Georg Baselitz: "Einer malt mein Porträt" von 2002.

Foto: Albertina / Sammlung Batliner

Es ist ein selbstbewusster Auftritt, den die Wiener Albertina seit vergangener Woche in St. Petersburg hinlegt: Kuratiert von Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, präsentiert das staatliche Russische Museum die allererste Soloschau des Malers Georg Baselitz auf russischem Boden. Der gebürtige Deutsche (geboren 1938), dem Ende Mai die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, war in Russland bislang ein großer Unbekannter.

Dauerhaft ist im Marmorpalais des Russischen Museums nur ein einziges großformatiges Baselitz-Diptychon aus den späten 1970er-Jahren zu sehen: Die Flasche – der Adler. Jene Wiener Bestände – etwa 100 Gemälde und Aquarelle -, die bis Oktober gezeigt werden, sind deutlich jünger: Schröder beschränkt sich auf Baselitz' Schaffen zwischen 1986 und 2010, auf eine Phase, in der der Maler mit der "Remix"-Serie begann, sein eigenes Werk neu zu interpretieren. Im Vergleich zum früheren, oftmals schweren Baselitz mit dicken Farbschichten wirken diese späten Arbeiten nahezu leicht und transparent.

Fuß- und Heldenbilder

Aber auch dieses Spätwerk ermöglicht einen guten Einblick in die Bilderwelt des erfolgreichen Malers: Zu sehen sind "Fußbilder", in denen der Künstler gegen das traditionelle Abschneiden der Füße in der Porträtmalerei protestiert, "Heldenbilder" und natürlich auch seine auf den Kopf gestellten Sujets.

Als Highlight, vor allem auch aus Petersburger Sicht, gilt jedoch eine Handvoll "Russenbilder", in denen Baselitz mit seinen spezifischen Verfahren versucht, Werke des sozialistischen Realismus ihres politischen Pathos zu berauben und in "reine" Malerei zu verwandeln. Dies führt er etwa mit seiner Bearbeitung von Lenin im Smolny aus dem Jahr 2002 vor: Die berühmte Vorlage von Isaak Brodski (1930) aus der Moskauer Tretjakow-Galerie wird einerseits um 90 Grad gedreht und andererseits in ein schemenhaftes Aquarell verwandelt.

Unverständlicher "Retter"

Weitgehend unverständlich im lokalen Kontext bleibt jedoch die von Schröder pathetisch unterstrichene Rolle von Baselitz in den 1960er- und 1970er-Jahren als "Retter der Malerei". Während in Westeuropa damals Aktionismus, Minimal Art, Konzept- und Medienkunst nahezu als Bedrohung für Öl auf Leinwand aufgefasst wurden, blieben neue Kunstgattungen in der Sowjetunion und auch in Russland stets vergleichsweise marginal. Hier gab es daher auch zu keinem Zeitpunkt einen "Rettungsbedarf" für klassische Malerei. Selbst 2015 setzen die großen russischen Kunsthochschulen ungebrochen auf realistische Kunst im Geiste des späten 19. Jahrhunderts.

Die aktuelle Ausstellung steht im Zusammenhang mit intensivierten Russland-Kontakten der Albertina, die bereits 2014 Expressionismus aus ihren Beständen hier in der Eremitage präsentierte und 2017 Schiele und Klimt im Moskauer Puschkin-Museum zeigt. Ganz altruistisch sind diese Aktivitäten freilich nicht: "Wenn es zu keinem Ausnahmezustand im Zusammenhang mit unseren internationalen Beziehungen kommt, zeigen wir nächstes Jahr in der Albertina eine große Ausstellung zur russischen Avantgarde", verkündete Jewgenija Petrowa, Vizedirektorin des Russischen Museums, bei der Eröffnung.

Immunität für Leihgaben

Auf Nachfrage erläutert sie, woran der Plan scheitern könnte: Im Zusammenhang mit dem Ölkonzern Jukos, dessen Ex-Aktionäre Russland verklagt haben und nunmehr in einigen Staaten beginnen, russisches Staatsvermögen beschlagnahmen zu lassen, habe das russische Kulturministerium vor wenigen Tagen neue Regeln erlassen. Um eine temporäre Ausfuhrerlaubnis zu erhalten, müssten nunmehr die Regierungen jener Staaten, in denen die betreffenden Werke aus russischen Museen ausgestellt werden sollen, explizit garantieren, dass es im Zusammenhang mit der Causa Jukos zu keinen Beschlagnahmungen kommen kann, so Petrowa.

Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder zeigt sich gegenüber dem STANDARD optimistisch, dieses Problem lösen zu können, und verweist auf das Bundesgesetz über die vorübergehende sachliche Immunität von Kulturgut-Leihgaben, mit dem das österreichische Kulturministerium eine "rechtsverbindliche Immunitätszusage" erteilen kann. "Ich hoffe, dass bei allen ökonomischen und politischen Differenzen zwischen der EU, den USA und Russland die Kultur als Brückenbauer erhalten bleibt". (Herwig Höller, 4.8.2015)