Ja, auch in Wien gibt es Holz. Eine Jury hat die besten Holzbauten der letzten zehn Jahre unter die Lupe genommen und prämiert. Am Donnerstagabend wurde der Wienwood 15 übergeben

400 Quadratmeter Freiheit. So groß ist die Fläche der insgesamt vier Hortgruppen oben im ersten Stock. 100 Kinder zwischen sechs und zehn Jahren toben hier allnachmittags hin und her und kreuz und quer und wild durcheinander, ohne dass man je so genau sagen kann, wer eigentlich wo hingehört. Das mag wohl auch daran liegen, dass es im gesamten Hortbereich keine einzige Tür, keine einzige Trennwand, keine einzige räumliche Einschränkung gibt. Am Donnerstag wurde der Kindergarten Schukowitzgasse in Wien-Donaustadt als eines von insgesamt sechs Projekten mit dem Holzbaupreis Wienwood 15 ausgezeichnet.

Foto: Hertha Hurnaus

"Ich muss gestehen, dass die offene Hortgruppe auf so großer Fläche ein ziemliches Umdenken war", erinnert sich die Kindergartenleiterin Gertrude Meister. "Es dauert viele Monate, ja vielleicht sogar Jahre, bis man sich daran gewöhnt und damit zu arbeiten begonnen hat, dass so eine Öffnung alter, einzementierter Muster nicht nur Nachteile, sondern auch sehr viele Vorteile mit sich bringt."

Foto: Hertha Hurnaus

Studien belegen, dass Kinder in großen Gruppen tendenziell ruhiger sind und weniger Aggressionspotenzial haben. Hinzu komme, so Meister, das Erlernen von Freiheit und Wahlmöglichkeit: "Natürlich bin ich als Hortkind einer bestimmten Gruppe und einer bestimmten Pädagogin zugeordnet. Aber in so einer Kindertagesstätte ohne Mauern lerne ich, dass ich letztendlich selbst Verantwortung übernehmen und mir den Tag auch nach meinen eigenen Vorlieben gestalten kann."en

Im Bild: Ein weiterer Preisträger, das Wohnhaus Breitenfurter Straße von Praschl Goodarzi Architekten, errichtet für den Bauträger Gewog, ist ein idyllisches Ensemble, das als reiner Holzbau ausgeführt wurde. An den Lauben, Balkonen und Wohnzimmerdecken ist das Material sichtbar.

Foto: Bruno Klomfar

Der Einsatz von Holz spielt in diesem Raum, dem vielzitierten dritten Pädagogen, eine wichtige Rolle. Einerseits deckt das Holz sämtliche hier benötigten Anforderungen an Akustik und Raumbehaglichkeit ab. Andererseits – auch das belegen Untersuchungen der letzten Jahre – wirkt sich eine hölzerne Umgebung auf Kinder und Jugendliche beruhigend im Sinne der Herzfrequenz und förderlich im Sinne der Konzentration aus. Mit anderen Materialien wäre ein solches pädagogisches Konzept zwar nicht unmöglich, aber schwieriger in der Umsetzung.

Im Bild: Ein weiterer Preisträger – Riepl Kaufmann Bammer Architekten errichteten dieses Wirtschaftsgebäude auf dem Zentralfriedhof. Die schwarze Garage für Bagger und Traktoren, meint die Jury, erinnere ein wenig an die auratischen Moderne-Pavillons eines Ludwig Mies van der Rohe.

Foto: Bruno Klomfar

"Was mir bei diesem Projekt so gut gefällt, ist der gute Alterungsprozess des Hauses", sagt Clemens Kirsch, Sieger des 2009 ausgeschriebenen EU-weiten Wettbewerbs und Erbauer des Kindergartens, der nun seine sechste Saison bestreitet. "Das Holz altert schön und würdevoll. Die fünf Jahre seit Eröffnung sind dem Haus kaum anzusehen."

Was den Wiener Architekten besonders freut: Die in der Planungsphase kalkulierten Betriebskosten konnten – fast, also mit einer geringen Überschreitung – eingehalten werden. Im Schnitt belaufen sich die Heiz- und Kühlkosten dieses mit einer Wärmepumpe ausgestatteten 1.200 Quadratmeter großen Hauses auf gerade einmal 700 Euro pro Jahr. Das erfüllt selbst Bewohner einer mittelgroßen Neubauwohnung mit Neid.

