Dass es in Wien-Erdberg erstklassige Pelmeni, Wareniki und Piroschki gibt, ist der Liebe eines Anwalts zur slawischen Küche geschuldet.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Variation aus Teigtaschen bietet die Möglichkeit, nach dem Borschtsch noch eine Ahnung der auch sonst gebotenen Güte zu bekommen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Dass es in London, Paris und New York gut beleumundete Lokale gibt, in denen die Küchen Polens, Böhmens oder des Baltikums hochgehalten werden, darf brav osteuropäischen Wienern wie uns schon ein bisserl auf den Sack gehen.

Wieso schaffen die das dort scheinbar locker, während wir quasi an der Quelle sitzen – uns die Pelmeni, Wareniki und sonstigen Blinis aber entweder selbst machen oder auf frostbrandige Frustbemmerln zurückgreifen müssen, die in den Tiefkühltruhen gewisser Ostgeschäfte warten? Ordentlichen Borschtsch, bei dem der Löffel mohikanergleich im Kraut-und-Rüben-Schlachtfeld stehenbleibt, den gibt's hier überhaupt nur in schüttelfrostigen Fieberträumen.

Osteuropäische Küche in Erdberg

So war das zumindest bis jetzt. Seit bald zwei Monaten hält in Wien-Erdberg nämlich ein Lokal geöffnet, in dem selbstmitleidigen Nostalgieraunzern wie dem Autor kunstvoll das Maul gestopft wird. Es sieht aus, wie man sich eine Wirtschaft zeitgemäß osteuropäischer Prägung nur wünschen kann, mit großen Fenstern, durch die man schon von außen Wärme und Wohlsein spürt. Mit schöner, behäbig getischlerter Möblierung, die zum Verweilen einlädt. Mit einem holzbefeuerten Backofen, aus dem kümmeliges Mischbrot und ganz wunderbar dichtes, dunkelschwarzes, gemälztes Borodinskij-Kastenbrot aus Roggenkochteig litauischer Tradition geholt wird. Und mit einem abgetrennten Bereich für den Nachwuchs, der wohl ungeschaut das Tollste ist, was man sich als mittelalte Jungeltern nur wünschen kann: fantasievoll, anmutig, dauerhaft attraktiv – und alles von Meisterhand nach Maß gemacht, sogar das Spielzeug.

Zu verdanken ist das dem Wiener Anwalt Christoph Liebscher, der zwar wie jeder bessere Wiener eine polnische Urgroßmutter (oder etwas Gleichwertiges) hat, die Pracht slawischer Küchentraditionen aber unabhängig davon lieben lernte – auf Geschäftsreisen. Er wohnt ums Eck und hat offenbar die Mittel, diese Liebe auch zu teilen.

Vielfalt mit Geschmack

In der Küche steht mit Alexander Verzi ein Mann, der einst für ziselierte Zweihaubenküche gut war. Hier fokussiert er sein Können darauf, löffelfesten Borschtsch samt knusprigem Kalbfleischpastetchen von derart tiefgründiger Aromatik zu kochen, dass man gar nicht weiß, wohin mit seinen Glücksgefühlen; oder Wareniki mit Rindsleber zu füllen, bevor sie in Speck und Apfelspalten abgeschmalzt werden. Auch sonst lässt er kaum eine Gelegenheit aus, ungeahnt heimelige, auf exotische Weise vertraut wirkende Deftigkeiten an die Tische zu schicken.

Die Variation aus Teigtaschen – neben den Wareniki noch Pelmeni mit Zwetschken-Kraut-Fülle und Eierschwammerl sowie gebackene Piroschki mit mürb-saftigem Kalbsfaschierten auf einer Sauce aus Sauerrahm und Dill (siehe Bild) – bietet die Möglichkeit, nach dem Borschtsch noch eine Ahnung der auch sonst gebotenen Güte zu bekommen.

Dabei gibt es noch viel mehr: Wunderbares Pörkölt vom Kalbsbackerl mit Tarhonya etwa, schwungvoll gewürzt, in ungeschönt suppiger Pracht. Oder Kürbissuppe mit Buchweizen-Pelmeni, sehr gut. Schweinskarree als großer Braten, gefüllt mit Trockenfrüchten und Roten Rüben, saftig, gut. Auf der überlangen Karte stehen aber auch italienische Klassiker wie Porchetta mit Fenchel oder Spaghetti al ragù oder Suppe mit Kasknödel und Schnitzel aus dem Butterschmalz. Die Linie des Lokals wird durch derlei Ausreißer natürlich verwässert – sie schmecken dessen ungeachtet aber mehr als vergnüglich. (Severin Corti, RONDO, 2.10.2015)