Österreich ist schön. Österreich ist lebenswert. Österreich ist attraktiv. Im Vorjahr haben 37,6 Millionen Menschen unser Land besucht, haben die Berge bestiegen, sind in die Oper gegangen, haben es genossen, auch nachts durch die sicheren Straßen einer Millionenmetropole zu flanieren, oder sind über verschneite Hänge gecarvt und konnten sich dabei im Fall des Falles auf eines der besten Gesundheitssysteme der Welt verlassen.

Österreich ist schön, lebenswert und attraktiv. Das findet auch der junge Asylwerber, der in Traiskirchen unter freiem Himmel lebt, wenn er in die Kamera von Puls 4 ruft: "Österreich sehr gut, Traiskirchen sehr gut, Polizei sehr gut! Verstehen!" Oder Ahmed aus Syrien, der schnell Asyl erhalten hat und mit seinen drei Kindern täglich seine krebskranke Frau im AKH besucht. Es kommen ihm die Tränen, wenn er erzählt, dass keine Medikamente mehr für sie zu bekommen waren und kein Arzt ohne großzügiges Extrahonorar nach ihr gesehen hat. Es sind Tränen der Trauer und Wut über die syrischen Zustände, aber auch des Glücks darüber, wie gut sie jetzt versorgt ist.

Österreich ist schön und attraktiv. Zu attraktiv für Flüchtlinge, meinen manche. "Wir müssen unsere Attraktivität in Richtung anderer EU-Länder senken", hat Innenministerin Johanna Mikl-Leitner Mitte Juni dekretiert. Seitdem läuft der Ideenwettbewerb, wie die Attraktivität Österreichs zu senken sei. Und es mangelt nicht an Ideen: Verzögerung der Asylverfahren, Stopp der Familienzusammenführung, Absenkung der Standards für Quartiere.

Zu diesem Ideenwettbewerb glaubt jeder etwas beitragen zu müssen. Christian Rainer, Profil-Herausgeber, erhebt die Idee, Flüchtlinge würden nach Österreich kommen, weil wir zu attraktiv wären, recherchefrei zum Naturgesetz, um gleich die Lösung mitzuliefern: "Wenn die Umstände schlechter sind, weniger Geld, andere Quartiere, wenn die Asylverfahren länger dauern, kommen und bleiben auch weniger Flüchtlinge." Eifriger kann man ungarische Verhältnisse nicht herbeischreiben. Und der bislang unauffällige Obmann der Kärntner ÖVP, Christian Benger, wird zum kreativen Wortschöpfer; er spricht vom "Sozialschlaraffenland Österreich" und denkt laut darüber nach, anerkannten Flüchtlingen die Mindestsicherung zu verwehren – oder gleich alle Bezugsberechtigten mit Sachleistungen abzuspeisen.

Die Mindestsicherung als Privileg zu definieren ist besonders infam, ist ihr Bezug durch anerkannte Flüchtlinge doch einzig und allein die Folge des völligen Versagens bei der Integration. Alle, die Asyl haben, würden lieber arbeiten und sich selbst erhalten, als Bittsteller beim Sozialamt zu sein. Allein, es fehlt an Deutschkursen und Hilfen zur Integration in den Arbeitsmarkt.

Geht der Ideenwettbewerb weiter, wird er Auswirkungen haben – nicht auf die Zahl der Flüchtenden, denn niemand flieht aus Syrien wegen der Aussicht auf Mindestsicherung oder um in Traiskirchen auf dem Boden zu schlafen. Menschen fliehen, weil sie nicht mitansehen wollen, wie das eigene Haus niederbrennt, Söhne zu Kanonenfutter und Töchter vergewaltigt werden.

Geht der Ideenwettbewerb weiter, wird sich das auf das Zusammenleben in Österreich auswirken. Die Folgen sind jetzt schon spürbar. Ein Land, das stolz darauf war, gut verwaltet zu sein, sieht sich einer Regierung gegenüber, die die Katastrophe ausruft, aber keine Katastrophenpläne hat. Nichts untergräbt das Vertrauen in die Lösungskompetenz einer Regierung mehr, als wenn man den Angstschweiß der Verzweiflung und der Ratlosigkeit der Regierenden förmlich riechen kann. Ein Land, das auf seine Hilfsbereitschaft stolz war, sieht sich Landeshauptleuten und Bürgermeistern gegenüber, die immer neue Gründe finden, warum gerade bei ihnen niemand untergebracht werden kann.

Allein die Diakonie konnte aufgrund dieser Verhinderungstaktik in den letzten Wochen 400 Plätze in Quartieren, deren Eröffnung bereits auf Schiene war, doch nicht schaffen. Ein Land, das stolz auf seinen sozialen Zusammenhalt war, diskutiert angesichts des Elends in Traiskirchen über die vorgeblichen Privilegien derer, die gerade unter die Räder zu geraten drohen, Arbeitsloser und Mindestsicherungsbezieher, die mit Lebensmittelkarten weiter stigmatisiert werden sollen. Denn das zugleich auch gegen österreichische Bezieherinnen der Mindestsicherung und der Notstandshilfe gehetzt wird, liegt auf der Hand. Der Sozialstaat ist das Ziel. Österreich soll unattraktiv werden, nicht nur für Flüchtlinge.

Ich bin sicher, es wird noch weitere Ideen geben, wie man Österreich unattraktiver machen kann. Bezieher der Mindestsicherung und Asylwerber sind ja erst seit kurzem krankenversichert. Es wird schon jemandem einfallen, auch das als Pullfaktor zu definieren und zur Diskussion zu stellen. Vielleicht fände Ahmed Österreich nicht mehr so wunderbar, wenn seine Frau im AKH nicht mehr behandelt werden könnte.

Unattraktiv für Österreicher

Geht der Ideenwettbewerb der Grausamkeiten weiter, sind wir auf dem besten Weg, unattraktiv zu werden. Allerdings nicht für die Kriegsflüchtlinge, die nur eines suchen: Frieden und keine Gewalt, sondern für viele Österreicherinnen und Österreich, die an ein Land geglaubt haben, das auf sozialem Zusammenhalt und Menschenrechten gebaut ist und aus einer Geschichte gelernt hat, die zeigt, wohin es führt, Menschen aufzuhetzen und Schwache gegeneinander auszuspielen.

Unattraktiv aber auch für die Österreicherinnen und Österreicher, die unermüdlich für Flüchtlinge spenden, Wohnraum zur Verfügung stellen, Kleidung sammeln, ehrenamtlich Deutschkurse abhalten und rund um die Uhr im Einsatz sind, um dieses schöne Land attraktiv zu erhalten. Sie tun das aus dem Bewusstsein heraus, dass Österreich ein Land ist, das eine humanitäre Tradition zu verteidigen hat, oder aus christlicher Nächstenliebe oder in Erinnerung an die internationale solidarische Tradition der Sozialdemokratie, oder einfach weil sie anständige Menschen bleiben möchten, die sich am Morgen in den Spiegel schauen können. Sie kämpfen gemeinsam dafür, dass Österreich schön bleibt und attraktiv für alle, die hier leben. (Michael Chalupka, 3.8.2015)