Aufnahmen des kleinen Fingerknochens einer linken Hand, der im Norden Tansanias entdeckt wurde. Der weiße Balken misst einen Zentimeter.

Foto: : M. Domínguez-Rodrigo

Verortung des OH 86 genannten Fragments in einer menschlichen Hand.

Foto: Jason Heaton

Dodoma/Wien – Die Olduvaischlucht im Norden Tansanias ist eine der wichtigsten paläontologischen Fundstätten der Welt – insbesondere, was die frühe Evolutionsgeschichte des Menschen betrifft. Hier wurden in den vergangenen hundert Jahren wissenschaftlich unschätzbar wertvolle Überreste etwa von Homo habilis, dem Australopithecinen Paranthropus boisei, Homo erectus und Homo sapiens ausgegraben.

Nun vermelden Forscher um Manuel Domínguez-Rodrigo von der Complutense Universität in Madrid einen weiteren aufsehenerregenden Fund. Sie beschreiben im Fachblatt "Nature Communications" den Knochen eines linken kleinen Fingers, dessen Form deutlich an die Anatomie moderner Menschenhände erinnert.

Das Verblüffende daran: Das Knochenfragment ist 1,84 Millionen Jahre alt – und passt zu keinem bekannten Urmenschen, der zu dieser Zeit in der Region existierte. Paranthropus boisei etwa, der damals nachweislich in der Olduvaischlucht lebte, wies noch erkennbar gebogene Fingerknochen auf, womöglich das Überbleibsel einer frühen baumbewohnenden Lebensweise.

Unbekannte Spezies?

Auch die Finger von Homo habilis, der die Region zu besagter Zeit ebenfalls schon bewohnte, unterschieden sich deutlich von dem nun entdeckten Knochen, der den Namen Olduvai Hominin 86 erhielt. In Größe und Form ähnle er eher dem kleinen Finger von Homo erectus, doch auch diese Herkunft halten die Forscher zeitlich und räumlich für unwahrscheinlich.

Bliebe also nur noch eine Erklärung: Der Finger stammt von einem anderen, bislang unbekannten Urmenschen, der im heutigen Tansania mit Paranthropus boisei und Homo habilis koexistierte und dem modernen Menschen bereits ähnlicher war als seine Zeitgenossen.

Hoffen auf weitere Funde

Beweisen lässt sich diese reizvolle Theorie derzeit freilich nicht. Um die rätselhafte Herkunft von OH 86 zu klären, bedürfte es wohl weiterer Funde von Überresten seines mysteriösen Besitzers. Klar scheint aber jetzt schon, dass sich wichtige Entwicklungsmerkmale der modernen menschlichen Hand früher herausgebildet haben, als bisher angenommen.

Andere Forscher warnen indes vor allzu voreiligen Schlussfolgerungen: "Dieser einzelne Knochen sagt nichts darüber, wie der Rest der Hand aussah, und noch weniger über das Skelett", schrieb etwa die Anthropologin Tracy L. Kivell von der University of Kent. (dare, 19.8.2015)