Je schwerer das Besteck, umso besser schmeckt uns das Essen.

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Charles Spence ist Professor für Psychologie an der Universität Oxford und beschäftigt sich mit Fragen rund um Geschirr und Essen.

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Das letzte Buch, das Charles Spence gemeinsam mit Betina Piqueras-Fiszman herausbrachte, trägt den Titel "The Perfect Meal. The multisensory science of food and dining". Das Vorwort schrieb Heston Blumenthal, erschienen ist das Buch im Wiley-Blackwell-Verlag (424 Seiten, 37 Euro).

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In der Regel sind Teller weitgehend weiß, Besteck unterscheidet sich so wenig voneinander wie kaum ein anderer Alltagsgegenstand, und dennoch heißt es, "das Auge isst mit". Das weiß keiner besser als der Wissenschafter Charles Spence, der sich seit Jahren nicht nur mit Essen, sondern vor allem mit dem Drumherum wie Teller und Besteck beschäftigt. Nach dem Gespräch mit dem Professor bekommt man einen Bärenhunger auf eine ausgedehnte Mahlzeit, aber bloß nicht auf einem normalen Teller serviert und am besten mit den Händen zum Mund geführt.

Wie dieser Fisch geschmeckt hat, hängt nicht nur von ihm allein ab.
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STANDARD: In Ihren Forschungen zum Thema Essen beschäftigen Sie sich mehr mit dem Auge als mit dem Gaumen. Warum?

Charles Spence: Dieses isst mehr mit, als die meisten Menschen glauben. Das Optische rund um ein Mahl gibt sehr viel ans Hirn weiter. Das wussten schon die Römer, wir aber haben heute die Möglichkeit, das zu erforschen. Bevor wir ein Essen kosten, sehen wir es. Und dieser Eindruck erweckt Erwartungen. Das bestätigten auch die Forschungen der Neurowissenschaft.

STANDARD: Posten deshalb so viele Menschen Bilder von Essen auf Social-Media-Plattformen?

Spence: Exakt. Wir leben in Zeiten des Gastro-Porn. Das hat mit den unzähligen Kochshows angefangen. Sehen wir Essen, reagiert unser Hirn einzigartig. Das wissen auch viele Profi-Köche. Über die Jahre wurden der Bereich der Food-Fotografie und die Inszenierung von Mahlzeiten immer wichtiger.

STANDARD: Warum sind dann die meisten Teller immer noch weiß und rund?

Spence: Das ist in der Tat interessant und außerdem auch langweilig. Die Innovationen in der Küche waren in den letzten Jahren enorm, das fängt bei den Zutaten an, die heute verwendet werden. In Sachen "Hardware", ich meine damit Teller und Besteck, hat sich nicht besonders viel getan. Aber auch auf diesem Gebiet ist einiges im Umbruch, und es wird viel experimentiert. Manche Köche servieren Essen auf Tablet-Computern. Für ein Steak wohl kaum die richtige Unterlage. Wie auch immer, ich denke, der weiße Teller wird seltener werden, denn auch der Teller spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle.

STANDARD: Inwiefern?

Spence: Die Farbe eines Tellers beeinflusst unser Geschmacksempfinden. Legen Sie ein Stück Kokos auf einen weißen Teller und danach auf einen Schwarzen, und Sie werden sehen, was ich meine. Farben und Formen wirken sich definitiv auf die Lust auf das Essen aus. Es geht so weit, dass sich die Form eines Tellers auf das Empfinden von süßem oder saurem Geschmack auswirken kann. Ferner existiert diesbezüglich die Theorie, dass das Gehirn eine Art Register von Geschmackserlebnissen führt und neue Geschmäcker mit diesem vergleicht. In diesem sind auch Farbassoziationen gespeichert. Erstaunlich.

STANDARD: Apropos Geschmack: Es gibt Kulturen, in denen mit den Händen gegessen wird. Was halten Sie davon?

