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SPÖ-Landesrat Jörg Leichtfried: "Die Sozialdemokratie ist in Gefahr."

Foto: APA/Scheriau

Graz – Es sind nicht nur die schlechten Umfragedaten, die drohenden Wahlniederlagen in Wien und Oberösterreich, die ihm Sorgen machen. Die Sozialdemokratie sei "als Ganzes, als Bewegung" in Gefahr, sagt der ehemalige Delegationsleiter der SPÖ im EU-Parlament und jetzige steirische Landesrat Jörg Leichtfried.

Die Sozialdemokratie verfüge nicht im notwendigen Ausmaß über konkrete Antworten auf die Fragen und Probleme der Zeit. Leichtfried ruft seine Parteispitze in Wien auf, intensiv über einen Sonderparteitag nachzudenken, "der zu neuen, zeitgemäßen Inhalten in der Partei führen könnte".

Konservative Sozialdemokratie

"Es muss einen Grund haben, warum die Sozialdemokratie in ganz Europa eigentlich fast immer Wahlen verliert. Da kann man nicht mehr sagen, es liegt an den handelnden Personen. Da muss schon ein großflächiges Problem dahinterstecken", sagt Leichfried im Gespräch mit dem Standard. Die Sozialdemokratie werde als "konservative Bewegung" wahrgenommen, als "Bewahrerin der alten Zeit".

Aber nicht einmal diese Rolle könne sie befriedigend ausfüllen. Denn die sozialdemokratischen Parteien seien konfrontiert mit Kürzungen im Gesundheitsbereich, in der Bildung oder im Sozialsektor. Die Lebenssituation werde für jene, die auf die staatlichen Systeme angewiesen sind, immer kritischer, sagt Leichtfried.

Keine Visionen

"Aber das noch größere Problem ist, dass wir keine Visionskapazitäten für die neue Zeit haben. Wir können kaum konkrete Ideen für die Zukunft anbieten. Andere konservative, neoliberale und rechtpopulistische Bewegungen werden als Vorwärtsgehende empfunden. Die wollen nichts bewahren, die wollen, dass vieles anders wird. Da sehr viele Menschen mit ihrer Lebenssituation unzufrieden sind, sind solche politischen Angebote – unabhängig vom meist unsinnigen Inhalt, der verbreitet wird – offenbar attraktiv", sagt der SPÖ-Politiker.

Die Sozialdemokratie könne bis heute keine befriedigenden Antworten auf die großen Themen der Zeit, wie den Umbruch in Nordafrika oder im Nahen Osten mit all den Flüchtlingsströmen, die "digitale Revolution" oder die Klimakatastrophe bieten. "Die gesamte Arbeitswelt verändert sich derart radikal, und wenn die Menschen hilfesuchend zur Sozialdemokratie hinschauen und fragen, was meint ihr dazu, kommt von uns zu wenig zurück."

Weitere Wahlverluste

Hin und wieder würden zwar einzelne Ideen, wie eine Finanztransaktionssteuer, aufpoppen, das aber sei zu wenig, "da ist kein Gesamtsystem ersichtlich", sagt Leichtfried, der auch eine mangelnde europäische Orientierung der Sozialdemokratie bemängelt. Diese fehlende Internationalisierung mache es auch in der Konfrontation mit Rechtspopulisten, die eine Renationalisierung wollen, schwer zu argumentieren. Leichtfried: "Man kann halt schwer um eine Idee streiten, an die man selbst nicht glaubt."

Leichtfried wünscht sich "möglichst schnell" einen Sonderparteitag, der ausschließlich inhaltlicher Programmatik gewidmet sein soll: "Wenn wir jetzt nicht rasch mit konkreten Ideen reagieren, werden wir weiter Wahlen verlieren." (Walter Müller, 3.9.2015)