Salzburg – Einer der teuersten Posten des Projekts war der tonnenschwere Transport: Maria Papadimitriou, Vertreterin Griechenlands bei der diesjährigen Biennale Venedig, hatte den kompletten Laden und die Werkstatt eines Leder- und Tierhautverkäufers in die Giardini transferiert. Stück für Stück, Brett für Brett wurde aber heuer auch im Salzburger Kunstverein ein niederösterreichischer Heuschober wiederaufgebaut. Was dort jedoch mehr stimmige Kulisse für die Arbeit der Bildhauerin Paloma Varga Weisz ist, das stellt beim Projekt "My Temple" für den Krauthügel im Grunde schon das ganze Projekt dar.

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2014 platzierte man Skulpturen von Tony Cragg auf dem Krauthügel. Nun hat Künstler Zhang Huan Teile eines 400 Jahre alten chinesischen Tempels aufstellen lassen.
Foto: APA/Neumayr

Dorthin, wo Salzburg hinter der Festung, mit Blick auf den Untersberg, plötzlich still und beschaulich wird, hat der chinesische Künstler Zhang Huan Teile einer alten Tempelanlage aus der Ming-Dynastie des 17. Jahrhunderts transferiert (Der Standard berichtete). Das Projekt der Salzburg Foundation, die seit 2014 nicht mehr den Stadtraum, sondern dieses Areal – und auch nurmehr temporär – mit Skulpturen bespielt, macht sich als Hingucker auf der grünen Wiese gut und bewegt einige Radler sogar zum Absteigen von ihren Stahlrössern.

Relevanz eher für China

"Der Künstler schafft ein Beziehungsgeflecht zwischen Kunst und Geschichte, Kunst und Natur, Rationalität und Spiritualität", heißt es im Pressetext. Kontextverschiebung heißt so ein Kunstgriff auch. Bleibt allerdings die Frage, welchen Fingerzeig dieses 400 Jahre alte Objekt, "aufgeladen mit Geschichte", für die aus allen Poren Historie atmende Stadt bereithält, noch dazu auf einem Grundstück des Klosters St. Peter, das selbst auf eine mehr als 1000-jährige Tradition verweisen kann. In China besäße die Arbeit womöglich mehr Relevanz: Schließlich hat der Staat in den letzten 15 Jahren mehr historische Substanz getilgt als von 1949 bis zum Ende der Kulturrevolution.

Ist es tatsächlich die mahnende Botschaft an Salzburg, die ihr historisches Kapital touristisch optimal ausnutzt, bitte tunlichst weiter beim Bewahren zu bleiben? Oder hat Zhang der Stadt mit gut 20 Kirchen und Klöstern spirituelle Mängel diagnostiziert? Fix ist, diese Kunst im öffentlichen Raum könnte überall stehen und dort beliebig mit Inhalten gefüllt werden. So wie auch die große Plastikblase unter den alten Balken als "Symbol für Transport und Bewegung" gelesen werden kann.

Was würde Michael Obrist von feld72, einem aktuell an der Sommerakademie unterrichtenden Architektur-Kunst-Kollektiv, zu Zhang sagen, wenn dieser sein Student wäre? "Ich würde ihn fragen, ob es eine Verzahnung seiner Kultur mit der gibt, in die er das verpflanzt." Dekontextualisierung könne super, weil schockierend und überraschend sein. Das Spannende sei etwa, festzustellen, worin die Überlagerung zwischen beiden Kulturen bestehe.

Open Air oder öffentlicher Raum?

Generell gelte es jedoch erst einmal zu eruieren, was Kunst im öffentlichen Raum (KöR) ist. "Viele Kunstprojekte in Salzburg würde ich gar nicht als KöR bezeichnen, eher als Open-Air-Kunst. Vieles ist eher die Erweiterung eines Skulpturengartens, begreift Salzburg als Museum." Die Problematik, auf die Obrist anspielt, ist, dass KöR zum Sammelbegriff für Kunst im Stadtraum geworden ist, sei sie nun spontane Geste, temporäres oder dauerhaftes visuelles Statement oder prozessualer Eingriff.

