Fritz Feigl in den 1930er-Jahren bei chemischen Versuchen im Volksheim (heute: VHS) Ottakring.

Österreichisches Volkshochschularchiv

Wien – Vor etwas mehr als 70 Jahren kreuzte ein Brief den Atlantik, den ein aus Österreich zwangsweise emigrierter Chemiker an den anderen schickte. Verfasser des Schreibens, das vom 24. Juli 1945 datiert, war Fritz Feigl, der unter abenteuerlichen Umständen in Rio de Janeiro gelandet war, das zu seiner zweiten Heimat wurde.

Adressat des Briefs war Engelbert Broda, der im Exil in London lebte, später aber nach Wien zurückkehrte. Wiederentdeckt wurde das Schreiben von den Innsbrucker Wissenschaftshistorikern Gerhard Oberkofler und Peter Goller, die es auch in ihrer Biografie Fritz Feigls abdruckten. Dieser Brief ist nicht nur eine schonungslose Abrechnung mit einem Gutteil der Kollegenschaft an der Universität Wien, sondern auch ein einzigartiges Dokument erlebter oder besser: erlittener Universitätsgeschichte.

Der 1891 in eine gutbürgerliche Familie geborene Feigl, einer der bedeutendsten Chemiker Österreichs im 20. Jahrhundert, geht in dem Schreiben unter anderem darauf ein, dass ihm an der Technischen Hochschule Wien die Habilitation verweigert wurde – schlicht und einfach deshalb, weil er ein Jude und Sozialdemokrat war. Zwar konnte er die Lehrbefugnis 1927 nach Interventionen an der Universität Wien nachholen, doch auch da erlebte Feigl die antisemitische und faschistische Gesinnung vieler seiner Kollegen hautnah mit.

Nazis vor dem "Anschluss"

"So waren diese Herren auch schon längst Nazis, ehe der sogenannte Anschluß kam. Dies darf nicht vergessen werden", schrieb Mark an Broda: "Und es soll auch nicht vergessen werden, wie sich viele der ehemaligen Kollegen zu uns, die wir emigrieren mußten, in den damaligen Tagen verhalten haben. Wie sie damals, wo ein paar herzliche Worte so viel bedeutet hätten, kein einziges Wort fanden."

Feigls dramatische Flucht nach dem "Anschluss" war eine einzige Odyssee: Von der Schweiz ging es nach Belgien, wo der Chemiker abermals von den Nazis verfolgt wurde und in einem Konzentrationslager im französischen Perpignan landete. Feigl konnte aus dem Lager flüchten und schließlich mit seiner Frau und seinem Sohn über Portugal nach Brasilien ausreisen, wo er in verschiedensten Bereichen Großes leistete: bei der Extraktion von Coffein ebenso wie der von Phosphat.

Feigls Weltruhm als analytischer Chemiker geht vor allem auf die Entwicklung der Tüpfelanalyse zurück, über die er 1920 promovierte und die er von da an perfektionierte. Bei dieser einfachen und wirkungsvollen Methode wird die zu bestimmende Substanz in kleiner Menge auf Filterpapier aufgetragen und mit einzelnen Tropfen von Reagenzien versetzt. Feigl sollte Zeit seines Lebens tausende von einfachen Tüpfeltests erarbeiten.

Unermüdlicher Chemie-Vermittler

Der große Mikrochemiker war aber auch ein großartiger Wissenschaftsvermittler: Er lehrte 18 Jahre lang unermüdlich Chemie an den Volkshochschulen und leitete das Chemische Labor des Volksheims (heute: VHS Ottakring), in dem nach dem Ersten Weltkrieg zum Teil sogar richtige Forschung betrieben wurde. Doch auch das sei ihm von seinen Kollegen an der Universität verübelt worden, beklagte Feigl in dem erwähnten Brief.

Obwohl es nicht gelang, Feigl wieder als Professor nach Wien zurückzuholen (er lehnte auch Angebote von Top-Unis aus den USA ab), blieb der Chemiker seiner Heimat treu, die ihn immerhin auch noch Zeit seines Lebens ehrte: 1948 verlieh ihm die Wiener Technische Hochschule das Ehrendoktorat, 1967 die Universität Wien. Und am 17. und 18 September wird dem großen Mikrochemiker nun auch im Rahmen eines eigenen Symposiums an der Universität Wien gedacht. (Klaus Taschwer, 16.9.2015)