Bear-Family-Records-Gründer Richard Weize: "Wenn es für mich gut ist, ist es auch für den Kunden gut."

Foto: Regine Hendrich

Wien – Der Hang zu Perfektion und Vollständigkeit besitzt etwas Zwanghaftes. Denkt man. Tritt man Richard Weize gegenüber, verfliegt diese Einschätzung sofort. Locker sitzt er da, mit Nickelbrille, in T-Shirt und Latzhose, aus der ein kleiner Teddybär aus der Brusttasche schaut. Er sieht aus wie ein alter Hippie mit Bauernhof. Zumindest das mit dem Bauernhof stimmt auch. Da würde man ihm nicht zutrauen, Chef eines Imperiums zu sein. Genauer gesagt: eines Imbäriums. Richard Weize ist Chef von Bear Family Records. Das ist ein Label in Deutschland, oben in Harmenhausen bei Bremen.

Nicht irgendeines, sondern das größte Wiederveröffentlichungslabel der Welt. Und das Beste. So viel Objektivität muss sein. 500 LPs und 3400 CDs hat Weize in den letzten 40 Jahren veröffentlicht, knapp 30 Mitarbeiter beschäftigt er. Heuer ist er 70 Jahre alt geworden, nun übergibt er sein Label. Nicht ohne mit vier anderen Labels weiterzumachen. Aber ohne den Druck, wie er sagt. Es wird also More Bears geben, so soll das Unterfangen heißen.

Marktführer in einem bedeutenden Segment der Musikindustrie wird man nicht bloß so. Die Dokumentationen der Bear Family sind berühmt für ihre Vollständigkeit und ihre akribische Recherche. Diese schlägt sich in Booklets nieder, die nicht selten ein paar hundert Seiten dick sind.

"Wenn man so etwas mit Akribie macht, honoriert es die Kundschaft im Laufe der Jahre. Dann entscheidet sie sich im Zweifel für ein Produkt der Bear Family. Dabei hat mich der Kunde nie interessiert. Wenn's für mich gut war, war es auch für den Kunden gut. In dem Moment, wo ich sage, für den Kunden reicht es, ist das Produkt nicht mehr gut."

Einmal alles für Bob Dylan

Zum 40-Jahr-Jubiläum veröffentlicht er nun ein dickes Boxset. Muss ja. Ry Cooder preist Weize darauf mit einem extra für ihn geschriebenen Lied, dem Bear Family Song. Cooder gehört genauso zu Weizes Kundschaft wie Bob Dylan. "Dylans Büro hat einmal mit einem Schwung alles gekauft. Das war eine Ladung!"

Gegründet wurde die bärige Familie während des Country-Booms in Deutschland in den 1970ern, als Typen wie Willie Nelson und Waylon Jennings groß wurden. Country ist Weizes Liebe. Damals hat er erste Werkschauen veröffentlicht. Ausgerechnet ein Deutscher? "Sicher war das anmaßend, aber die Amerikaner haben die eigene Popkultur nicht betreut. Gerade die Musik war bloß ein Gebrauchsartikel."

Daneben veröffentlichte er ausgerechnet Schlager. Das kam so. "Ich akzeptierte nur einen Schlagersänger, das war der junge Ted Herold, der hatte Feeling. Ein Freund von mir hatte ein Ted-Herold-Bootleg gemacht, und das ging wie geschnitten Brot. Da hab ich gesagt: Okay, das mach ich selbst. Aber eine LP lohnt sich nicht, ich mach den Peter Kraus dazu. Plötzlich kam eine Welle von Fans und sagte, hör dir das an und das, und dann habe ich mich eben eingearbeitet. Es ist ja auch eine zeitgeschichtliche Sache. Und egal wie schlecht es ist, die Leute haben's gefressen. Als es in den 1960ern dann mit Heino und Roberto Blanco losging, hab ich aber dann keine Lust mehr gehabt."

Für viele seiner Produkte fuhr Weize in die USA, klopfte an die Türen von Künstlern und besuchte die Archive großer Labels. Er veröffentlichte berühmte Namen wie Johnny Cash ("bis er mit dieser Heiligenscheiße begonnen hat"), Jerry Lee Lewis ("ein Wahnsinniger!") bis zu fast vergessenen. "Die waren am dankbarsten, die es damals nicht geschafft haben. Die freuten sich natürlich über eine Vier-CD-Box und dachten, in Europa geht's jetzt ab, dabei saß da nur ein Bekloppter, der die Musik gut fand. Ich."

Dankbar und satt

Dieser Bekloppte verfügt über ein enzyklopädisches Wissen. Im Gespräch nennt er Namen, Jahreszahlen, Songtitel und noch mehr Namen, sodass man ihm kaum zu folgen vermag. Dieses Wissen ist ein Kollateralsegen seiner Hartnäckigkeit. Oft hat er jahrelang nach irgendwelchen Bändern gesucht, hat nicht lockergelassen, bis er alles hatte und alle Informationen doppelt bestätigt waren.

"Was ich mache, mache ich vollständig", sagt er. Dabei ist ihm bewusst, dass die Vollständigkeit eine erschöpfende Qualität besitzt, auf die oft die Leere des Sammlers folgt. "Mit Sicherheit. Wir haben ja auch mehr als andere dazu beigetragen, dass es eine Übersättigung gibt. Aber die Leute, die es kaufen, sind trotzdem dankbar, ob sie sich das alles jemals anhören oder nicht."

Weizes Dokumentationen gestalten sich bisweilen wahnwitzig. Die Geschichte der Popmusik umfasst 52 CDs, bei Black Europe – 1888 bis 1927 sind es 44. "Da dachte ich zuerst an vier CDs mit ein paar Seiten Text." Geworden ist es eine sieben Kilo schwere Sammlung von 1244 Titeln, deren Geschichten auf über 600 Seiten penibel dokumentiert sind.

Diese Veranlagung macht Weize an seiner Mutter fest. "Die hat die Geschichte unserer Familie und Heimatstadt aufgeschrieben. Wir kommen aus der Buchbinderei, und bei uns war alles auf Historie aufgebaut. Wegen dieses Faibles habe ich meine Mutter früher immer verarscht, um dann daraufzukommen, dass ich dasselbe mache." Die Frage Archäologe oder Trüffelschwein beantwortet er mit "beides", ebenso jene nach digital oder analog.

Analog ist besser

Digitale Datenträger verkauft er zwar, als Ursprungsmedium zieht er analoge Bänder vor. "Sie sind bei guter Lagerung nach 60 Jahren noch zu verwenden, und wenn etwas kaputt ist, sieht man, was kaputt ist. Bei digitalen Trägern kannst du dann einpacken."

Dennoch kam die CD dem Label als Übermittler gerade recht. Schließlich passen bis zu 30 Titel auf einen Silberling. Nebenbei veröffentlicht Bear Family ausgesuchte Alben auf Vinyl. Wobei Weize dem aktuellen Vinyl-Hype nichts abgewinnen kann. "Das ist eine Modeerscheinung. Das geht noch zwei, drei Jahre so weiter, dann wird wieder nur der Bodensatz Vinyl kaufen, der das davor schon getan hat." (Karl Fluch, 2.9.2015)