Das Klubwechselpräjudiz stammt von 1996: Damals durfte Abgeordneter Reinhard Firlinger vom Liberalen Forum in Jörg Haiders FPÖ-Klub wechseln.

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Wien – Im Fußball spricht man von Transferfieber. Wer wechselt zu welchem Klub, wer holt sich wen, was bringt der Neue, und wie viel Geld ist im Spiel? Auch in der österreichischen Innenpolitik gab es zuletzt eine hohe Transferdichte. Gleich vier Abgeordnete des Teams Stronach laufen in Zukunft für die schwarze Mannschaft im Trikot der ÖVP auf das parlamentarische Spielfeld. Und: Auch da spielt Geld eine Rolle. Denn jeder Abgeordnete mehr (oder weniger) ist für einen Klub zumindest 48.118 Euro wert (siehe Infobox unten).

FPÖ will Wechselgeld abschaffen

Aus diesem Anlass ist eine Debatte um die Klubfinanzierung entbrannt. Die FPÖ, die unlängst selbst zwei Abgeordnete durch deren Ausschluss verlor (sie sind nun als "Freie" im Hohen Haus), die aber auch schon Ankerplatz für Wechselwillige war (zum Beispiel 2010 für die Abgeordneten der Kärntner Freiheitlichen), möchte, dass künftig die neue Partei für die gewechselten Abgeordneten keine Klubförderung mehr erhalten soll.

Laut Ö1-"Morgenjournal" vom Mittwoch können Grüne und Neos diesem Plan etwas abgewinnen. Für die Neos ist auch eine "Cooling off"-Periode vor einem Klubwechsel vorstellbar, die Grünen hoffen auf einen gemeinsamen Oppositionsantrag diesbezüglich.

SPÖ und ÖVP gesprächsbereit

Gesprächsbereit ist auch SPÖ-Klubchef Andreas Schieder. Es sei sicher nicht im Sinne der Geschäftsordnung des Nationalrats, dass ein Wechsel "so einfach vonstattengehen kann". ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka sagte zum STANDARD: "Wir sind gerne diskussionsbereit. Ich warte jetzt auf einen konkreten Gesetzesvorschlag." Er weist allerdings auch darauf hin, "dass die Klubförderung zurzeit kleine Fraktionen ohnehin stark begünstigt".

Dass ein Klubwechsel heute "so einfach vonstattengehen kann", wie Schieder sagt, sei übrigens eine "Fernwirkung eines Präjudizes" des damaligen Nationalratspräsidenten Heinz Fischer (SPÖ), erklärt Politikwissenschafter Hubert Sickinger. Dieser konnte 1996 einen fliegenden Wechsel des LIF-Abgeordneten Reinhard Firlinger zur FPÖ mit Blick auf die 1993 vorausgegangene und von ihm problemlos zur Kenntnis genommene Gründung des Liberalen Forums (LIF) schlecht verweigern – oder nur um den Vorwurf "politischer Doppelstandards", sagt Sickinger im STANDARD-Gespräch.

Ein schlampiger Präzedenzfall

Aus diesem Wechsel wurde ein "Gewohnheitsrecht, dass so ein Wechsel zulässig sei. Weil man einmal augenzwinkernd schlampig war, hat man für immer ein Präjudiz." Für den Parteienfinanzierungsexperten besagt Paragraf 7 der Nationalratsgeschäftsordnung, juristisch streng interpretiert, dass "Klubübertritte eigentlich nicht zulässig sein dürften", womit sich die Problematik der Klubförderung gar nicht stelle.

Wollte man die finanziellen Vorteile des neuen Klubs streichen, müsste man das Klubfinanzierungsgesetz ändern – mit Zustimmung der ÖVP, was realpolitisch wenig wahrscheinlich sei.

Moralisch höchst fragwürdige Wechsel

Als Politikwissenschafter hält Sickinger die dotierte Wechselpraxis für "höchst problematisch, wenn ein Abgeordneter für eine Partei kandidiert hat, die ein direktes Gegenprojekt zur Regierung war, und dann just zu einer dieser Regierungsparteien wechselt. Das ist ein Vertrauensbruch gegenüber den Wählern, an deren Mandat der Abgeordnete zumindest moralisch gebunden ist."

Für Verfassungsjurist Theo Öhlinger ist abgesehen von der "parlamentarischen Praxis, dass ein Klubwechsel als rechtlich zulässig gilt, auch wenn rein vom Wortlaut her sicher verschiedene Auslegungen möglich wären", eine Änderung "wünschenswert und verfassungsrechtlich auch zulässig, weil das ein sachlicher Grund ist", sagte er zum STANDARD: "Ein Parlamentsklub soll in seiner Stärke, die er aus der Wahl ableiten kann, finanziert werden. Die Stärke des Klubs soll vom Wähler abhängen und nicht von Manipulationen nach der Wahl. Es soll keinen Anreiz zum Klubwechsel geben, der ja jetzt dem neuen Klub deutlich mehr Geld bringt."

Nationalrat müsste jedem Wechsel zustimmen

Verfassungsjurist Heinz Mayer kritisiert im Gespräch mit dem STANDARD ein gravierenderes juristisches Problem bei der derzeitigen Praxis. "Wenn ein Abgeordneter in eine andere Partei wechselt, dann müsste der Nationalrat mit Mehrheit zustimmen – so wie bei der Gründung eines neuen Klubs durch Abgeordnete verschiedener Parteien." Dann wäre auch Klubförderung berechtigt.

Ansonsten könnten Überläufer ja als "freie Mitarbeiter" bei einem anderen Klub andocken – aber eben ohne finanzielle Mitgift für den Klub. (Lisa Nimmervoll, 5.8.2015)