Im Bild: Ein weiterer Preisträger – in der Wohnhausanlage "Wohnen im Seefeld" griffen die Wiener Architektin Anna Wickenhauser und Architekt Ulrich Huhs auf Holzriegelbauweise und Holz-Stahl-Skelette zurück. Der nachwachsende Rohstoff ist vor allem an der Fassade sowie auf den Gemeinschaftsterrassen auf dem Dach gut spürbar.

Foto: Bruno Klomfar

Errichtet wurde der Kindergarten Schukowitzgasse als sogenannter Holzhybridbau. Das heißt: Mehrere Materialien wie etwa Beton, Stahl und Holz wurden je nach statischer und bauphysikalischer Anforderung miteinander kombiniert, wobei der Holzanteil mit mehr als 50 Prozent deutlich überwiegt.

Kirsch: "Bodenplatte, Decke, Säulen und Stiege sind aus Stahlbeton. Der Rest besteht aus Holzelementen, die im Bregenzerwald halb vorgefertigt und anschließend per Tieflader nach Wien transportiert wurden." In nur 14 Tagen war die zimmermannsmäßige Montage der Elemente vor Ort abgeschlossen.

Im Bild: Ein weiterer Preisträger – Dietrich Untertrifaller Architekten haben diesen gründerzeitlichen Stahlbeton-Industriebau mit Holz aufgestockt. Dank des Materials konnte der zweigeschoßige Dachaufbau Flachgasse in seiner gesamten Last reduziert werden. Eine urbane Musterlösung, sagt die Jury.

Foto: Bruno Klomfar

Knapp ein Viertel aller heute Jahr für Jahr in Wien eingereichten Projekte sind bereits Holzbauten. "Da hat sich in den letzten 20 Jahren schon sehr viel getan", meint Alfred Teischinger, Professor für Holztechnologie und nachwachsende Rohstoffe an der Boku Wien, der alle fünf Jahre umfangreiche bundesweite Erhebungen zu diesem Thema macht. "Gemessen an Gesamtösterreich, wo aufgrund seines hohen Waldanteils bereits 43 Prozent aller Neubauten in Holz errichtet werden, ist das aber noch immer ziemlich wenig. Da ist noch Luft nach oben."

Im Bild: Ein weiterer Preisträger – Dachbodenausbauten gibt es in Wien viele. Die alte Konstruktion ist oft kaum nachvollziehbar. Nicht so im Dachausbau in Wien-Fünfhaus. Hier ist es Architekt Andi Breuss gelungen, mit Holzbalken und Lehmwänden den alten Charakter zu erhalten.

Foto: Bruno Klomfar

Auf diese Entwicklungspotenziale hinzuweisen und diese Luft nach oben auszunutzen, das ist die Mission des Wienwood 15, der als Gemeinschaftsprojekt von Pro Holz Austria, Architekturzentrum Wien und Stadt Wien heuer zum zweiten Mal vergeben wurde. "Mit diesem Preis", sagt Georg Binder, Geschäftsführer von Pro Holz Austria, "möchten wir Holz der Bevölkerung, vor allem aber den Behörden ins Gedächtnis rufen. Meine Vision ist, Holz in der Stadt als vollwertigen und gleichberechtigten Baustoff zu etablieren."

Im Bild: Eine Auszeichnung gab es für den Bahnorama-Aussichtsturm am Hauptbahnhof, den Rahm Architekten für die ÖBB geplant haben.

Foto: Bruno Klomfar

Diesen Zustand gab es in der Vergangenheit bereits des Öfteren. Die historischen Fachwerkhäuser in Deutschland und Frankreich prägen bis heute das Erscheinungsbild ganzer Großstädte. Und hierzulande? "Allein das gründerzeitliche Wien wäre ohne Holz absolut undenkbar", sagt Architekt Clemens Kirsch und verweist auf die in Holz errichteten Tramdecken und Dachstühle dieser Bauten. "Besser als anhand dieser mehr als hundert Jahre alten Häuser kann man Nachhaltigkeit nicht darstellen." (Wojciech Czaja, 26.9.2015)

Im Bild: Eine Auszeichnung gab es auch für die Wohnhausanlage Mühlweg – Bauteil A, die von der Arge Architekten und Hermann Kaufmann und Johannes Kaufmann Architektur für die BWS geplant wurde.

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Wienwood 15

Foto: Bruno Klomfar