Selbstverständlich wurde auch in den Jahren der DDR im Gebiet um die Flüsse Saale und Unstrut Wein erzeugt. Nur handelte es sich dabei um sogenannte Bückware, die nicht offiziell verkauft wurde, sondern nur unter dem Tisch, wozu man sich bücken musste – daher ihr Name. "Privaten war die Weinerzeugung verboten", erinnert sich der Winzer Bernard Pawis. "Wer Trauben anbaute, musste sie an die lokale Genossenschaft abliefern, die daraus Wein machte.

Der Weinbauer konnte dann ein paar Flaschen zum Vorteilspreis zurückkaufen, das wiederum nannte man Lohnware." Diese trank man entweder selbst, veräußerte sie auf dem Schwarzmarkt oder tauschte sie ein – etwa gegen einen Satz neue Reifen für den Trabant. Die restliche Produktion behielt der Staat, verwendete sie für offizielle Anlässe oder als Gastgeschenk bei Staatsbesuchen.

Ein paar historische Flaschen des Importtrauben-Weins findet man noch im Keller der Winzergenossenschaft.
Foto: Georges Desrues

Der Wandel

Genau 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung ist alles anders in dem kleinen, jahrhundertealten Weinanbaugebiet im Bundesland Sachsen-Anhalt (Teile der 750 Hektar Gesamtanbaufläche liegen auch in Thüringen und Brandenburg). "Manchmal kann ich es selbst nicht fassen, was sich in dieser relativ kurzen Zeit alles verändert hat", sagt Pawis auf seinem Weingut, einem ehemaligen und liebevoll renovierten Kloster, hoch oben über dem idyllischen Weinbauort Freyburg. Dabei ist er selbst wohl eines der besten Beispiele für diesen Wandel.

Weinbau haben er und seine Eltern bereits zu DDR-Zeiten betrieben, dann kam die Wende. Die Familie eröffnete eine Straußwirtschaft, wie man die bis dahin verbotenen Buschenschenken dort nennt, und wurde von Gästen regelrecht überrannt. "Bei uns wie bei vielen anderen war die Euphorie damals schlichtweg unglaublich, man dachte, dass plötzlich alles möglich sei", erzählt der Winzer, der infolge bei einigen Weingütern im deutschen Westen arbeitete – und dort prompt auf den Boden der Realität zurückgeholt wurde. "Sie erklärten mir, dass ich ohne Eigentum und Eigenkapital gar nicht erst probieren brauche, mich als Winzer zu etablieren", erinnert er sich. Gewagt hat er es trotzdem.

Weißburgunder und Rieslinge

Zuerst arbeitete er noch nebenbei für eine Weinhandelsfirma, dann kaufte er ein paar Lagen dazu und erzeugte immer mehr Wein. Nach viel harter Arbeit und der Einführung modernster Kellertechniken setzte bald darauf auch der Erfolg ein. "Irgendwann wurden schließlich ein paar Journalisten im Westen hellhörig, sie kamen, kosteten und schrieben sehr wohlwollend", sagt Pawis. Inzwischen gehört das Weingut zu einem von nur vier im gesamten Osten, die in den prestigereichen Winzerverband Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter aufgenommen wurden (VDP). Dass einige Grafen und Fürsten im Westen, die gleichfalls VDP-Mitglieder sind, den Winzer dennoch nach wie vor etwas schneiden, wie er sagt, kratzt ihn allerdings kaum. "Ein paar Besserwessis gibt es eben immer", meint er lapidar.

Pawis Vorzeigelage nennt sich Edelacker und ist Teil des prachtvollen Schweigenbergs, eines Weinbergs mit steilen Terrassen und kleinen Winzerhäusern darin. Neben den in der Region sehr beliebten Weißburgundern mit gut ausbalancierter Mineralität und Frucht baut er vor allem Rieslinge an, deren Aroma und Geschmack sich nicht zu verstecken brauchen vor einigen Gewächsen aus der Pfalz oder von der Mosel, die den exzellenten Ruf des deutschen Weins in den letzten Jahren begründet haben.

Der Freyburger Schweigenberg ist eine der bedeutendsten Rebflächen der Region.
Foto: Georges Desrues

Riesling aus Sachsen

Gleichfalls auf Riesling spezialisiert hat sich das Weingut Zimmerling in einem südlichen Vorort von Dresden im Nachbarbundesland Sachsen. Es ist das zweite der beiden ostdeutschen Weinanbaugebiete, das mit seinen 450 Hektar noch kleiner ist als Saale-Unstrut. Mitglied beim Winzerverband Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter ist Klaus Zimmerlings Weingut seit 2010. "Die vom VDP haben einige Jahre lang ziemlich genau beobachtet, was wir so machen", erzählt der Winzer. "Dann standen sie plötzlich vor der Tür und haben uns die Mitgliedschaft angetragen."