Und obwohl man die Zeiten als passé wähnte, in denen Bildwerke als staatstragende Argumente auf einem Platz standen und den Repräsentationshunger einer bürgerlichen Öffentlichkeit stillten, leben diese fort. Kunst als urbane Möblierung, als dekoratives Fotomotiv, Prestige- wie Imageträger, dessen einziges Konfliktpotenzial die Frage der Gefälligkeit ist, ist gerade in Salzburg wohlbekannt. Kunstwerke plumpsten in den vergangenen Jahren aus den Ateliers auf die Piazzas der Mozartstadt: Man nennt es auch "Drop Sculptures".

Kunst und Machtverhältnisse

Das Prozessuale und der Konfliktraum des öffentlichen Raumes (viele Gruppen und Interessen, ein Raum) kämen in diesen Arbeiten, so Obrist, gar nicht vor. Sie sind gemacht für ein gehobenes Bürgertum, dessen Kunstbegriff nicht auf Erschütterung beruhe. "Das Gute ist aber: KöR kann produktive Missverständnisse produzieren", findet der Architekt. "Wenn ich es allen recht mache, entsteht die leere Asphaltfläche, wo sich keiner wehtun kann." Ideal sind Zonen, die zwar "stark artikuliert sind, aber für unterschiedliche Typen Möglichkeiten schaffen: Dann entsteht etwas." Herausfordernd und reizvoll sei ja gerade, dass man es im öffentlichen Raum nicht mit dem typischen, also informierten, vorgebildeten Museumspublikum zu tun habe.

Mobile "Public Trailer" von feld72, Kollektiv für Architektur und Kunst, konnten Stadtgebieten im wahrsten Wortsinn neue Nutzungen zuführen.
Foto: feld72

"Interessant ist die Open-Air-Gallery-Kunst aber schon, weil sie ausdrückt, wie die Machtverhältnisse sind und wie die Stadt sich wahrnimmt." In Salzburg sei es daher am spannendsten, beim Phänomen "erfolgreiches Tourismusprodukt" anzusetzen, zu schauen, was der Tourismus mit dieser Stadt macht. "Aber ganz viele dieser Kunstprojekte behandeln das eben nicht, sondern zementieren das Phänomen im Gegenteil noch." Man könne auch versuchen, zu verstehen, warum es die Touristen nur für wenige Stunden in die Stadt spült. Für diese sei Salzburg ein Potemkin'sches Dorf, das auch noch funktioniere, wenn man den Rest rund um die touristischen Hotspots abreiße. Diese Absurditäten hätten ja auch mit den Arbeitswelten in Asien, wo viele Salzburg-Touristen herkommen, also mit dem globalen Druck der (Zeit-)Ökonomien unter denen sie stehen, zu tun.

Endparadigma Venedig

"An und für sich ist Salzburg eine unglaubliche Schnittstelle vieler Kulturen, aber sie berühren sich ja nicht, sie berühren selbst die Stadt kaum. Die Städte sind eigentlich nur Tunnel, durch die sie sich bewegen." Sie beruhen auf einem Paradox, denn an ihrem Erfolg drohen solche Städte zu ersticken, so Obrist mit Wink nach Venedig. Dort, das hat die Dokumentation "Das Venedig-Prinzip" (Andreas Pichler, 2012) gut eingefangen, können sich jene, die den Betrieb der Lagunenstadt am Laufen halten, das Leben in der Stadt nicht mehr leisten, pendeln von außerhalb zu ihren Arbeitsstätten. "Den Film haben wir in der Klasse als absolutes Endparadigma analysiert." Dass das Leben in den Innenstädten ausdünnt, weil Leute "eine Dritt- oder Viertwohnung in dieser wunderbaren Kulisse besitzen wollen, aber tatsächlich nur eine Woche im Jahr da sind", sei aber nicht nur dort ein Phänomen, bei dem die Politik reglementierend eingreifen könne.