Spence: Ich sage Ihnen, was Starköche davon halten: Nehmen Sie den Drei-Sterne-Koch Heston Blumenthal oder das Restaurant Noma in Kopenhagen. Manche Gänge des Degustationsmenüs werden dort mit den Fingern gegessen. Da gibt es kein Besteck. Hätte man Ihnen vor 20 Jahren gesagt, dass man 20 Jahre später in einem Spitzenrestaurant mit den Fingern isst, hätten Sie das niemals geglaubt. Es ist gut, dass diese Köche anfangen, Konventionen zu hinterfragen.

STANDARD: Was können Sie über die Bedeutung der Umgebung während einer Mahlzeit erzählen?

Spence: Auch die ist wichtiger, als die meisten Menschen glauben. Viele Köche unterschätzen diese Bedeutung. Musik, Licht, Möbel – all das spielt eine große Rolle. Ist zum Beispiel die Musik laut und schnell, trinken Sie Ihr Bier schneller und essen auch geschwinder. Es gibt natürlich auch einige Chefs, die das längst erkannt haben und neue Technologien einsetzen, um die Umgebung jedem Gang entsprechend zu verändern. Dabei genügt es manchmal einfach, die Musik leiser zu drehen – oder schwereres Besteck zu kaufen.

STANDARD: Wozu das denn?

Spence: Das Essen schmeckt besser, wenn das Besteck schwerer ist.

STANDARD: Kein Schmäh?

Spence: Nein, Gewicht spielt auch bei Autoschlüsseln, Weinflaschen, Lippenstiften und Fernbedienungen keine zu unterschätzende Rolle. Wir führten eine Studie in Schottland durch: Die Hälfte der Gäste in einem Restaurant aß mit einem leichteren, die andere Hälfte mit einem schweren Besteck. Serviert wurde allen das Gleiche. Jene mit dem schweren Besteck bewerteten das Mahl signifikant besser. Viele Köche denken einfach nur an das Essen. Das ist zu wenig.

STANDARD: Das Besteck in der westlichen Welt ist meistens aus Metall und fühlt sich kalt an. Essstäbchen hingegen sind oft aus Holz oder Kunststoff. Was sagt das Esswerkzeug über eine Gesellschaft aus?

Spence: Es gibt auch Essstäbchen aus Metall. Sagen wir es so: Versuchen Sie mal ein saftiges Steak mit Stäbchen zu essen. Diesbezüglich geht es sehr viel um Gewohnheiten, die sich über lange Zeit entwickelten. Nehmen Sie zum Beispiel eine Computertastatur. Die ist von der Buchstabenanordnung auch nicht optimal gestaltet. Sie wurde halt seinerzeit so festgelegt und nie verändert. Wir sind Messer und Gabel einfach gewöhnt. Würde man heute ein Esswerkzeug erfinden, wäre die Rücksicht auf Materialien und Formen bestimmt ein größere. Eine Zahnbürste zum Beispiel fühlt sich viel angenehmer in der Hand an als eine Gabel. Das gilt auch für Tassen. Manche Leute haben eine Lieblingstasse, aus denen ihnen der Kaffee auch tatsächlich besser schmeckt. Aber wer hat schon eine Lieblingsgabel! Wäre Besteck anders gestaltet, vielleicht auf Ihren speziellen Mund hin, würden Sie es vielleicht sogar mit ins Restaurant nehmen.

STANDARD: Die Beziehung zum Besteck könnte also eine bessere sein?

Spence: Natürlich. Lassen Sie mich noch einmal die Zahnbürste hernehmen. Sie würden Ihre Zahnbürste niemals jemandem anderen leihen. Im Restaurant kommen Sie aber nicht einmal auf den Gedanken, dass die Gabel, die Sie in den Mund stecken, eventuell bereits in tausenden anderen Mündern war. Geschirrspüler hin oder her. Stimmt's?

STANDARD: Ab jetzt vielleicht schon ... Zurück nach Asien: Der französische Philosoph Roland Barthes schrieb in seinem Buch "Das Reich der Zeichen" im Zusammenhang mit unseren Esssitten unter anderem von einer "Gebärde des Beutemachens". Beim Essen mit Stäbchen spricht er von etwas Mütterlichem, von etwas Behutsamem. Stimmen Sie ihm zu?

