Mit knapper Mehrheit haben die sezessionistischen Parteien am Sonntag die Wahl in der spanischen Region Katalonien für sich entschieden. Während die einen das Ergebnis als Ausdruck der Selbstbestimmung der Katalanen interpretieren, beharren die anderen auf einem Verbleib der wohlhabenden Region um Barcelona beim spanischen Staat. Der deutsche Wissenschafter Kai-Olaf Lang erklärt, wie es nun weitergehen könnte.

STANDARD: Was bedeutet der knappe Ausgang der Wahl vom Sonntag in Katalonien?

Lang: Die meisten Umfragen im Vorfeld deuteten schon darauf hin, dass es für die unabhängigkeitsorientierten Kräfte schwer werden würde, eine absolute Mehrheit in Stimmen zu erreichen. Dass sie zusammen auf eine Mehrheit in Mandaten kommen, war aber ebenso wahrscheinlich. Es war eine starke Mobilisierung zu beobachten, die Wahlbeteiligung war sehr hoch, aber offensichtlich konnten beide Seiten ihre Anhänger an die Wahlurnen bringen, also auch diejenigen, die separationsskeptisch sind.

STANDARD: Wie einig sind sich die Nationalisten eigentlich?

Lang: Sie haben ein gemeinsames strategisches Ziel, nämlich die Loslösung Kataloniens vom spanischen Staatsverband. Es gibt aber durchaus Unterschiede darin, wie konsequent man vorgehen soll: Während pragmatischere Kräfte weiterhin dafür plädieren, auch mit einer widerwilligen Zentralregierung in Verhandlungen einzutreten, und eine Unabhängigkeit nur als Ultima Ratio sehen, fordern andere Strömungen ein unilaterales Ausscheiden. Abgesehen davon liegen die Unabhängigkeitsbefürworter in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik weit auseinander. Eine der großen Herausforderungen wird nun sein, ob es diese unterschiedlichen Gruppen schaffen, auch in prosaischen Fragen wie Finanz- und Bildungspolitik einen Modus Vivendi zu finden, um regieren zu können.

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Die Befürworter der katalonischen Unabhängigkeit feierten am Sonntag bis spät in die Nacht auf den Straßen Barcelonas.
Foto: EPA/ALBERTO ESTEVEZ

STANDARD: Der bisherige Regionalregierungschef Artur Mas will binnen 18 Monaten eine Verfassung für Katalonien ausarbeiten lassen. Wie könnte diese aussehen?

Lang: Das siegreiche Bündnis Junts pel Sí hat vor der Wahl eine Roadmap ausgearbeitet, die es Katalonien mittels eines vierstufigen Plans erlauben würde, sich in 18 Monaten von Spanien abzuspalten. Ob man diese Phasen entschlossen durchspielt und ob die Verbundenheit – auch gegen den zu erwartenden starken Widerstand aus Madrid – ausreicht, ist ungewiss. Man darf nicht vergessen, dass Ende des Jahres in ganz Spanien gewählt wird. Die Frage ist nun, ob ein Regierungswechsel in Madrid für die Katalanen nicht ein neues Fenster für Verhandlungen öffnen könnte – bestimmt nicht über die Unabhängigkeit, aber vielleicht über andere Reformen. Ich glaube also, dass die neue katalonische Regierung zunächst sehr umsichtig handeln und die spanischen Wahlen abwarten wird.

STANDARD: Wie würde sich ein starkes Abschneiden der Linken in Gesamtspanien auf die katalonische Frage auswirken?

Lang: Die Sozialisten haben intern einen Formelkompromiss mit den katalonischen Sozialisten gefunden, wonach man offen für Gespräche über eine Föderalisierung Spaniens ist. Podemos hat erklärt, man wolle eine grundsätzliche Verfassungsrevision und wäre prinzipiell bereit, die rechtlichen Voraussetzungen für ein katalonisches Unabhängigkeitsreferendum zu schaffen. Die Frage ist, ob die Parteien in der Lage sind, den Katalanen ein glaubwürdiges Angebot zu unterbreiten. Schließlich braucht man aufgrund der hohen Hürden in der Praxis immer die Stimmen der Volkspartei (Partido Popular, Anm.), um die Verfassung zu ändern. Und auch innerhalb der Sozialisten ist die Frage der Föderalisierung umstritten.

STANDARD: Ministerpräsident Mariano Rajoy hat gewarnt, dass Katalonien im Fall einer Unabhängigkeit nicht mehr Teil der EU wäre. Das scheint die Wähler nicht besonders geschreckt zu haben.

Lang: Die Signale aus Madrid haben vermutlich auf beide Seiten gewirkt. Die Madrider Banken haben vor Währungsproblemen gewarnt, der spanische Außenminister vor dem Verlust der EU-Staatsbürgerschaft, der Fußballverband vor einem Ausschluss des FC Barcelona aus der Primera División (höchste spanische Liga, Anm.). Viele Katalanen haben darin den Versuch der Einschüchterung gesehen und sozusagen "jetzt erst recht" für die Unabhängigkeitsparteien gestimmt. Andere haben sich dann doch noch einmal Gedanken gemacht, ob der Preis einer vollumfänglichen Eigenstaatlichkeit nicht zu hoch wäre.

STANDARD: Wie geht es weiter?

Lang: In Katalonien muss durch das jetzt gewählte Parlament zunächst ein neuer Präsident gewählt werden. Amtsinhaber Mas ist aber für die linkssozialistische CUP, die zweite Unabhängigkeitsliste, eigentlich nicht wählbar. Vielleicht einigt man sich auf einen Kompromisskandidaten. Wenn das nicht klappt, würde es Neuwahlen geben. Grundsätzlich wird in den nächsten Wochen viel darüber diskutiert werden, ob das Ergebnis dem weiteren Prozess in Richtung Unabhängigkeit Legitimation verschafft hat. Dazu gehört, dass die Unabhängigkeitsbefürworter das Ergebnis als Erfolg interpretieren, weil sie eine Mehrheit der Parlamentssitze erlangt haben, die Unionisten aber darauf hinweisen, dass nur knapp 48 Prozent der Wähler für die Sezessionisten gestimmt haben. (Florian Niederndorfer, 28.9.2015)