Wie betrifft die Digitalisierung Frauen? Werden technologische Neuerungen ihren Aufstieg in Top-Management-Positionen erleichtern oder erschweren?Antworten auf diese Fragen zu finden war das Ziel einer Umfrage unter 3600 berufstätigen Frauen und Männern in 30 Ländern, durchgeführt von der Beratungsfirma Accenture.
Das Stimmungsbild: Für die Befragten scheint die fortschreitende Technologisierung vielerlei Chancen – aber vor allem auch enorme Herausforderungen zu schaffen. "Besonders die ständige Erreichbarkeit nehmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als großes Problem wahr", sagt Sandra Babylon, Managing Director bei Accenture.
Ein großer Teil der Arbeitnehmer empfindet es offenbar als belastend, durch das Internet permanent verfügbar zu sein. Auch die steigende Informationsflut wurde als Stressfaktor genannt.
Reden, zuhören
Fast alle Befragten in Österreich, Deutschland und der Schweiz müssen laut Studie multitasken, um alle Aufgaben erledigen zu können. Mehr als die Hälfte verbringt sogar einen überwiegenden Teil des Arbeits tages damit. Wie die Umfrageergebnisse nahelegen, sind gerade Frauen der Meinung, dass sie grundsätzlich gut im Multitasken seien, die permanente Ablenkung aber der Qualität ihrer Arbeit schade (57 Prozent).
Besonders beeinträchtigt scheint das Zuhören: So gaben annähernd zwei Drittel in der Studie an, dass es in der digitalen Arbeitswelt zunehmend schwieriger sei, Gesprächen zu folgen – und das, obwohl sich nahezu alle (97 Prozent) als gute Zuhörerin beziehungsweise als guter Zuhörer bezeichnen würden.
Interessantes Detail am Rande: Den sogenannten Digital Natives (in dieser Studie die 1979 bis 1996 Geborenen) dürfte das Zuhören keineswegs leichter fallen.
No Go: Server abschalten
Der gute Rat für die Arbeit im Team: sich zu bemühen, "wirklich hinzuhören." Das bedeute, bei Meetings nicht parallel E-Mails zu checken oder permanent das Display des Smartphones im Auge zu behalten, "nicht zu denken, mit Multitasking schaffe man mehr", sagt Babylon.
Und wie können Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen schützen? "Es gilt, mehr mit den Frauen über die Anforderungen zu sprechen, sie zu ermutigen, klarer zu fokussieren und Aufgaben auch einmal abzulehnen." Weniger ratsam: E-Mail-Server in der Nacht einfach abzuschalten. "Das gibt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Gefühl, nicht selbst über ihre Arbeitszeit bestimmen zu können. Wenn es mich entlastet, zu später Stunde meine E-Mails zu checken, sollte ich auch die Möglichkeit dazu haben." An Vorgesetzte appelliert Babylon, "Positivvorbild zu sein".
Mehr Softskills!
Auch welche Führungs-Skills im digitalen Zeitalter für wichtig befunden werden, wurde in der Accenture-Studie erhoben. Es zeigte sich: Während Männer sich meist mehr Technologie-Skills wünschen (64 Prozent), legen Frauen (66 Prozent) eher auf Soft-Skills Wert und meinen, dass diese ihnen auch in der digitalen Welt weiterhin nützlich sein würden.
"Das ist insofern interessant, als dass Frauen ja oft zugeschrieben wird, empathischer und im Führungsstil kooperativer zu sein, sie gleichzeitig aber sagen: Ich brauche noch mehr von diesen Fähigkeiten", sagt Babylon. "Das lässt den Schluss zu, dass Frauen auf ihrem Weg an die Spitze auf Persönlichkeit setzen, während Männer das Anhäufen von Wissen als Erfolgsgaranten sehen."Zurückhaltung verhindere häufig die Aufnahme in Toppositionen.
Nur Minderheit glaubt an Frauen-CTOs
Die Frage, ob sie glauben, dass es bis 2030 signifikant mehr Frauen in der Rolle der technischen Führungskraft – des sogenannten Chief Technology Officer – (CTOs) geben wird, bejahte im deutschsprachigen Raum nur eine Minderheit, im Detail waren es zwölf Prozent der Männer und fünf Prozent der Frauen."Der Optimismus ist hier offensichtlich gebremst, das ist sehr schade", sagt Babylon.
Sie rät Frauen, sich, anstatt noch mehr Soft Skills anzuhäufen, "auch stärker mit Themen zu beschäftigen, die ihnen weniger nahe liegen". Gerade im Hinblick auf technische Fähigkeiten konstatiert Babylon neben mangelnder Bereitschaft auch Vorbehalte. "Im deutschsprachigen Raum gilt es für Frauen beinahe als ‚normal‘, damit zu kokettieren, dass sie nicht mit Technik umgehen können", sagt sie. "Aber gerade wenn es um erfolgreiche Führung in einer digitalisierten Welt geht, müssen Frauen eben über ihren Schatten springen."
Rolemodels, gleicher Lohn
Schuld daran, dass sich der feste Glaube an eigene Limits tief in den Köpfen verankern würde, seien tradierte und nach wie vor wirkmächtige Stereotype.
Ihnen könne nur beigekommen werden, indem Mädchen schon sehr früh für technische Berufe begeistert und an IT-Themen herangeführt werden. Ein nützliches Mittel dafür seien Mentorinnen, die als Role-Models Schülerinnen zeigen, wozu ein technisches Studium eigentlich gut sei. "Viele haben davon keine Ahnung."
Aber auch Tech-Unternehmen müssten einen Beitrag leisten, sagt Babylon: "Wichtig ist, dass sie sich als attraktive Arbeitgeber für Frauen präsentieren." Und dass sie für gleichberechtigte Entlohnung sorgen sowie Frauen mit jenem Handwerkszeug ausstatten, das sie in einer männlich dominierten Berufswelt benötigen.
Analoge To-Dos
Nicht nur digitale ProblemeInsofern scheint sich die To-do-Liste für eine faire Arbeitswelt im Antlitz der Digitalisierung also doch nicht allzu gravierend verändert zu haben. Glaubt man Babylon, "hinkt der deutschsprachige Raum in puncto Gleichberechtigung noch gewaltig hinterher". Beweisen würde das nicht zuletzt der internationale Vergleich: "Wenn Sie beispielsweise versuchen, Kollegen aus anderen Ländern den Begriff der ‚Rabenmutter‘ zu erklären, merken Sie an den Gesichtern Ihrer Gesprächspartner, dass das Konzept sehr spezifisch für den deutschsprachigen Raum ist."
Fazit: "Stereotype haben nichts mit Naturgesetzen zu tun, sondern mit Wahrnehmungen."
Notwendig sei eine gesellschaftliche Auseinandersetzung damit, aber auch das Thematisieren im Firmenkontext: "Männer wissen oft gar nicht, wie schwierig es für Frauen eigentlich ist, sich ständig rechtfertigen zu müssen. Denn ob Männer arbeiten, nicht arbeiten, ob sie Kinder haben und wie viele, bleibt komplett ihnen überlassen. Frauen dagegen müssen sich ständig erklären", sagt Babylon. Sie ist überzeugt: "Auch Männer hätten etwas davon, wenn sich die Stereotype und Rollenbilder ändern. Schließlich wird Kinderbetreuung auch immer stärker zu ihrem Thema. Glücklicherweise." (Lisa Breit, 12.9.2015)