Mit Beginn des neuen Jahrtausends sind etliche Veränderungen eingetreten, die sich teilweise selbst verstärken und in Summe keinen Aspekt der Unternehmung unberührt lassen: die Globalisierung und ein daraus resultierender Hyperwettbewerb; der Innovationsdruck und der parallele Einzug sozialer Medien, die alles und jeden miteinander verbinden und gleichzeitig eine Transparenz unserer Aktivitäten ermöglichen; der Fortschritt in der Robotik, der uns unangenehme physische Arbeiten abnehmen wird, und künstliche Intelligenzen, welche unsere Fähigkeiten verstärken werden, aber zu Konkurrenten bei der Abwicklung auch komplexer Tätigkeiten werden. Man ist versucht zu sagen, dass der Umwälzungsdruck kaum jemals in der Geschichte der Menschheit größer war.

Die Pull-Ökonomie und das Ende der Kernkompetenzen

Seit Ende der 1990er-Jahre befinden wir uns in einem Zeitalter des Hyperwettbewerbs. Dies bedeutet, dass wir unsere Mitbewerber nicht nur auf einer globalen Ebene betrachten müssen, sondern dass auch andere Markteilnehmer mit großer Leichtigkeit in unser Geschäftsfeld wechseln können: Softwarefirmen, die nun Autos bauen, Versicherungen, die sich mit Smart Housing beschäftigen.

Lernte man noch bis vor kurzem auf Wirtschaftsseminaren, dass es für Unternehmen wichtig ist, Kernkompetenzen zu entwickeln, damit man sich vom Feld der Verfolger anheben kann, so erscheint diese Strategie nun sinnlos oder sogar kontraproduktiv: Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kernkompetenzen global betrachtet schon längst keine mehr sind und die Unternehmung sich an überkommenen Ideen und Fähigkeiten festklammert, ist signifikant. War man in den stabileren Epochen noch der Meinung, dass man auf Basis vermeintlich akkurater Prognosen und Pläne auf Jahre planen und seine Produktion in den Markt werfen konnte (Push), so entfalten sich nunmehr die Grundzüge einer anderen Ökonomie: Es ist der Zwang für ein Dauerfeuer an Innovationen, welche in immer größerer Zahl und Geschwindigkeit notwendig werden, um Wettbewerber zu attackieren und sich kurzfristige und relative Wettbewerbspositionen zu erkämpfen.

Die notwendigen Ressourcen und Talente werden für diese rasante Kette an Innovationen punktuell zusammengezogen (Pull), und die Ergebnisse können sich deutlich von den Vorgängerprodukten unterscheiden.

Das Dilemma der Innovationsdemokratie

Klar ist, dass sich die Organisation und die Führungsmodelle einer Unternehmung in der Pull- wohl von denen der Push-Ökonomie unterscheiden. Von wo sollen nun auf einmal diese Innovationen herkommen? Fast alle Unternehmen stehen hier vor einem Dilemma.

In den letzten Jahrzehnten wurden ja als Antwort auf die Globalisierung die Kosten gesenkt. Damit verschwanden aber auch die Freiräume, die man dringend braucht, um eine Vielzahl von Ideen zu generieren, von denen ja immer nur eine kleine Anzahl in Produkten mündet. Innovation in traditionellen Unternehmen ist – im krassen Gegensatz zum Hohelied der Textbook-Schreiber auf die Projektteams – ein düsteres Kapitel organisationaler Praxis: Die einzelnen Abteilungen stellen ihre (dringend benötigten) Mitarbeiter nur ungern und oft halbherzig für die Teamarbeit ab, die Projektleiter haben oft weder die erforderlichen Befugnisse noch ein energisches Interesse am Projekterfolg. Die vom Managementguru Gary Hamel geforderte Innovationsdemokratie im Sinne der Einbeziehung möglichst vieler Mitarbeiter in den Innovationsprozess scheint schwierig bis unmöglich.

Die Suche nach der Innovation und den Talenten

Wir können erkennen, dass die einzelnen Branchen völlig unterschiedlich auf diese Dilemmata reagieren: So hat die Finanzbranche das Thema der Innovationen mehr oder weniger ausgelagert.

Ein bereits mächtiger Start-up-Bereich für Finanzprodukte ist bereits entstanden. Er wird alle Standardfinanzprodukte abdecken, und zwar in einer Benutzerfreundlichkeit, die höher ist als das gewohnte Filial- und Callcenter-Dienstleistungsniveau. Banken und Versicherungen werden deshalb nicht verschwinden, sondern sich in jene Bereiche zurückziehen, in denen sie (noch) Vorteile genießen, wie beispielsweise im Umgang mit Regulatoren und komplexen Finanzprodukten.