FilmtankGmbH

Auch der Tourismus wirke sich verdrängend aus. "In Italien hat der öffentliche Raum eine ganz andere Funktion, ist der Ort, wo man sich auf dieser Bühne des Alltags zeigt. Er ist essenzieller Bestandteil einer Italianità und ihrer Kommunikation: Die Piazza ist der Inbegriff des Treffens." Österreich habe ja keine solche Platzkultur, eher treffe man sich im Kaffeehaus – womöglich werde der Klimawandel das einmal ändern. In Salzburg wirken die Sommergäste aber trotzdem verdrängend auf Räume, die sonst etwa die Jugend für sich nutzt und okkupiert hat. Eine der Kursteilnehmerinnen von feld72 entwickelt deswegen eine mobile Einheit: getarnt als touristische Werbefläche, entpuppe diese sich als dialogförderndes Vehikel.

Unsichtbarkeit des Denkmals

Prozesse hat das fünfköpfige Team von feld72 (neben Obrist auch Anne Catherine Fleith, Peter Zoderer, Mario Painter und Richard Scheich) immer wieder gerne initiiert. 2004 implementierten sie etwa bei der Architekturbiennale in Venedig die österreichische Straßenverkehrsordnung: Nach dieser ist es "nicht erlaubt, auf Gehwegen unbegründet stehenzubleiben. Das war freilich wie aufgelegt. Es ist zwar absurd und klingt nach Monty Python, ist aber wahr. Es öffnet der Polizei Möglichkeiten zum Einschreiten, wobei es im besten Falle eine Gesellschaft von Philosophen, Fußgängern und Justizbeamten erzeugt, die auf Gehwegen darüber diskutiert, ob es sich um ein unbegründetes Stehenbleiben handelt oder nicht."

Solche Reglements und Verhaltenscodices für den öffentlichen Raum sind genau das, was die Gruppe, die sich 2002 zusammenfand, interessiert: das Unsichtbare. Außerhalb des Museums gelten ganz andere Regeln, jeder wird zum Rezipienten. Architektur habe kein konkretes Publikum, wie es etwa das Theater kennt. "Du hast mit ganz vielen Menschen zu tun, denen das, was du machst, egal ist. Aber auch denen, denen es egal ist, steht es sozusagen im Weg herum. Und aus diesem Im-Weg-Stehen entstehen ein paar spannende Geschichten."

Unsichtbarkeit ist für feld72 ein wichtiges Stichwort: Manches, so wie der Brunnen auf dem Kajetanerplatz, den ein anderes Projekt einer Sommerakademie-Studentin thematisiert, würde gar nicht mehr wahrgenommen. "Es gibt diesen Audruck von Musil: 'Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler.'" (Anne Katrin Feßler, 4.8.2015)

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feld72 (Anne Catherine Fleith, Michael Obrist, Peter Zoderer, Mario Painter und Richard Scheich) versteht sich als Kollektiv, das das Feld der Architektur erweitert. Die Architekten beschäftigen sich an der Schnittstelle zur Kunst mit urbanen Fragestellungen und Strategien, etwa zur Wahrnehmung und zum Gebrauch des öffentlichen Raums. 2002 machten sie beispielsweise mit Stickern auf dessen Funktionen aufmerksam oder veranstalteten das "Toronto Barbecue" auf dem Platz vor dem Museumsquartier.

"Public Trailer"
Foto: feld72

In "Million Donkey Hotel" entwickelten sie 2006 in einem schrumpfenden italienischen Dorf (gemeinsam mit Freiwilligen und binnen eines Monats) ein Hybrid aus Hotel und erweitertem öffentlichen Raum. 2009 kamen in Shenzhen zum ersten Mal ihre mobilen "PublicTrailer" zum Einsatz. Die Armada spezieller Fahrradanhänger kann beispielsweise monofunktionale Stadtgebiete vorübergehend um neue Nutzungen erweitern oder mit kurzfristigen Phänomenen wie Events, Demos, Streiks interagieren.

Als Architekten arbeiten feld72 aktuell gemeinsam mit SSW-Architekten am Projekt "Post am Rochus" in Wien Landstraße. (kafe)