchen die Jugendlichen auch etwas zu essen, und es wird Geld aufgewendet für Bildungsmaßnahmen, Fahrtkosten, Freizeitaktivitäten oder andere Dinge, die die Jugendlichen benötigen.

Wer erhält das Geld?

Katharina Glawischnig: Das Geld erhalten jene Träger beziehungsweise Stellen, die das Kind betreuen. Das Geld wird nur dann ausbezahlt, wenn sich der UMF (unbegleitete minderjährige Flüchtling) auch in der Betreuungsstelle befindet. Das heißt, es wird nur der aktuelle Belag finanziert – sollte es einmal weniger Jugendliche geben oder eine Einrichtung nicht voll belegt sein, so bekommt die Einrichtung auch weniger Geld.

Wie hoch ist der Tagsatz?

Katharina Glawischnig: Momentan zahlt der Staat für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling maximal 77 Euro pro Tag für dessen Betreuung. Es gibt noch zwei weitere sogenannte Tagsatzkategorien in der Höhe von 39 und 64 Euro. Der Betrag richtet sich nach dem Betreuungsverhältnis. Beim Höchstsatz werden zehn Jugendliche 24 Stunden sieben Tage die Woche von einem/einer MitarbeiterIn betreut.

Geplant ist nun eine Aufstockung für alleinstehende minderjährige Asylsuchende auf maximal 95 Euro pro Tag, was noch immer um 45 bis 55 Euro unter dem Tagsatz für alleinstehende minderjährige Jugendliche mit österreichischer Staatsbürgerschaft liegt.

Zum Vergleich: Wie viel erhält man für die Betreuung alleinstehender Jugendlicher mit österreichischer oder EU-Staatsbürgerschaft?

Katharina Glawischnig: Für österreichische Kinder, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen können, übernimmt die Verantwortung die Kinder- und Jugendhilfe. Die Kinder werden entweder bei Pflegeeltern oder in sozialpädagogischen WGs untergebracht. Die WGs werden durch die Kinder- und Jugendhilfe betrieben (z. B. Landesjugenheime), oder es gibt Vertragseinrichtungen, bei denen Träger im Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe die Kinder in WGs mit maximal acht Kindern betreuen. Für diese Form der Unterbringung wird täglich ein wesentlich höherer Betrag aufgewendet bzw. an den Träger ausbezahlt. Der sogenannte Tagsatz beginnt hier bei 120 Euro pro Kind und Tag, üblich sind rund 150 Euro.

Für traumatisierte Kinder ist ein Tagsatz in der Höhe von 300 Euro üblich – dieser Betrag kann auch noch überschritten werden. Österreichische Familien können überdies ambulant begleitet werden, wenn es zu Schwierigkeiten kommt.

Warum war die Erhöhung des Tagsatzes bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen notwendig?

Katharina Glawischnig: Mit dem Höchsttagsatz von 77 Euro haben die Trägerorganisationen bereits regelmäßig rote Zahlen geschrieben und zusätzlich noch Spendengelder draufgelegt, damit sich die gesamte Finanzierung der Betreuungsstellen ausgeht. Unter diesen Umständen konnten sie keine neuen Betreuungsstellen aufsperren, da mit deren Eröffnung regelmäßig Anfangskosten verbunden sind. Ein Haus muss saniert werden, es kann Auflagen vom Land geben, beispielsweise Barrierefreiheit, es muss möbliert werden etc. Für diese Anfangskosten kommt niemand auf, das bedeutet, sie müssen sich über den langfristigen Betrieb finanzieren. Wenn bereits der Normalbetrieb defizitär ist, können solche Aufwendungen gar nicht getätigt werden, und diese liegen für gewöhnlich im sechsstelligen Bereich.

Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gibt es derzeit in Österreich?

Katharina Glawischnig: Es befinden sich rund 1.300 UMF in Betreuungsstellen in den Bundesländern, in sogenannten Betreuungsstellen der Grundversorgung. Rund 2.500 Jugendliche befinden sich in ungeeigneten Massenquartieren, in denen keine altersentsprechende Betreuung stattfindet und – wie wir mittlerweile alle wissen – auch ein Bett keine Selbstverständlichkeit ist. In Traiskirchen schlafen über 1.000 UMF auf dem Boden bzw. im Freien.

Welche Organisationen übernehmen derzeit die Betreuung?

Katharina Glawischnig: In Österreich gibt es eine Vielzahl an Trägerorganisationen, die im Folgenden aufgelistet sind (die Zahl in Klammern gibt Auskunft über die Anzahl der Einrichtungen für UMF in Österreich): Arbeiter Samariterbund (2), Caritas (9), Eder GmbH (1), Diakonie (3), Diakonie-Werk (1), Don-Bosco-Flüchtlingswerk (2), Emmaus-Gemeinschaft (1), Integrationshaus (2), Kinderfreunde (1), Menschen-Leben (8), Private (3), SOS-Kinderdorf (2), SOS Mitmensch Burgenland (1), Soziale Betreuungs GmbH (2) Therapeutische Gemeinschaften (1), Rotes Kreuz (1), Volkshilfe (4), Verein Fluchtweg (1), Zeitraum (1).

Weiters werden besonders junge UMF (unter 14 Jahren) in sozialpädagogischen Einrichtungen der Länder Wien, Niederösterreich, Burgenland, Oberösterreich und Tirol betreut.

Löst die Erhöhung des Tagsatzes nun alle Probleme?

Katharina Glawischnig: Es ist in jedem Fall ein Schritt in die richtige Richtung und ermöglicht nun das Aufsperren neuer Betreuungsstellen in den Bundesländern, somit eine Entlastung der Bundesbetreuungsstellen (Traiskirchen, Erdberg, Klosterneuburg, Semmering, Thalham und Reichenau) und eine menschenwürdige Unterbringung. Von einer Gleichstellung mit österreichischen Kindern sind wir jedoch noch immer weit entfernt, und es wird in der Zukunft noch weitere Erhöhungen geben müssen, damit sich Österreich nicht der Diskriminierung von Kindern schuldig macht. (ugc, 4.8.2015)