Spence: Ich sag's Ihnen gleich, ich bin kein großer Fan der französischen Philosophen. Ich würde dazu sagen, dass ein Besteckmesser heute nicht mehr diese Brutalität einer Waffe ausstrahlt. Es ist in der Regel kein spitzer, scharfer Dolch. Und noch etwas: Schauen Sie sich mal ein ordentliches chinesisches Fleischerbeil an, auch nicht gerade ein friedlich wirkender Gegenstand. Mir wäre es diesbezüglich wichtiger, daran zu denken, was unser Essen ist beziehungsweise einmal war. Vor allem wenn es um Fleisch geht, sollten wir sensibler werden. Mir fällt an dieser Stelle dieses eine Besteck ein, das mit Hasenfell überzogen ist. Das bringt einem das Tier definitiv näher, das man verspeist.

STANDARD: Meine zehnjährige Tochter nimmt gern einen Porzellanlöffel aus der Bestecklade. Befindet sich dieser im Geschirrspüler, greift sie zu einem aus Kunststoff. Sind Kinder diesbezüglich sensibler?

Spence: Was die Forschung betreffend Geschmack und Kinder betrifft, gibt es noch viel zu tun. Es ist klar, dass Kinder mehr auf Farben achten und dass sie Süßes auch deshalb so gern haben, weil es beim Wachsen hilft. Ferner gehen sie heute anders mit Konventionen um, der Sager "Spiel nicht mit dem Essen", ist auch nicht mehr so präsent wie früher.

STANDARD: Wie schaut's eigentlich mit Gläsern aus? Wir haben heute beinahe für jede Rebsorte ein Weinglas. Die Leute kaufen auch immer noch Champagnerflöten, obwohl diese Glasform in der Regel nicht ideal für diese Art von Wein ist.

Spence: Tests mit Personen, die verschiedene Gläser beim Trinken nicht in die Hand nehmen durften, ergaben, dass sie keinen geschmacklichen Unterschied feststellen konnten. Es kommt auch hier sehr viel auf Sehen und Spüren von Materialien und Formen an. Der Rest ist eher eine psychologische Angelegenheit, Gewohnheitssache und eine Menge Marketing.

STANDARD: Welcher Gegenstand in der Küche ist für Sie der faszinierendste?

Spence: Ich denke, es ist das Besteck, weil es einfach das Hauptwerkzeug beim Essen ist. Und gerade deshalb beschäftigt mich die Frage, warum es sich so wenig verändert hat. Erst im Jahr 2011 gab es die erste psychologische Studie betreffend des Einflusses von Besteck auf unseren Geschmack.

STANDARD: Welches ist das wichtigste Objekt in einer Küche?

Spence: Diesbezüglich möchte ich ein bisschen in die Zukunft schauen: Ich bin sehr fasziniert von "Sous-vide", also dem Vakuumgaren von Speisen in einem Beutel. Das könnte eines Tages die neue Mikrowelle werden. Ferner beschäftigt mich der Bereich von digitalen Kochbüchern, die kommen werden.

STANDARD: Das Buch, das Sie mit der Wissenschafterin Betina Piqueras-Fiszman von der niederländischen Wageningen-Universität herausbrachten, trägt den Titel "The Perfect Meal". Erzählen Sie uns von Ihrem perfekten Mahl.

Spence: Da fallen mir zwei ein, eines fand im Restaurant Le Chateaubriand in Paris statt. Aber ich möchte lieber vom anderen erzählen: Meine Frau stammt aus Kolumbien, deshalb fahren wir von Zeit zu Zeit dort rüber. Also: Das zweite perfekte Mahl fand in einer Art Hütte statt. Meine Eltern und mein Bruder waren auch dabei. Die Hütte stand mitten in einer Art Kreisverkehr, die Taxis brausten hupend um uns herum, die Stühle waren aus Plastik, das Besteck ebenso, und serviert wurde ein Garnelencocktail, wie man ihn in London in den 70er-Jahren mochte. Also im Prinzip passte nichts – und doch so viel. Eine gute Zeit mit den richtigen Leuten zu haben kann manchmal mehr als ein Sterne-Restaurant. Das perfekte Mahl, das kann also auch dieser Garnelencocktail oder Fish 'n' Chips irgendwo am Meer sein. (Michael Hausenblas, Rondo, 27.8.2015)