Bild nicht mehr verfügbar.

Gedenken an die ermordeten Kollegen am Mittwoch in Harrisonburg, Virginia.

Foto: AP/Daniel Lin/Daily News-Record

Den Filter von einst gibt es nicht mehr. Die sozialen Medien ermöglichen Tätern, Informationen, Bilder oder Videos selbst ins Netz zu stellen. Nichts davon bleibt mehr im Medienfilter hängen. Dem einzelnen Medienkonsumenten bleibt es überlassen, ob er sich auf solches Material einlässt. Das gilt für politisch getriebene Tätergruppen wie etwa die Terrormiliz Islamischer Staat, die Enthauptungsvideos ins Netz stellt, ebenso wie für Einzeltäter wie den Mörder von Moneta: Er filmte selbst, wie er Kollegen seiner ehemaligen Redaktion hinrichtete, und lud das Video auf seinen Twitter- und seinen Facebook-Account. Die Accounts wurden zwar abgeschaltet, aber der Film blieb auffindbar, Screenshots wurden verbreitet; die Online-Plattform des Schweizer Boulevardblatts "Blick" brachte gleich drei Bildausschnitte, einer illustrierte, wie der Täter abdrückt.

Medien in der Pflicht

Aber auch wenn in der digitalen Gesellschaft jeder von uns selbst zumindest eine Teilöffentlichkeit bedienen kann und keiner mehr ausschließlich auf die Medienöffentlichkeit angewiesen ist, bleiben publizistische Medien in der Pflicht. Gerade heute sollten Journalisten es aus ihrer Professionalität heraus unterlassen, solcherlei Material mit der Rechtfertigung zu verbreiten, es sei sowieso irgendwie schon öffentlich und verfügbar und andere verwendeten es auch.

Professionelle Journalisten tragen weiterhin die Verantwortung dafür, welchen Inhalten sie auf ihren Plattformen Öffentlichkeit und damit maximale Aufmerksamkeit geben. So verschaffen sie sich und ihren Plattformen Glaubwürdigkeit. Journalisten sollen nach professionellen Kriterien entscheiden, was öffentlich werden muss und was nicht; das ist Kern ihres Berufes; dafür hat sich die Branche im Pressekodex einen Katalog mit Empfehlungen gegeben, wie angemessen über Straftaten, Täter und Opfer zu berichten ist.

"Propaganda der Tat"

Bei Tat- und Täterfilmen wie jenem von Moneta ist das Nicht-Berichten angemessen. Und zwar aus drei Gründen: Erstens weil der Fakt, von einem Mord Kenntnis nehmen zu müssen, verstörend genug ist. Es braucht kein Echtzeitbild als Akzentuierung. Ein Publikum, das sich auf journalistisch professionellen Plattformen informiert, sollte darauf vertrauen dürfen, dass ihm solcherlei dort nicht zugemutet wird.

Zweitens: Offenbar bediente hier ein Kapitalverbrecher das Phänomen der "Propaganda der Tat". Damit sind Terror- und Gewaltakte gemeint, die so konzipiert sind, dass die Medien sie breit aufgreifen: Eine grauenhafte und schockierende Tat soll Aufmerksamkeit für das erzeugen, was die für diese Tat Verantwortlichen umtrieb. Auch der Journalistenmörder hatte ganz offensichtlich die Absicht, das Tatvideo und damit seine Tat öffentlich zu machen. Er hat die Morde gefilmt, dieses Tat-Selfie über soziale Medien verbreitet, sich ausdrücklich zu seinem Verbrechen bekannt, Kommentare und Posts dazu abgegeben. Über den Kontext der sozialen Medien konnte er selbst den Impuls setzen und durch diese mediale Strategie für seine Tat hohe Aufmerksamkeit erhalten.

Als ehemaliger Journalist konnte er zudem mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass ein "Medienreflex" greifen würde: Einen solchen Film hat es vermutlich noch nie gegeben, er war via soziale Medien leicht verfügbar – Gründe, weshalb wohl zumindest einige klassische Medien den Film weiterverbreiten würden. Auch dem Mörder von Moneta mag also die "Propaganda der Tat" eine Triebfeder gewesen sein.

Propaganda auf den Leim gehen

Dieses bislang wohl einzigartige Vorgehen belegt, wie die Möglichkeiten, über soziale Medien zu kommunizieren und zu propagieren, was man öffentlich mitteilen will, künftig gerade auch Kapitalverbrechern mehr Aufmerksamkeit geben könnten denn je. Wenn Medien nicht bewusst gegensteuern, sondern sich instrumentalisieren lassen. Wenn wir alle uns nicht mit Grausen abwenden, sondern der Propaganda auf den Leim gehen.

Drittens: Wer zeigt, wie der Täter gerade – selbst aufgenommen – auf die Reporterin zielt, animiert damit möglicherweise Nachahmer. Bei Amokläufen ist bekannt, dass eine detailreiche, den Täter über seine Untat in gewisser Weise heroisierende Berichterstattung jene, die sich mit solchen Gedanken schon tragen, aufstacheln kann. Ähnlich könnte dies bei jenen Kapitalverbrechen sein, die aus Unzufriedenheit heraus begangen werden – etwa weil jemand sich von einem Arbeitgeber, einer Behörde, einem Gericht ungerecht behandelt fühlt, sich diskriminiert sieht und glaubt, nun selbst richten zu müssen, sozusagen grundsätzlich: Denn offenbar hatte der Täter von Moneta keinen näheren Kontakt zu den Kollegen und war schon seit langem nicht mehr Mitglied der Redaktion.

Wir sollen wissen, aber nicht zuschauen

Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich muss über solche Verbrechen berichtet werden. Wir müssen uns zumuten und haben ein Anrecht zu erfahren, was hier genau geschehen ist. Wir dürfen wissen, was wohl den Täter bewogen hat, so zu handeln, auch aus dem Bedürfnis heraus, das im Grunde nicht Verstehbare einordnen zu können. Oder um weitere Schlüsse zu ziehen und zu diskutieren – wie es jetzt tatsächlich in den USA bereits geschieht –, ob die amerikanische Gesellschaft den Waffenbesitz weiter schützen oder einschränken möchte. Aber bei Filmen, die ein Täter macht, um sich letztlich für eine Untat zu rühmen, dürfen, ja, müssen wir wegschauen! (Marlis Prinzing, 2.9.2015)