"Es nennt zwar niemand das Kind beim Namen, aber derzeit schaffen wir es nicht, Österreich wettbewerbsfähig zu halten", sagt Markus Müller über den Forschungsstandort Österreich.

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STANDARD: Gleich nach Ihrer Wahl zum Rektor der Med-Uni Wien haben Sie 200 Millionen Euro mehr gefordert. Die Verhandlungen über die Leistungsvereinbarung laufen: Ist die Forderung aufrecht?

Müller: Das brauchen wir für eine Vorwärtsstrategie. Wir haben einen hohen Anspruch, weil wir die einzige medizinische Institution in Österreich sind, die international sichtbar ist. Ich muss daher die politischen Meinungsbildner überzeugen, dass man besonders in Zeiten einer finanziell angespannten Situation, die Kräfte bündeln muss, um damit das Steuergeld bestmöglich einzusetzen. Sicher nicht, indem man nach dem Gießkannenprinzip vorgeht.

STANDARD: Das heißt: Weniger Med-Fakultät Linz, mehr Med-Uni Wien?

Müller: Genau. Es gibt offenbar einen starken Willen, dass es die Medfakultät in Linz gibt, aber zur Sinnhaftigkeit gibt es entsprechende Gutachten. Uns wurde aber versprochen, dass es nicht auf Kosten anderer Standorte geht.

STANDARD: Gibt es von Wissenschaftsminister Mitterlehner positive Signale?

Müller: Wir sind in intensiven Verhandlungen. Der Herbst wird kritisch. Wir brauchen allein für die Ärztegehälter etwa 70 Millionen Euro mehr. Wir sind noch nicht bei klaren Zahlen, es gibt derzeit grundsätzlich unterschiedliche Vorstellungen, die wir bis Jahresende klären müssen.

STANDARD: Insgesamt werden 615 Millionen Euro mehr für alle Unis in Aussicht gestellt, wie wahrscheinlich sind 200 Millionen alleine für die Wiener Med-Uni?

Müller: Wir können nur unter bestimmten Bedingungen eine Vorwärtsstrategie garantieren. Wie realistisch die Summe ist, weiß ich nicht. Es ist ja bekannt, dass die Universitäten unterfinanziert sind. Bei der Forschungsquote sind wir vom Pfad abgekommen, der von der Regierung unterschrieben wurde. Es nennt zwar niemand das Kind beim Namen, aber derzeit schaffen wir es nicht, Österreich wettbewerbsfähig zu halten. Wenn sich das Budget nicht in der Dimension von 200 Millionen Euro bewegt, wird es schwer, mit den internationalen Spitzenunis mitzuhalten.

STANDARD: Zu Semesterbeginn treten Sie als Rektor an. Zuletzt war die Stimmung zwischen Ihrem Vorgänger Wolfgang Schütz und den Ärzten angespannt. Hat sich das gelegt?

Müller: Es war aus verschiedenen Gründen eine schwierige Zeit, aber die Stimmung ist schon seit 2011 schlecht. Im vergangenen Herbst war es sicher am Schlimmsten. Die EU-Richtlinie zur Ärztearbeitszeit war zwar seit zehn Jahren bekannt, aber die politisch Verantwortlichen haben so getan als würde es sie nichts angehen. Alle Träger waren gefordert, etwas zu tun und alle sind unter Druck gekommen.

STANDARD: Eine Einigung wurde in letzter Minute erzielt. Neben der Grundgehaltserhöhung wird jeder Arzt 8.000 Euro bekommen.

Müller: Wir mussten den finanziellen Anreiz für unsere Ärzte Nachtdienste zu machen, verringern. Diese Dienste waren ein Instrument, um auf ein adäquates Gehalt zu kommen. Die Bereitschaft für alternative Dienste, wie Wechseldienste oder Rufbereitschaft, ist jetzt höher. Es werden nicht mehr so viele Ärzte in der Nacht anwesend sein, das passt auch zu einer besseren Work-Life-Balance. Wir erarbeiten für jede Klinik bis April 2016 ein eigenes Dienstmodell.

STANDARD: Immer wieder mussten Stationen die Kapazitäten zurückfahren. Die Geldfrage ist geklärt, die Ärzte müssen weniger arbeiten, mehr Personal gibt es nicht, aber auch nicht weniger Patienten. Laufen alle Kliniken in Vollbetrieb?

