Es begann damit, dass der reichere Teil Italiens den Mezzogiorno von sich strampelte, worauf dieser beschloss, mit Absatz und Stiefelspitze den Peloponnes zu umarmen. In dieser neuen Konstellation sah nun Zypern, das sich schon immer in die nordöstliche Mittelmeerecke abgedrängt gefühlt hatte, seine Chance, zog flugs an Kreta vorbei und dockte an den frei gewordenen Rumpf Italiens an. Dies wiederum wollte Kreta nicht hinnehmen und legte sich rustikal-starrköpfig, wie es schon immer gewesen war, als Riegel zwischen Arkadien und die Cyrenaika und machte so aus dem Mare Nostrum zwei. Lampedusa, das schon lange die Schnauze voll hatte, packte die Gelegenheit und machte den Balearen schöne Augen. Seither ankert es in Sichtweite Ibizas und hat sich einen einschlägigen Ruf als härteste Partyinsel zwischen Tel Aviv und Gibraltar erarbeitet. Im Zuge dieser Realitätsflucht entsann Dänemark sich seiner fast vergessenen humanitären Tradition und bot Bornholm als Ersatz für Lampedusa an, was Italien wiederum von sich wies und die abgehalfterte Gefängnisinsel Pianosa zum Flüchtlingsdienst vorschickte. Kein Wunder, erlebt das Vorurteil vom mediterranen Laisser-faire eine Renaissance. Das lutheranische Europa droht schon mal mit einer neuen Troika. (Jens Steiner, Album, 15.8.2015)