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In der Strombranche bleibt nach Einschätzung von Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber kein Stein auf dem anderen.

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Viele neue Anbieter drängen in den Markt. Eines sei sicher: "Wer nichts tut, verliert".

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STANDARD: Vor 15 Jahren hat die Liberalisierung der Strommärkte in Europa begonnen. Wie lautet ihr Zwischenresümee?

Anzengruber: Die Liberalisierung war ein Erfolgsmodell. Heute leiden wir unter den Verwerfungen des Marktes, deren Auswirkungen durch die schlechte Konjunktur noch verschärft werden. Und wir haben Förderungen im System, die in einer Wettbewerbssituation immer massiv stören.

STANDARD: Nun spricht man von Industrie 4.0 beziehungsweise Energie 2.0. Werden die nächsten 15 Jahre noch größere Umwälzungen bringen als die vergangenen?

Anzengruber: Das glaube ich schon. Was derzeit stattfindet, ist eine Sektorenrevolution. Es wird nie mehr so sein, wie es einmal war, und die Strombranche wird in zehn Jahren ganz anders aussehen als heute.

STANDARD: Wie denn?

Anzengruber: Es wird kleinere Einheiten geben. Die großen Unternehmen spalten sich heute schon auf. Das heißt aber nicht, dass alles wegfällt, was bisher war. Zu glauben, es wird sich alles in Kleinkraftwerken abspielen, ist nämlich eine Illusion. Es wird beides geben, kleine und größere nebeneinander, und dazu kommt noch die Digitalisierung.

STANDARD: Halten Sie schon Ausschau nach einem Bürostandort im Silicon Valley?

Anzengruber: Es war gerade eine kleine Delegation von uns drüben, die haben mit Tesla gesprochen, mit Google, Apple und anderen. Wir pitchen aber auch Start-ups in Österreich. Die IT-Branche kann mit den Kunden umgehen, teilweise besser als wir.

STANDARD: Die deutsche Eon ist seit Herbst 2014 dort und tankt Ideen.

Anzengruber: Wir werden auch noch einmal hinüberfahren. Es gibt dort viele Start-ups mit interessanten Ideen für einen neuen Energiemarkt. Diese zu nutzen wird die große Herausforderung. Früher war der Stromsektor den Energieversorgungsunternehmen vorbehalten, mittlerweile drängen Telekomunternehmen, Internetfirmen und viele andere hinein.

STANDARD: Werden Sie über kurz oder lang den Strom verschenken?

Anzengruber: Die Frage ist zulässig. Ich glaube, wir werden wegkommen von der Kilowattstunde. Kein Mensch braucht eine Kilowattstunde, man will die Wirkung der Kilowattstunde haben.

STANDARD: Kopiermaschinenhersteller arbeiten nach dem Prinzip: Die Geräte fast verschenken und mit dem Verkauf von Toner und Serviceleistungen verdienen.

Anzengruber: Das wird auch vermehrt unser Thema sein. Im Industriebereich sieht es noch etwas anders aus, aber im Bereich der Privatkunden wird Strom mehr und mehr zu einem Convenience-Produkt, wo in Zukunft für die beleuchtete und beheizte Wohnung gezahlt werden wird und nicht mehr pro Kilowattstunde.

STANDARD: Was heißt das für ihre Mitarbeiter?

Anzengruber: Wir brauchen die alten Tugenden nach wie vor, weil wir auch weiter Kraftwerke betreiben, das geht nicht mit Versuch und Irrtum. Für die sich öffnende neue Welt braucht es aber schnellere Abläufe, das heißt weniger Kontrollschleifen, flachere Strukturen. Man kann nicht Mitarbeiter von A nach B verschieben, da braucht man andere Leute, auch andere Kollektivverträge. Wir haben bereits einen Nukleus von rund 20 Leuten, beschäftigt in einem eigenen Unternehmen. Die praktizieren das bereits und tüfteln an neuen Geschäftsmodellen.

STANDARD: Stichwort Energiewende: Ist Europa fähig, einen Exportschlager daraus zu machen?

Anzengruber: Langfristig denke ich durchaus.

STANDARD: Im Moment sind die Bedenkenträger aber sehr stark?

Anzengruber: Wir sind mit Euphorie gestartet und haben das Ziel dann etwas aus den Augen verloren. Warum machen wir denn das Ganze? Einmal, weil wir gesagt haben, CO2 ist nicht gut für das Klima. Zweitens, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren. Die erneuerbaren Energien sind Mittel zum Zweck, kein Selbstzweck. Von einem hohen Anteil erneuerbarer Energien hat niemand etwas, wenn es nicht gelingt, die Kohlendioxid-Emissionen zu reduzieren. Wir haben viel Geld ausgegeben, das Ziel aber nicht erreicht, weil der CO2-Ausstoß weiter gestiegen ist. Das gilt es zu korrigieren.

STANDARD: Wie bewegen Sie sich privat vorwärts?

Anzengruber: Seit 2,5 Jahren elektrisch, das geht ausgesprochen gut.

STANDARD: Entwickelt sich die E-Mobilität nach ihren Vorstellungen?

Anzengruber: Ja, wobei ich die Euphorie, die es zu Beginn gegeben hat, nie geteilt habe. Das war die Zeit der großen Zahlen – 100.000 Fahrzeuge da, eine Million dort. Ich bin überzeugt, das kommt, aber nicht abrupt, sondern schrittweise. In vielen Bereichen werden wir weiterhin Benzin- oder Dieselmobilität haben – beim Schwerverkehr etwa oder auf langen Fahrtstrecken. Aber im Grunde kann man jetzt schon problemlos elektrisch durch ganz Österreich fahren. Die Steuerreform bringt auch einige Begünstigungen ...

STANDARD: Zum Beispiel?

Anzengruber: Der Sachbezug bei Elektroautos fällt weg, das heißt, es gibt einen geldwerten Vorteil. Obwohl man sagen muss, andere Länder tun da noch viel mehr. Aber auch die Autoindustrie ist aktiv geworden und bringt viele neue Modelle auf den Markt. Und es gibt Quereinsteiger wie Tesla. Der hat noch nie zuvor ein Auto gebaut und setzt nun Standards.

STANDARD: Apropos Quereinsteiger: Sind Sie als Verbund flink und vif genug, solche auszubremsen?

Anzengruber: Ich will niemanden ausbremsen, Konkurrenz ist uns wichtig. Wir als Verbund sind vergleichsweise früh in das Thema eingestiegen. Wir haben gute Chancen, aber das Endergebnis liegt noch nicht vor. Eines ist sicher: Wer nichts tut, verliert das Rennen.

STANDARD: Der Verbund wird 2030 deutlich anders aussehen als 2015?

Anzengruber: Davon bin ich überzeugt. Es wird die Wasserkraft noch geben, da waren und sind wir wettbewerbsfähig, obwohl wir keine Förderungen erhalten. Dank der Wasserkraft können wir uns jetzt die neuen Themen leisten, die sich ja nicht von Beginn an rechnen. Ein Vorteil ist, dass die neuen Geschäftsfelder nicht so viel Kapital benötigen. Wenn Sie heute ein Kraftwerk bauen, brauchen Sie ein paar Hundert Millionen. Wir haben intern einen Innovationsfonds dotiert.

STANDARD: Wie hoch?

Anzengruber: Wir sagen, wir sind bereit, in den nächsten Jahren einige Millionen zu investieren. Einiges davon wird gutgehen, anderes nicht. Damit muss man leben. (4.8.2015)