Müller: meines Wissens ja. Die Flexibilisierung der Dienstzeit wird der entscheidende Ansatz sein. Wir müssen vom jetzigen Modell mit den rigiden Nachtdiensten und den darauffolgenden Ruhezeiten wegkommen, damit die Ärzte dann anwesend sind, wenn auch die Patienten kommen.

STANDARD: Hatte das AKH bisher zu viele Nachtdienste?

Müller: Ich glaube ja. Es hat sich in der Medizin sehr viel in den tagesklinischen Bereich verschoben. Da haben wir nichts davon, wenn die Ärzte in der Nacht da sind. Hinzu kommt die eigenwillige Steuerung des österreichischen Systems. Das war scheinheilig, es hatte etwas von einer Kellnermentalität: geringe Grundgehälter aufgrund der Ärzteschwemme. Durch die Nachtdienste hat man den Ärzten Geld zukommen lassen, obwohl es nicht immer einen konkreten Bedarf gegeben hat.

STANDARD: Nach Ihrer Wahl haben Sie 20 bis 30 Prozent mehr Personal gefordert. Bleiben Sie dabei?

Müller: Wenn wir eine Optimierung der Diensträder zustande bringen, brauchen wir nicht mehr Personal. Es braucht auf vielen Ebenen eine Effizienzsteigerung. Es gab eine Qualifizierungsspirale nach unten: Ärzte mussten pflegerische Tätigkeiten ausüben und Arztbriefe schreiben, die Pflegekräfte mussten Essen austragen. Die verschiedenen Arbeitsgruppen wurden nicht gemäß ihrer Qualifikation eingesetzt.

STANDARD: War das ein Managementfehler?

Müller: Es ist ein österreichischer Fehler. Das ist international nicht salonfähig. Die Harvard Medical School ist größer als die Med-Uni Wien, bildet aber nur 700 Studierende aus. Wir haben 7000. Das führt zu der Frage, wie das Gesundheitssystem gesteuert wird. Weil Ärzte früher billig waren, haben wir auch so viele Spitäler. Die billigste Ressource war die Arbeitskraft. Deshalb gab es diesen Anreiz, Ärzte nicht gemäß ihrer Qualifikation einzusetzen. Es waren vergeudete Ressourcen.

STANDARD: Wie kann man das Gesundheitssystem dann besser steuern?

Müller: Aus unserer Sicht ist die Idee mit den Primärversorgungszentren (PHC) im Prinzip sinnvoll, weil die Gesundheitsversorgung in Österreich sehr spitalslastig ist. Viele fahren mit der U6 ins AKH, wenn er Kopfweh hat. Sie wären aber im niedergelassenen Bereich besser aufgehoben. Dennoch ist es erstaunlich, dass in der Nähe des AKHs, obwohl es das größte Spital Österreichs ist, kein PHC geplant ist.

STANDARD: Es war angedacht, dass in der Notfallambulanz eine Ordination eines praktischen Arztes eingerichtet wird.

Müller: Das ist ein PHC light. Das ist ein wichtiges Projekt, aber die Finanzierung ist nicht geklärt. Ich war selbst zwei Jahre auf der Notfallambulanz. Es kommen viele Patienten, die keine Behandlung im AKH benötigen. Bei unserem Patientenaufkommen ist zwar ein Allgemeinmediziner nett, aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Schöner wäre ein PHC in direkter Nähe, zum Beispiel statt des Goldenen Kreuzes. Das wäre sinnvoller als das Privatspital.

STANDARD: Liegt es im Interesse der Stadt Wien, dass das AKH einen Großteil der Wiener Gesundheitsversorgung übernimmt?

Müller: Das AKH ist dazu da, komplizierte Fälle zu übernehmen, wo eine aufwendige Infrastruktur notwendig ist. Für simples Bauchweh oder rote Augen ist das AKH viel zu teuer. Das kann nicht im Interesse der Stadt Wien sein. Wir haben ein Abstimmungsprojekt laufen, welche Leistungen bei uns angeboten werden und welche in den sechs Schwerpunktspitälern. (Marie-Theres Egyed, 16.9.2015)