Wenn wir in der Zukunft Geld über soziale Medien überweisen werden, wissen wir wahrscheinlich gar nicht einmal mehr, welche Banken im Hintergrund agieren. Andere Industrien wie etwa die Technologie- und Medienbranche werden versuchen, ihre Organisation zu öffnen und externe Talente in die Wertschöpfung einzubeziehen.

Bezeichnend für diese globale Suche nach externen Talenten ist der dem Sun-Microsystems-Gründer Bill Joy zugeschriebene (und zum Gesetz "Joys' Law" erhobene) Ausspruch "dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die klügsten Leute außerhalb unserer Organisation arbeiten".

Medien etwa versuchen, freie und Amateurjournalisten in ihre Produktion einzubinden, indem sie diese als eine Art Nachrichtenagentur nutzen. Unternehmen nutzen Innovationsplattformen, in denen abertausende Kreative und Wissenschafter organisiert sind, um ihre Probleme und Herausforderungen zu lösen (Jovoto, Innocentive). Wieder andere werden ihre Mitarbeiter auf globalen und mehr oder weniger offenen Plattformen organisieren und sie dann beschäftigen, wenn diese ein bestimmtes Arbeitspaket abwickeln können.

So wird sich etwa die Programmierarbeit immer mehr auf solche globalen Plattformen (Topcoder, Liquid) verlagern. Erstaunlicherweise entwickeln sich dann auch manche dieser Plattformen zu Konkurrenten traditioneller Unternehmen, indem sie die Ressourcen "freier Produzenten" (Zeit, IT, Autos, Wohnungen, Kapital) direkt an Kunden vermitteln und nicht mehr den Weg über traditionelle Unternehmen gehen (Uber oder Airbnb).

Die Öffnung der Patente

In eine ähnliche Richtung geht die verstärkte Zusammenarbeit von Unternehmen, Tüftlern, Start-ups und Interessierten rund um offene Patente. War in der alten Ökonomie noch das Prinzip vorherrschend, dass Wissen Macht ist und die Kernkompetenzen geschützt werden müssen, so zwingt der Hyperwettbewerb Unternehmen nun verstärkt zu einer anderen Vorgehensweise: Patente werden etwa der Öffentlichkeit gespendet (Tesla), oder aber Externe bekommen über offene Schnittstelle Zugang zu Produkten, um eigene Anwendungen für diese zu entwickeln (Apple). Ein faszinierendes Beispiel ist etwa die Watson Cloud, die es Externen ermöglicht, Anwendungen für den IBM-Supercomputer zu entwickeln.

Die Idee hinter solchen Öffnungen ist immer dieselbe: Es ist im Hyperwettbewerb sinnvoller, Wissen zu teilen und andere Unternehmen und Individuen einzubeziehen, die wiederum ihren Beitrag zur Weiterentwicklung und Verbreitung beitragen (und damit auch Geld verdienen), als dies mit begrenzten eigenen Ressourcen zu versuchen.

Der digitale Arbeitsplatz

Solche offenen und global agierenden Unternehmen sind erst denkbar, seit die sozialen Medien ihren Siegeszug angetreten haben. Führte noch in den 1990er-Jahren der Wunsch zu Dezentralisierung und Partizipation von Mitarbeitern schnell zu der Frage, "wie die vielen Rationalitäten wieder einzufangen" wären, und musste dann sogar in der Warnung gipfeln, dass "zu viel Mitarbeiterinnovation den Produktionsablauf destabilisieren könnte", sieht die Wirklichkeit nahezu gegenteilig aus.

In der Tat ist die neue Organisation nur mehr über vernetzende, steuernde virtuelle Plattformen und entsprechend integrierte Arbeitsplätze funktionsfähig. Wir werden in der Zukunft wohl über einen Arbeitsplatz verfügen, der ähnlich wie die bei der Softwareentwicklung verwendeten Kanban-Boards aussehen wird: Uns zugeordnete Arbeitspakete, offene und erledigte Aufgabe werden transparent dargestellt (ebenso die unserer Kollegen) und somit öffentlich.

Diese Tools sind in die Arbeitsabläufe integriert und ermöglichen eine Vernetzung mit anderen Mitarbeitern und externen Partnern: Austausch von Informationen und von Arbeitsergebnissen ist mit jedem und jederzeit möglich. Solche Arbeitsplätze werden auch schon einige komplexitätsreduzierende Steuerungsmechanismen übernehmen, die bislang das Management innehat.

