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Ungarischer Grenzzaun.

Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Nachdem der griechische Bürgerkrieg – eine heiße Variante des Kalten Krieges – 1949 zu Ende gegangen war, wurde umgehend die jahrhundertealte Balkanroute aktiviert. Die kommunistischen Kämpfer zogen sich zurück. Zehntausende waren schon zuvor auf der Flucht, um den "Umerziehungslagern" der vom Westen unterstützten Regierungstruppen zu entgehen.

Die Kämpfer und ihre Familien suchten Schutz in den sogenannten Brüderländern der europäischen Sowjetzone. Seit 1948 gehörte Jugoslawien da nicht mehr dazu. Die beiden Alphamännchen Stalin und Tito waren aneinandergeraten, was auch ein Hauptgrund war für die Niederlage im griechischen Bürgerkrieg.

Spießrutenlauf

Der Weg nach Norden – die Führung der griechischen Kommunisten saß in Albanien, und viele flohen eher über das freundlichere Bulgarien – glich wohl ein wenig einem Spießrutenlauf. Bis sie dann an die vojvodinische Nordgrenze gelangten. Nach Horgos zum Beispiel. Denn kaum waren sie drüben in Röszke, waren sie bei Freunden. Üdvözöljük a menekülteket! Refugees welcome, sozusagen.

Die südbalkanischen Bürgerkriegsflüchtlinge wurden nach einem Quotenschlüssel aufgeteilt. Einige Zehntausend kamen in der Tschechoslowakei unter und in Polen, wo die rund 15.000 Griechen hauptsächlich in Zgorzelec eine neue Heimat fanden – dem alten, nunmehr entdeutschten Görlitz, das ja auch einiges zu erzählen hätte von Krieg, Flucht und Vertreibung. Hier stand auch eine eigene Erziehungseinrichtung für griechische Kinder. Paidopolis nannte man die Stadt deshalb auch, Kinderstadt.

Völkerverbundenheit

Ein Gutteil der zigtausenden griechischen – teils auch mazedonischen – Flüchtlinge blieb aber auch in Ungarn. Erst – wie alle Flüchtlinge damals überall anders in Europa auch – in Lagern. Nach und nach aber fingen die Angekommenen an, sich umzuschauen, ob es nicht doch was gäbe, wo sie zusammenbleiben könnten. Ein wenig erhalten vom Eigenen im Fremden. Ein bisserl Sentimentalität in all der Predigerei zum Internationalismus in der sowjetischen Völkerverbundenheit.

Und so kamen die Griechen zu ihrem Griechendorf, dem Görögfalva südlich von Budapest. Am 6. Mai 1950, so exakt reicht die Erinnerung zurück, erfolgte der Spatenstich zum Bau einer neuen Siedlung – fast wäre man versucht zu sagen Kibbuz – für rund 400 Familien. Es entstand eine Tabakfabrik. Eine Kolchose, also eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, kam nicht infrage, dazu reichte das Ackerland nicht, obwohl Görögfalva auf durchaus reichem Grund errichtet wurde.

"Griechendorf"

Auf sozusagen altgriechischem noch dazu. Denn die Gegend rund um das neu entstehende Görögfalva zählte zum nunmehr verstaatlichten Besitz der Familie Sina, die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert aus dem Osmanischen nach Wien gezogen war. Die Baumwollhändler wandelten sich zu Bankiers, die unter anderem den in Athen tätigen Stararchitekten und späteren Ringstraßenvisagisten Theophil Hansen an die Donau holten. Das Bankhaus Sina war, Rothschild-gleich, eines der ganz großen, nicht bloß der Monarchie. In Ungarn machte es sich unvergesslich dadurch, dass es des Grafen Széchenyi Traum erfüllte und mit der Budapester Kettenbrücke die erste feste Donauquerung des Landes finanzierte.

Der schmucklos bloß Griechendorf benannten Siedlung in der Nähe der Donau wurde 1953, am 3. April, ein klingender, den Ohren der Kämpfer schmeichelnder Name verliehen: Beloiannisz. Geehrt – gewissermaßen verewigt – wurde damit der im Jahr zuvor hingerichtete Partisan Nikos Beloyannis, für dessen Begnadigung nicht nur zahlreiche Künstler – von Picasso bis Chaplin – intervenierten, sondern auch der des Kommunismus im Wesentlichen unverdächtige Charles de Gaulle.

Viele sind zurückgekehrt

Beloiannisz ist mittlerweile ein unscheinbares ungarisches Dorf. So manche sind zurückgekehrt nach Griechenland. Viele aber sind doch geblieben und weitgehend Ungarn geworden. So, wie es eben immer ist in migrantischen Familien, denen die Zeit allmählich über das Heimweh wächst.

Eine Athén utca gibt es jedenfalls noch, parallel dazu verläuft aber, wie in jedem anderen ungarischen Dorf, eine Petőfi utca. Seit 1996 steht eine orthodoxe Kirche in Beloiannisz, Oberhirte ist der in Wien sitzende Metropolit Arsenios. Eine griechische Volkstanzgruppe hält das Erbe hoch. Die sportlicheren Buben kicken. Im AEK Beloiannisz FC. AEK heißt Athlitiki Enosi Konstantinoupoleos. Dieser Name wäre dann aber eine andere – nein: eine weitere diesbezügliche – Geschichte. (Wolfgang Weisgram, 23.9.2015)