Chinesische Ehrenformationen üben für die Pekinger Militärparade am Truppenübungsplatz Yangfeng, an der erstmals auch 62 Soldatinnen teilnehmen werden. Im Hintergrund ist auf einem Plakat mit Staats- und Armeechef Xi Jinping vor Flugzeugträgern zu sehen.

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Jeder Schritt, jede Bewegung im chinesischen Frauenbataillon muss sitzen und im Gleichklang ausgeführt sein. Die Marschierenden dürfen keine Miene verziehen, auch wenn Füße und Schultern schmerzen. Sie halten fast vier Kilo schwere Maschinenpistolen gerade im Arm, üben acht Stunden an sechs Tagen pro Woche. Sie marschieren in brütender Hitze immer wieder auf und ab – im Stechschritt. Oberleutnant Cheng Cheng verrät die Qualen der vergangenen drei Monate: "Wir haben Blasen an den Zehen. Jeden Monat habe ich ein Paar Stiefel verschlissen."

Die hochgewachsene 28-jährige Elitesoldatin gibt bereitwillig Auskunft. Sie leitet eine der Ehrenformationen bei der gigantischen Pekinger Militärparade am 3. September aus Anlass des 70. Jahrestags der Kapitulation Japans. Sie werden vor dem Haupttross der Armee an Chinas Partei- und Armeeführer Xi Jinping am Tiananmen-Tor vorbeimarschieren. 62 Frauen haben die strengen Auswahlprüfungen dafür bestanden. "Unser Gardemaß ist 175 Zentimeter. Und auch, wie man sich korrekt schminkt, gehört zur Ausbildung", sagt Cheng lachend. "Frauen sind Imagebotschafter der Parade."

60 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Peking arbeitet Cheng auf dem Truppenübungsplatz Yangfeng, wenige Kilometer von der Großen Mauer bei Badaling entfernt. Der Armeestandort, wo seit Juni Paradesoldaten ihren Schliff erhalten, ist eigentlich geheim. Pekinger Behörden erlaubten nun erstmals Auslandskorrespondenten, darunter jenem des STANDARD, sich dort umzuschauen.

Doch die Transparenz endet schon beim Zuschauen, wie mehrere Hundert Soldaten der Ehrenformation alle die gleichen Stechschritte einüben. Das Training der Armee in den Bergen an den schweren Waffensystemen gehört nicht zum Programm des Tages der offenen Tür – denn zahlreiche und teils extreme Sicherheitsmaßnahmen schützen die größte und modernste Waffenschau "made in China", die die Volksrepublik seit ihrer Gründung veranstaltet hat, vor zu vielen Blicken. 12.000 Soldaten werden 70 Minuten lang marschieren, hatte zuvor der zuständige Militärsprecher des Generalstabs Qu Ru verraten.

Parade der Superlative ...

Die Luftwaffe wird mit 200 Maschinen den Tiananmen überfliegen; am Boden werden Panzereinheiten und 500 andere Waffensysteme am Platz des Himmlischen Friedens vorbeirollen, wo die Armee einst in ihrer unrühmlichsten Stunde – am 4. Juni 1989 – die Studentenproteste niederwalzen ließ.

"84 Prozent aller Waffen, die wir zeigen werden, sind noch nie öffentlich vorgeführt worden", sagt Sprecher Qu. Alle Ausrüstungen seien "made in China", und sie richteten sich gegen kein anderes Land. Peking verkündet offiziell, es wolle ein Zeichen des Friedens setzen, damit sich die Geschichte der Aggression, die 1945 mit der Kapitulation Japans endete, nie mehr wiederholen kann.

Chinesische Militärs aber überbieten sich mit Ankündigungen, wie waffenstark ihre 2,3-Millionen-Mann-Armee nach einem Jahrzehnt zweistelliger jährlicher Steigerungen des Wehretats geworden ist. Die strategischen Raketeneinheiten wollen sieben Waffensysteme zeigen, darunter ihre Interkontinental- und Atomraketen, verrieten sie der Nachrichtenagentur Xinhua. "Wir haben große Fortschritte erzielt bei der Reichweite, Schlagkraft, Treffsicherheit und Mobilität unserer Raketen. Ausmaß und Anzahl werden alle früheren Paraden übertreffen."

Armeesprecher Qu nennt die Absicht, viele neue Waffensysteme zu zeigen, einen Beweis für Transparenz. Sie demonstrierten Chinas "Entschlossenheit und Fähigkeit, den Weltfrieden zu erhalten und seine Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen schützen zu können". Damit umschreibt er eigentlich alles als militärisch schützenswert – auch Pekings Anspruch auf 90 Prozent der Meeresgebiete und Inseln im Südchinesischen Meer. Dort hat Chinas Marine laut US-Verteidigungsministerium als neue Stützpunkte Inseln im Ausmaß einer Fläche von 1170 Hektar ausbauen lassen.

... dennoch schlechtes Image

Auch deshalb ist es um das Friedensimage Pekings im Ausland schlecht bestellt, schreiben hochrangige chinesische Strategen. In Public Diplomacy Quarterly ziehen sie eine Bilanz nach Auswertung von 52.208 Berichten, die 2014 in Auslandsmedien über die Armee erschienen: Die Hälfte aller Berichte und Analysen seien "Warnungen und Negativmeldungen".

Das Image wird durch die Parade trotz der 2400 mitmarschierenden Sänger nicht besser werden. Zu ihrer Sicherheit und der zurzeit stattfindenden Leichtathletik-WM ist Peking in einen Kontrollwahn verfallen. Die Stadt hat ein Millionenheer ziviler Aufpasser und "Freiwilliger" mobilisiert.

Der Schulbeginn wurde um eine Woche auf den 7. September verschoben. Seit Tagen darf abwechselnd auch nur noch jeder zweite Pkw fahren. Mehr als 10.000 Fabriken und Baustellen in sechs Provinzen rund um Peking wurden geschlossen, damit am 3. September beim Armeemarsch "gute Luft und gute Sicht" vorherrschen.

Oberleutnant Cheng braucht sich darum nicht zu sorgen. Von ihr und den anderen Soldatinnen wird nur perfekter Stechschritt erwartet. "Alle unsere Frauen sind enorm motiviert. Sie haben sich sogar gemeldet, länger als die täglichen acht Stunden zu üben." Und in ihren Wohnheimen zählen täglich neu angeschlagene Plakate den Countdown, am Donnerstag: "Noch sechs Tage bis zur Parade!" (Johnny Erling aus Yangfeng und Peking, 27.8.2015)