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Flüchtlinge am Montag auf dem Wiener Westbahnhof.

FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER

Hinweistafel der ÖBB an die Helferinnen und Helfer.

Montagabend. Wien, Westbahnhof. Nachdem die ungarische Polizei den großteils syrischen Flüchtlingen, die bereits seit Tagen in Budapest auf dem Bahnhof campierten, überraschend die Weiterreise gestattete, sind im Laufe des Abends einige völlig überfüllte Züge mit übermüdeten, hungrigen und durstigen Menschen in Wien angekommen. Fast alle waren jedoch nur auf der Durchreise. "Which train to Germany?", werde ich ständig gefragt. Vor Ort sind am frühen Abend bereits dutzende Menschen, großteils in meinem Alter, die die ankommenden Flüchtlinge mit Obst, Wasser und Brot versorgen. Dankbar greifen die Flüchtlinge schnell nach ein, zwei Bananen und einer Flasche Wasser, bevor sie in den bereits wartenden Zug nach Salzburg drängen – von dort aus soll es weiter nach Deutschland gehen.

In kürzester Zeit ist im Merkur-Markt am Westbahnhof die gesamte Obstabteilung leergekauft, auch die Regale mit den Wasserflaschen – wir kaufen so viel, wie wir zahlen und tragen können – auch Manner-Schnitten für die Kinder, Windeln und Babynahrung für die Kleinsten. Später lässt der Filialleiter einen ganzen Wagen mit Getränken aus dem Lager zu den Gleisen bringen.

Lost and found

Plötzlich Aufruhr auf dem Bahnsteig. Eine Menschentraube. Mittendrin ein verzweifelter junger Mann, der einen weinenden kleinen Jungen hochhält, der seine Eltern verloren hat. Panisch ruft er den Namen des Jungen, "Aziz, Aziz", der Kleine wird auf den Schultern auf dem Bahnsteig herumgetragen, sein Name wird von dutzenden Menschen laut gerufen und weitergesagt. Jeder hilft, schließlich können die Eltern, die unter Tränen stehen, gefunden werden. Es gibt Applaus.

Minuten später steht eine Frau weinend neben mir auf dem Bahnsteig. Ich frage sie, was los ist, ein junger Mann übersetzt bereitwillig: Ihr zehnjähriger Sohn sei beim Aussteigen verschwunden. Wieder helfen alle zusammen. Die Flüchtlinge rufen den Namen des Kindes auf dem Bahnsteig, in den wartenden Zügen. Nach wenigen Minuten wird der Junge von einem Mann gefunden und zur Mutter gebracht.

Immer mehr Helfer

Mittlerweile werden die Helferinnen und Helfer mehr und mehr, im Minutentakt trudeln Privatpersonen mit Einkaufswägen voller Essen und Wasserflaschen ein. Auch die Suppenküche der Caritas ist eingetroffen. Zwischen Gleis 4 und 5 hat eine Gruppe junger Menschen angefangen, die bereits gewaltigen Mengen an Wasserflaschen und Nahrungsmitteln in kleine Pakete abzupacken. Alle helfen zusammen, was fehlt, wird aus eigener Tasche gekauft.

Die ÖBB bedanken sich auf den Monitoren, die sonst über Abfahrtszeiten informieren, bei den Helfern. Hier erfährt man auch, was dringend gebraucht wird: Hygieneartikel für die Menschen, die in den bereitgestellten Quartieren übernachten werden, von wo sie am Tag darauf nach Deutschland weiterreisen werden.

Ankunft mit Applaus

Viele Menschen, die Arabisch oder Farsi sprechen, sind mittlerweile zum Bahnhof gekommen und übersetzen, wo es notwendig ist, oder sagen einfach nur den Neuankömmlingen, dass sie hier in Sicherheit sind.

Gegen Mitternacht rollt ein weiterer Railjet aus Budapest unter Applaus ein, es ist der vorletzte Zug in der Nacht von Montag auf Dienstag. Mittlerweile sind hunderte Menschen am Bahnhof, die winkend mit Willkommensrufen auf Deutsch, Englisch und Arabisch die ankommenden Flüchtlinge begrüßen.

Ein gutes Land

Ein Mann sagt mir weinend in gebrochenem Englisch, dass er kaum glauben kann, wie herzlich er hier empfangen wird. Die Flüchtlinge erzählen von schlechter Behandlung in Rumänien und Serbien, viele wissen gar nicht genau, wo sie momentan sind. Diejenigen, die es wissen, sagen Österreich sei ein gutes Land.

Ein kleiner Junge zeigt mir strahlend eine Flasche Cola, die er ergattert hat, sein Vater hat eine große Flasche Wasser, einige Nektarinen und ein halbes Fladenbrot bekommen, eine Zigarette wird ihm angeboten. Sonst haben die beiden gar nichts. Kein Gepäck, keine Koffer, nur das, was sie am Körper tragen. Der Vater lächelt müde, hält seinen Sohn fest an der Hand, sagt im Vorbeigehen leise "thank you, thank you, thank you", und wir kämpfen beide mit den Tränen. #RefugeesWelcome (Jakob Bouchal, 1.9.2015)