Meghan Remy ist U.S. Girls, ihr Album "Half Free" eines der besten des bisherigen Jahres.

Foto: Drew Reynolds

Wien – Bei dem Namen denkt man an hüpfende Cheerleader oder Kalender für den Spind. An jene zur Jahreschronik gebundenen Blätter für Herren, denen es am Ende der Schichtarbeit nach etwas Illusion gelüstet, bevor sie heim zur Mama und den Plagen fahren, in die Realität. Der Name U.S. Girls klingt so verfänglich wie unverfänglich. Tatsächlich löst er nicht einmal den ihm eingeschriebenen Plural ein: U.S. Girls ist ein Einmannunternehmen, das einer Frau, jenes von Meghan Remy.

Remy wird von der Fachpresse noch wie ein Enigma behandelt. Zwar veröffentlicht sie seit 2008 regelmäßig Alben, doch erst mit dem nun beim britischen Edel-Indie-Label 4AD erscheinenden Half Free wird die Welt so richtig aufmerksam auf sie.

Meghan Remy ist U.S. Girls, ihr Album "Half Free" eines der besten des bisherigen Jahres.
Foto: Drew Reynolds

Zwar ist Meghan Remy ein U.S. Girl, doch ein Fahnenflüchtiges, eines, das nach Kanada gegangen ist. Dort entstanden ihre ersten Aufnahmen, die dem Fach der Low Fidelity zuzurechnen sind. Wobei das in Remys Fall schlichter Not und keiner solipsistischen Tugend zuzuschreiben ist. Gerne hätte sie schon früher eine große Produktion gestemmt, der ihr tatsächlich zur Verfügung stehende finanzielle Rahmen ließ jedoch nicht mehr zu, denn als Alleinunterhalterin im Schlafzimmer aufzunehmen. Das ist nun vorbei. Ein bisschen.

Das Album Half Free ist zwar mit befreundeten Musikern aufgenommen worden, verdankt seinen Charme aber weiterhin dem intimen Charakter der Zwangshäuslichkeit zwischen Schlafstatt, Fernseher und Einbauküche.

Wo ist der Kaugummi?

Man darf sich gerne auch einen Wohnwagen als Entstehungsort ihrer Musik vorstellen. Schließlich inszeniert sich Remy wie eine Trailerparkbewohnerin am Zahltag: Heut' wird aufgedonnert. Die Nägel frisch lackiert, die Dauerwelle gestärkt, die Jeansjacke aus der Putzerei geholt und die neue hochtaillierte Hose ausgeführt. Wo ist der Kaugummi, wo die Kondome? White Trash in der Gala. Voll die 1980er-Jahre.

4AD

Zu dem Image passt Remys görenhafter Gesang. Dieser erinnert an berühmte Girlgroups der 1960er-Jahre, an die Ronettes, an eine Dolly Parton unter der Dusche. Zwischentöne lässt er kaum zu, was gesagt werden muss, wird gesagt. So entzieht sich Remy nebenbei dem inflationär gebräuchlichen Schmollgesang vieler ihrer Kolleginnen. Doch ist ihr zart an der Übersteuerung entlangschrammender Gesang in wunderbare Musik eingebettet. In lauschige Schaltkreisetüden, die an frühe Soloarbeiten Brian Enos denken lassen.

Alltagstauglicher Feminismus

Zu dieser Referenz gesellt sich noch Madonna. Remy klingt stellenweise ebenso forsch wie das angehende Material Girl, als dieses noch kellnerte. Dabei positioniert sie sich trotz Trailerparkkoketterie mit einem alltagstauglichen Feminismus und einer alltagstauglichen Erzählweise. Die hat ihr verwegene Vergleiche eingebracht, ja, ein weiblicher Bruce Springsteen soll sie sein.

4AD

Zwar rockt ein Lied wie Sed Knife durchaus, doch das ist die Ausnahme. Die Gitarre dominiert nicht. Es sind Songs wie Window Shades, die das Talent von U.S. Girls am überzeugendsten offenlegen. Es sind die im Schlafzimmer entstandenen Titel, die Remy ins Bandgefüge überführt und die mit üppigerer Instrumentierung aufgehen wie Frühlingsblumen.

Es sind dies Gratwanderungen, die einen der überzeugendsten Popentwürfe des bisherigen Jahres ergeben, der mit verschlafenen Liedern wie Sororal Feelings oder Red Comes In Many Shades ebenso Höhepunkte markiert wie mit schattigen Popsongs wie Woman's Work oder Damn That Valley. Wer da noch Lana Del Rey nachhängt, ist selber schuld. (Karl Fluch, 30.9.2015)