Bild nicht mehr verfügbar.

Die dunkle Seite von Amazon meint die "New York Times" aufgedeckt zu haben.

Foto: JASON REDMOND / REUTERS

Amazon gehört zu den großen Erfolgsgeschichten des Internet-Zeitalters. Vor rund 20 Jahren gegründet, dominiert man bis heute den Onlinehandel in beeindruckender Weise. Mehr als 150.000 Mitarbeiter hat das Unternehmen mittlerweile, der Umsatz kratzt an der 100-Milliarden-Dollar-Grenze.

Hinter den Kulissen

Eine Erfolgsgeschichte, die aber offenbar eine reichlich dunkle Kehrseite hat: In einem aktuellen Hintergrundartikel setzt sich die "New York Times" ausführlich mit den Arbeitsbedingungen der Amazon-Mitarbeiter auseinander – und zeichnet dabei ein geradezu brutales Bild des von Jeff Bezos gegründeten Unternehmens.

Krebs? Ein Problem

So wird darin etwa die Geschichte einer Mitarbeiterin des Kindle-Teams erzählt, die ihre Überstunden und Wochenendeinsätze reduzieren musste, da ihr Vater an Krebs erkrankt war – was umgehend zu einer schlechteren Bewertung ihrer Performance geführt habe. Der Wechsel auf einen anderen Posten, bei dem, nicht wie sonst bei Amazon üblich, unzählige Überstunden erwartet werden, wurde abgelehnt. Stattdessen bezeichnete sie ihr direkter Vorgesetzter als "ein Problem". Sie entschloss sich daraufhin – als ihr Vater bereits im Sterben lag –, eine Auszeit zu nehmen und nicht mehr zu Amazon zurückzukehren.

Eine andere Mitarbeiterin erzählt davon, wie sie nach einer Behandlung wegen Schilddrüsenkrebs an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte und ihr umgehend erklärt wurde, dass sie zu langsam sei und man ohne sie viel mehr erreicht habe. Auch sonst gibt es mehrere Berichte von Mitarbeiterinnen, die mit schlechten Bewertungen auf die interne Abschussliste gesetzt wurden, nachdem sie an Krebs erkrankt waren.

Immer einsatzbereit

Eine weitere Mitarbeiterin wurde angeblich direkt am Tag nach einer Fehlgeburt dazu gezwungen, eine Geschäftsreise anzutreten, weil "die Arbeit trotzdem erledigt werden müsse", wie ihr ihr Vorgesetzter mitteilte. Dies verbunden mit dem Hinweis, dass Amazon möglicherweise nicht der richtige Arbeitsplatz sei, wenn sie gerade eine Familie gründen wolle.

Große Leistungen, große Opfer

Ganz allgemein beschreibt Amazon die eigene Philosophie folgendermaßen: "Das ist eine Firma, die große, bahnbrechende Dinge erreichen will – und das ist nicht einfach", so Susan Harker, Chef-Anwerberin des Onlinehändlers. Nur um nachzuschieben: "Für manche Leute passt das halt nicht."

Einer davon ist wohl Bo Olson, ein ehemaliger Mitarbeiter im Buch-Marketing bei Amazon. In den rund zwei Jahren, die er bei dem Unternehmen tätig war, habe er praktisch jeden Mitarbeiter mindestens einmal am Arbeitsplatz weinen sehen, beschreibt Olson das vorherrschende Klima.

Sektenartig

Andere ehemalige Mitarbeiter beschreiben Amazon wie eine Sekte: Neue Mitarbeiter werden umgehend indoktriniert und ihnen wird beigebracht, dass sie alles, was sie je bei anderen Unternehmen gelernt haben, vergessen sollen. Es gebe ein internes, geheimes Feedbacksystem, über das Mitarbeiter einander bewerten können – oder um genauer zu sein: um einander bei ihren jeweiligen Chefs anzuschwärzen.

Diskussionen

Der Artikel der "New York Times" hat umgehend erhitzte Diskussionen in der US-Tech-Branche ausgelöst. Während sich einige über diese Zustände empört zeigen, wollen andere darin kein Problem erkennen. Der Bericht sei voller Fehler, kritisiert etwa ein aktueller Amazon-Mitarbeiter auf Linkedin – ohne dabei aber die Kernpunkte zu entkräften, wie Dritte wiederum kommentieren. Andere Beobachter betonen hingegen trocken, dass solche Bedingungen nicht ungewöhnlich seien – die US-Tech-Branche sei nun mal ein harter Ort, dafür verdiene man gut. Amazon sei halt kein Platz für Faule, legt etwa Investor Marc Andreessen in einem Tweet nahe.

Reaktion

Unterdessen hat Amazon-Chef Jeff Bezos mit einem internen Memo auf den Artikel reagiert. Der Artikel beschreibe nicht jenes Amazon, das er kenne. Eine solche Missbrauchskultur würde von ihm nicht akzeptiert. Insofern bitte er alle Mitarbeiter, entsprechende Vorfälle zu melden, falls sie tatsächlich vorkommen sollten.

Leiharbeiter

In Europa stand Amazon in der Vergangenheit ebenfalls bereits mehrfach wegen seiner Arbeitsbedingungen in der Kritik – hier allerdings vor allem wegen der Zustände in den Auslieferzentren. So hatte etwa eine ARD-Doku im Jahr 2013 aufgedeckt, dass polnische Leiharbeiter von deutschen Neonazis beaufsichtigt wurden, die ihre Ideologie auch gar nicht verschleiern wollten. Der Sicherheitsdienst nannte sich schlicht "H.E.S.S.", woran sich Amazon bis zu dem Bericht offenbar nicht gestoßen hatte. (red, 17.8.2015)