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Wenn Studien über die (Neben-)Wirkungen von Medikamenten geheim gehalten werden, können Menschen Schaden nehmen. Es ist höchste Zeit, diesen Missstand zu beenden.

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Gerald Gartlehner nimmt für derStandard.at regelmäßig aktuelle Studien unter die Lupe.

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Das Verschweigen vieler Studien ist zweifach problematisch. Erstens: Es ist ein Betrug an den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern, die sich zur Verfügung stellen und häufig unbekannte Nebenwirkungen in Kauf nehmen, um die Wissenschaft voranzutreiben. Zweitens: Es ist beinahe unmöglich, die Wirksamkeit neuer Medikamente zu beurteilen, wenn die Hälfte der Studien unterschlagen wird. Langsam wächst allerdings eine Allianz gegen diese nicht tragbaren Zustände.

Das Grippemittel Tamiflu ist das bekannteste und vermutlich auch teuerste Beispiel: Viele Staaten haben Milliarden Euro lockergemacht, um für eine Grippeepidemie das Medikament vorrätig zu haben. Allerdings entdeckte ein japanischer Kinderarzt, dass die Zulassungsunterlagen für Tamiflu in unterschiedlichen Ländern voneinander abwichen und verschiedene Studien angegeben wurden.

Mit Tamiflu in die Irre geführt

Wissenschafter des unabhängigen Cochrane-Netzwerks gingen diesen Unterschieden nach und fanden heraus, dass der Tamiflu-Hersteller zahlreiche Studiendaten nicht veröffentlicht hatte – und damit die Öffentlichkeit gezielt in die Irre führte. Nach langem Ringen und viel öffentlichem Druck erreichten die Cochrane-Forscher die Herausgabe aller Daten. Die Analyse aller Studien zeigte schließlich, dass die Wirksamkeit bei weitem nicht so gut ist, wie lange angenommen wurde. Wären diese Fakten von Beginn an bekannt gewesen, hätten sich viele Länder sicher gegen die Vorratslagerung von Tamiflu entschieden und Milliarden Euro erspart.

Beispiele für die Verheimlichung von Studien und Daten gibt es viele, und im Endeffekt sind häufig Patientinnen und Patienten die Leidtragenden. Wenn beispielsweise Daten über gefährliche Nebenwirkungen nicht publiziert werden, wird nicht nur Geld falsch eingesetzt, werden nicht nur Studienteilnehmer missbraucht und Forschungsressourcen verschwendet, sondern es werden Menschen geschädigt. Höchste Zeit also, diesen Missstand zu beenden.

Transparenzkampagne

Die wirkungsvollste Maßnahme, damit keine Studienergebnisse mehr unter den Tisch fallen können, wäre, alle Studien vor Beginn zu registrieren und nach deren Abschluss sicherzustellen, dass die Ergebnisse veröffentlicht werden. Genau das fordert die "All Trials"-Kampagne. Konkret verlangt die von Sense about Science gestartete Initiative, dass sämtliche Studien registriert werden und nach Abschluss Zusammenfassungen, ein vollständiger Bericht und auch alle Rohdaten veröffentlicht werden.

Nur so hat die wissenschaftliche Gemeinschaft die Chance, die Gesamtheit aller Ergebnisse nachzuprüfen oder zusammenzufassen. Nur so wird sichergestellt, dass kein Proband umsonst an einer Studie teilgenommen hat.

Widerständische Industrie

Die Kampagne gewinnt an Fahrt und hat in England und den USA bereits großen Einfluss, wie auch Berichte im "Economist" und dem "Wall Street Journal" zeigen. Der öffentliche Druck ist entscheidend, denn Studien sind nur möglich, wenn genügend Patienten freiwillig daran teilnehmen.

Nötig ist aber auch der politische Wille zu einer solchen Änderung. Die gesetzlichen Regelungen in den USA sind bereits seit 2007 streng und schreiben eine Veröffentlichung aller Daten vor.

Doch niemand weiß, wie streng diese Vorgaben tatsächlich kontrolliert und bei Fehlverhalten auch bestraft werden. Bisher wurde in den USA noch nie jemand belangt, weil die Veröffentlichung ausgeblieben ist. Europa wird vermutlich im Jahr 2016 mit ähnlichen Gesetzen nachziehen. Bereits jetzt regt sich Widerstand aus der Industrie. (Gerald Gartlehner, 4.9.2015)