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Der Entscheid der Verfassungsrichter zu den Doppelresidenzen ergeht demnächst schriftlich oder mündlich – eine betroffene Familie reichte Beschwerde ein.

foto: apa / herbert pfarrhofer

Wien – Die Verfassungsrichter zerbrechen sich die Köpfe über die sogenannte "Doppelresidenz" von Trennungskindern. In Österreich ist es verboten, dass ein Kind nach der Trennung offiziell bei beiden Elternteilen wohnt. Das ist verfassungswidrig, glaubt das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen. Wie kompliziert die Sache ist, wurde bei der öffentlichen Verhandlung im VfGH am Mittwoch deutlich. Das Gesetz sieht vor, dass im Fall einer Trennung, egal, ob gemeinsame Obsorge vereinbart wurde oder nicht, ein Elternteil für die hauptsächliche Betreuung zuständig ist und das Kind dort seinen Wohnsitz hat.

Abwechselnd bei Vater und Mutter

Das aber verstoße gleich mehrfach gegen Verfassungsbestimmungen, glaubt das Landesgericht: gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Familienlebens, Diskriminierungsverbot), gegen das Gleichbehandlungsgebot und gegen die Kinderrechtskonvention. Anlass für das Verfahren war ein Fall, in dem das Kind schon längere Zeit abwechselnd eine Woche bei Vater und Mutter lebte. Das habe reibungslos funktioniert und sei auch das Beste für das Kind gewesen. Allerdings dürfe das Gericht diese – zumindest in diesem Fall beste – Lösung – nicht beschließen, da sie im Gesetz nicht erlaubt sei.

Nicht alltagstauglich

"Der Richter muss bewusst von den realen Lebensbedingungen abweichend urteilen", so Familienrichterin Gudrun Dürrigl. Und so komme es immer öfter vor, dass sich die Eltern vor Gericht auf etwas einigen, das dann im Alltag schlicht nicht eingehalten werde, führte sie vor dem Verfassungsgerichtshof aus. "Scheinverträge" nennt das Gericht dies. Das Problem: Gibt es später Konflikte zwischen den Elternteilen, kann die "gelebte" Variante nicht durchgesetzt werden. Der Vertreter des für das Gesetz zuständigen Justizministeriums, Peter Barth, gab zu bedenken, dass eine reine Diskussion über den Zeitfaktor – wie oft ist das Kind bei welchem Elternteil – viel zu verkürzt sei. Der Gesetzgeber habe bei der Änderung des Familienrechts 2013 die gesellschaftlichen Signale sehr wohl vernommen und auch aktuelle psychologische Forschungsergebnisse berücksichtigt.

Sieben Tage hier, sieben Tage da

Es gehe darum, dass ein Kind "zwei Zuhause" haben und mit beiden Elternteilen "Alltag und Freizeit" teilen könne. Dem habe man durchaus Rechnung getragen. Ziel des Gesetzes sei, "dass das Kind eine intensive Beziehung zu beiden Elternteilen erhalten kann", betonte Barth. Nicht zuletzt aus zahlreichen formalen Gründen müsse aber auch festgelegt werden, wo das Kind seinen Hauptwohnsitz und "hauptsächlich betreut" habe. Und nicht zuletzt deshalb sei eine Regelung "sieben Tage hier, sieben Tage da" eben nicht erlaubt.

Nach zwei Stunden Verhandlung geschlossen

Nicht nur zu diesem Punkt hakten die Verfassungsrichter gründlich nach. Was genau hat der offizielle Hauptwohnsitz mit dem tatsächlichen Ausmaß der Betreuung und mit dem Kindeswohl zu tun, war eine ausführlich erörterte Frage. Auch darüber, wie eine "hauptsächliche Betreuung" überhaupt definiert wird, wurde diskutiert. Was genau steht nach den Buchstaben des Gesetzes, aber auch vor Gericht, nun wirklich im Vordergrund: Die zeitliche Verteilung der Betreuung oder die Qualität und die Möglichkeit für das Kind, bei Vater und Mutter "zuhause" zu sein, war ein weiterer Punkt in der Verhandlung. Und: Ist es für das Wohl des Kindes wichtig, an welche Adresse die Familienbeihilfe überwiesen wird? Zudem wurden unterhaltsrechtliche Details erörtert und auch die Tatsache, dass jener Elternteil, der hauptsächlich betreut, ohne Zustimmung des anderen umzuziehen, kam zur Sprache. Nach mehr als zwei sehr intensiven Stunden wurde die Verhandlung geschlossen. Die Entscheidung ergeht zu einem späteren Zeitpunkt entweder schriftlich oder mündlich, kündigte VfGH-Präsident Gerhard Holzinger an. (APA, 23. 9. 2015)