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Wer in den toten Flüchtlingen, die am Donnerstag in einem Lkw auf der Ostautobahn bei Neusiedl am See gefunden wurden, nur das Werk der Schlepper sieht, verleugnet die Ursachen.

FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER

Zwanzig bis siebzig tote Flüchtlinge in einem kleinen Lkw! Nein und tausendmal nein, diese unfassbare Tragödie ist nicht das Werk von Schleppern. Wer dieses Wort angesichts der Toten wieder in den Mund nimmt – und sie werden es in den Mund nehmen –, der verleugnet die Ursachen, deckt die Schuldigen, betrügt die Menschen, der schmäht die Opfer.

Dieses unsägliche Verbrechen ist das Werk einer Politik, die Flucht vor Krieg, Terror und Verfolgung mit allen Mitteln vereitelt, den Flüchtenden systematisch und vorsätzlich jeden legalen Fluchtweg versperrt hat. Es ist das Werk einer Politik, die ihnen die Möglichkeit genommen hat, in unseren Botschaften um Asyl anzusuchen, die mit ihren Verfolgerstaaten kooperiert und sie dafür bezahlt, die Fluchtrouten zu sperren.

Das Werk der Politik

Dieses Sterben ist die unmittelbare Verantwortung einer Politik, die es Fluggesellschaften unter hohen Strafen verbietet, Asylsuchende direkt in unser Land zu befördern, die mit Dublin III gegen die Genfer Konvention jeden Flüchtling abweisen kann, der es trotzdem schafft, sich bis zu uns durchzuschlagen, durch die völlig überforderten, überfüllten und wirtschaftlich schwer angeschlagenen Anrainerstaaten des Mittelmeers und durch die ärmsten der Balkanstaaten, die ihnen keine Sicherheit und keine Versorgung, ja nicht einmal das nackte Leben gewährleisten können.

Dieses Grauen ist das Werk einer Politik, die das Schlepperwesen erst hervorgebracht hat. Diese rechtlose Politik, die in ihrer Abschreckungswut jeden Fluchthelfer und jegliche Fluchthilfe kriminalisiert, ohne die doch Flucht niemals in der Menschheitsgeschichte gelingen konnte, diese Politik und nichts anderes treibt die Verzweifelten in die Fänge der Schlepper.

Zeit für einen Sondergipfel

Diese Tragödie ist das Werk einer offen nationalistischen Politik, die alle Konzepte der Europäischen Kommission auf dem Gipfel von Tampere 1998 (!) zu einer gemeinsamen solidarischen Asylpolitik, zu gemeinsamen Asylstandards und zu einer fairen Lastenverteilung abgeschmettert hat. Das Triumphgeheul des ersten österreichischen Ratspräsidenten darüber hämmert heute noch in meinem Kopf.

Ist es jetzt endlich Zeit für einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs, für eine Sondersitzung des Europäischen Parlaments? Ist es nun endlich Zeit, die verblendete Abschreckungspolitik, die Kumpanei mit Schreckensregimen und die jährlichen Kürzungsorgien in der Entwicklungszusammenarbeit zu beenden, endlich wieder legale Fluchtwege zu öffnen und unsere Botschaften? Ist es jetzt endlich Zeit für große Initiativen der europäischen Außenpolitik zur Befriedung im Nahen Osten? Oder kommen nach den Stacheldrahtzäunen nun die Minenfelder um Europa?

Diese Tragödie war absehbar. Sie war nur eine Frage der Zeit. So wie die nächste. Ist jetzt endlich der Augenblick gekommen für ein gemeinsames Vorgehen Europas gegen die Ursachen der Flucht, gegen die Zerstörung ihrer Heimat und zur Rettung der Flüchtenden? (Johannes Voggenhuber, 28.8.2015)