Kein Zweifel, dass Zimmerlings Weine sich die Auszeichnung verdient haben. Die Rieslinge schmecken hervorragend, frisch und mit knackiger Frucht, wenn auch etwas weniger blumig und weniger nach exotischen Früchten, als man das von den typischsten deutschen Vertretern dieser Rebsorte gewohnt ist. "Ich orientiere mich auch nicht unbedingt an deutschen Rieslingen, sondern viel mehr an solchen, wie sie in der Wachau gemacht werden", erklärt der Weinbauer. Dort hat er nämlich nach der Wende seine Ausbildung vervollständigt, und zwar am prestigeträchtigen Nikolaihof von Christine und Nikolaus Saahs. Bei diesen hat er sich auch die biologischen Arbeitsweisen abgeschaut, die er nun selbst in seinen vier Hektar Reben anwendet, auch wenn er auf ein offizielles Biozertifikat verzichtet.

Mut zum Risiko

Um seine für ein derart nördliches Gebiet und Klima erstaunlich dichten Weine zu erzeugen, erntet er seine Trauben erst spät im Jahr und hält die Erträge bewusst sehr klein. "Man braucht eben etwas Mut zum Risiko, um die Trauben so lange hängen zu lassen", erklärt Zimmerling, der bereits im Sommer 1989 über die offene Grenze in Ungarn nach Österreich gekommen ist. Allerdings nicht, um zu bleiben, sondern um in Wien seine jetzige Ehefrau zu besuchen, die damals dort studierte.

Danach ist der gelernte Maschinenbauer zurückgekehrt nach Dresden, um sich um den kleinen Weinberg zu kümmern, den er schon vor der Wende ausgepflanzt hatte. "Im Jahr 1992 veräußerte dann die örtliche Winzergenossenschaft einige Weingärten, die sie loswerden wollte", erzählt Zimmerling. Das Weingut am sogenannten Pillnitzer Königlichen Weinberg dient auch als Ausstellungsraum für die Werke von Zimmerlings Frau, der erfolgreichen Künstlerin Malgorzata Chodakowska. Zudem ist es eine Straußwirtschaft mit Tischen zwischen den Reben, von wo die Dresdner Ausflügler einen atemberaubenden Blick genießen in Richtung Süden, hinunter auf das unverbaute Elbtal.

Schlosswein

Ein etwas anderes Bild bietet indessen das edle Weingut Schloss Proschwitz Prinz zur Lippe, gleichfalls am Ufer der Elbe, jedoch nahe der Stadt Meißen und also im Norden der Landeshauptstadt. Hier lädt man zu klassischen Konzerten und Galadiners, veranstaltet Gartenpartys im Schlosspark und schmückt seine Etiketten mit kleinen Wappen und Krönchen. Wein erzeugte die Familie zur Lippe bereits im 17. Jahrhundert.

Dennoch musste der aktuelle Inhaber Georg Prinz zur Lippe das Anwesen seiner Vorfahren nach der Wende zuerst einmal zurückkaufen. "Als ersten Schritt pflanzte ich die Reben aus, um eine wirtschaftliche Grundlage zu schaffen für das Weingut", erzählt der freundlich-joviale Winzer, der bis dahin in München als Unternehmensberater gearbeitet und zuvor ein Landwirtschaftsstudium abgeschlossen hat. "Danach ließ ich sukzessive die Nebengebäude und das Schloss renovieren, das heute für Veranstaltungen und Hochzeiten genutzt wird."

Mitglied in der illustren Runde der Prädikatswinzer ist das prinzliche Weingut, dessen Grauburgunder und Müller-Thurgau besondere Erwähnung finden, schon seit einiger Zeit, nämlich seit 1996. Inzwischen umfasst es an die 90 Hektar, also rund ein Viertel der gesamten Anbaufläche des Weingebiets Sachsen, womit es zu den größten in den neuen Bundesländern zählt. Es ist auch so ziemlich das einzige Weingut, das nennenswerten Export betreibt. "Der Verkauf ins Ausland wird zunehmend bedeutender", freut sich zur Lippe "Langsam, aber sicher wird die Welt auf uns aufmerksam." Und dafür ist es 25 Jahre nach der Wiedervereinigung wohl auch Zeit. (Georges Desrues, RONDO, 3.10.2015)