So ist bei den Kanban-Boards heute schon vorgesehen, dass keine neuen Aufgaben begonnen werden können, wenn nicht angefangene Arbeitspakete abgeschlossen sind.

Zusätzlich zu diesen Boards werden wir ein ganzes Arsenal an persönlichen Künstlichen Intelligenzen nutzen – sogenannte Software Agents, die uns helfen, komplexe Daten zu analysieren und die für uns relevanten Informationen zu beschaffen, betriebswirtschaftliche Entscheidungen zu treffen, externe Entwicklungen zu antizipieren und natürlich auch alle möglichen Assistenzfunktionen (schreiben, einkaufen, Termine verwalten, Vorräte auffüllen) zu übernehmen.

Algorithmen: Watching You At Work

Die Steuerung über Algorithmen nimmt in der digitalen Arbeitswelt natürlich zu, mit allen Vor- und Nachteilen.

Das Managen und die Entscheidungsfindung werden empirischer, faktenbasierter als heute. Die vielgerühmte intuitive Entscheidungsfindung erfolgreicher Manager ist ja nichts anderes als ein Notbehelf: Man versucht auf Basis gemachter Erfahrungen zu berechnen, welche Auswirkungen unsere Handlungen in der Zukunft haben werden.

Diese Kalkulationen werden auf Basis unserer digitalen Spuren im Netz und in der Unternehmung nun transparenter und vor allem genauer. Algorithmen können auf Basis historischer Daten viel präzisere Prognosen über unserer Handlungen im Unternehmen, aber auch über das Umfeld erstellen. Schon heute versucht die Personalabteilung, aufgrund von Recherchen im Netz in Erfahrung zu bringen, ob wir in eine bestimmte Position im Unternehmen passen: welche Spiele wir spielen, welche Kurse wir besuchen, welches Feedback wir im Netz bekommen. Derartige Prognosen werden in der Zukunft wohl professionalisiert.

Dies bedeutet natürlich auch, dass der Kampf um die Daten entbrennen wird. Hier wird man wohl zu der Lösung kommen müssen, dass der Avatar des Mitarbeiters, das heißt: alle über ihn gesammelten Daten, diesem zugänglich sein und ihm eine Kommentierungs- und Korrekturfunktion zustehen muss.

Roboter und das Angleichen von Funktionen

Nicht nur unsere Arbeit wird durch Algorithmen gesteuert und transparent gemacht, Roboter werden in absehbarer Zeit die meisten Bearbeitungsvorgänge an Werkstoffen vornehmen. Der heutige Arbeiter mutiert dann zu einem Prozessarbeiter.

Dieser hat keinerlei direkten Kontakt mehr zu dem Produkt, sondern steuert und überwacht den Produktionsvorgang, welcher durch sich teilweise selbst steuernde Roboter durchgeführt wird. Tatsächlich sind viele Arbeiter in Fabriken heute schon genau das: Prozessarbeiter – und dieser Trend wird durch die Industrie 4.0 verstärkt.

Die neuen Arbeiter sind im Gegensatz zum traditionellen Fabrikarbeiter natürlich viel qualifizierter, sie werden künftig auch eine stärkere Verhandlungsmacht im Unternehmen haben, da ihr Einfluss auf den Produktionsprozess steigt. Allerdings sind Arbeiter gleichzeitig viel austauschbarer geworden, da sich die Steuerungssysteme und Algorithmen in allen Industrien angleichen.

Es ist davon auszugehen, dass Arbeiter künftig wie die anderen Funktionen im Unternehmen eine introvertierte Rolle einnehmen. Ihre Aufgaben und Tätigkeiten werden dann wie die des Managements und selbst des nach außen gerichteten Marketings über elektronische Schnittstellen abgehandelt: So wie der Prozessarbeiter mit Algorithmen die Produktion steuert, wird der Marketingfachmann mit Algorithmen Zielgruppen und Communitys analysieren und mit dem Unternehmen vernetzen.

Die Managerin und der Manager werden noch weniger als heute direkt und kraft ihres Charismas Mitarbeiter anleiten, sondern sie werden über soziale Medien diese zur Mitarbeit an kritischen Themen motivieren und die Ressourcen je nach Bedarf bündeln.

Die Folge dieser Entwicklungen: Die Funktionen im Unternehmen, so könnte man prognostizieren, nähern sich immer mehr einander an. Manager und Arbeiter versuchen über das Netz, Komponenten, Kunden und Mitarbeiter zu identifizieren, zu verbinden und zu optimieren. (Ayad Al-Ani, 30.8.2015)