Mit 31 Jahren gehört Robert Jöchl zu den älteren Bachelor-Studierenden an der Fachhochschule Salzburg. Doch in Sachen Berufsausbildung ist er seinen Studienkollegen um einiges voraus: Jöchl absolvierte eine Lehre zum EDV-Techniker und arbeitete anschließend zehn Jahre im IT-Bereich. Die beruflichen Aussichten waren ihm aber nicht genug: "Ich habe schnell gemerkt, dass die Aufstiegschancen mit Lehre begrenzt sind und ein Jobwechsel ohne akademischen Titel eher schwierig ist", sagt Jöchl. Also beschloss er vor einem Jahr, den Bachelor in Informationstechnik und Systemmanagement an der FH Salzburg anzufangen – ganz ohne Matura.

Das ist für Lehrlinge an allen Fachhochschulen möglich, solange sie eine sogenannte "einschlägige berufliche Qualifikation haben" oder eine Studienberechtigungsprüfung vorweisen können. "Es ist wichtig, dass die Berufsausbildung und die schulische Allgemeinbildung als gleichwertig anerkannt werden", sagt Alfred Freundlinger, Experte für Bildungspolitik der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Dafür solle man die Studienanwärter "dort abholen, wo sie sind". Die derzeitigen Angebote würden das laut Freundlinger aber nicht tun: "Sie richten sich nach dem Level der Reifeprüfung."

So war es auch bei Jöchl: Seine Lehrausbildung entspricht zwar der Branche des Studiums, also der einschlägigen beruflichen Qualifikation, wodurch er nur einen Teil der Studienberechtigungsprüfung nachmachen musste. Um Mathematik, Englisch und Deutsch kam der gelernte EDV-Techniker aber nicht herum. In zwei Semestern holte er die Fächer am BFI nach, um auf dem gleichen Niveau wie seine Studienkollegen, die Matura gemacht haben, zu sein. Der Nachteil: Die Studienberechtigungsprüfung zählt nur für einen Studiengang.

Wenige FH-Studierende ohne Matura

Studierende wie Jöchl sind an Fachhochschulen eher selten anzutreffen: Im Sommersemester 2015 machten sie lediglich 3,6 Prozent aller 42.374 FH-Studierenden aus. Das ergab eine Erhebung der Statistik Austria. Den geringen Anteil an Studierenden ohne Matura erklärt sich Helmut Dornmayr vom Institut für Bildungforschung der Wirtschaft (ibw) mit den "hohen Hürden". "Einerseits sind es die Aufnahmeverfahren. Andererseits trauen sich das sehr wenige Lehrlinge zu, da sie glauben, zu wenig Allgemeinbildung für ein Studium zu haben", sagt Dornmayr.

Einer, der sich das dennoch zugetraut hat, ist Gerald Maier. Der gelernte Zahntechniker merkte nach einigen Jahren im Berufsleben, dass dies doch nicht sein Traumjob ist: "Trotz Aufstiegschancen habe ich den Entschluss gefasst, mich nach einem neuen Beruf umzusehen", sagt der 33-Jährige. Nun studiert Maier im ersten Semester Ergotherapie an der Fachhochschule für Gesundheitsberufe in Oberösterreich. "Mir ging es nicht um die Karriere, sondern darum, meine Berufung zu finden", sagt er.

Herausforderung

Anders als Jöchl musste Maier keine komplette Studienberechtigungsprüfung machen, sondern nur Englisch nachholen. Die beruflich einschlägige Qualifikation reichte aus, dann durfte er studieren: "Es ist nicht leicht, nach so vielen Jahren wieder ins Lernen zu kommen", sagt Maier. Eine weitere Herausforderung sei die Finanzierung, denn nach 15 Jahren sei man es nicht mehr gewohnt, kein Gehalt zu bekommen. Aber Maier bekam Unterstützung: Sein ehemaliger Arbeitgeber ermöglichte ihm ein Jahr Bildungskarenz.

Für Jöchl ist die Situation "schwieriger": Der zweifache Familienvater bezieht das Selbsterhalterstipendium und arbeitet acht Stunden pro Woche neben dem Studium. "Ohne das Stipendium könnte ich mir das Studium und Familie nicht leisten", sagt er. Doch das Vollzeitstudium habe auch seine Vorteile: "Der Stundenplan erlaubt mir ein flexibleres Zeitmanagement als früher." So habe er untertags mehr Zeit für seine Kinder.

Möglichkeit zur Weiterbildung

Einer, der die Erfahrungen, die Jöchl und Maier gerade machen, bereits hinter sich hat, ist Michael Pertl. Nach seiner Lehre zum Gas-, Wasser- und Heizungstechniker arbeitete Pertl auf der Baustelle. "Das ist ein harter Job. Ich wusste, dass ich in dem Berufsfeld bleiben wollte, aber nicht am Bau ", sagt der 35-Jährige. Also sah er sich nach Weiterbildungsmöglichkeiten um und stieß "per Zufall" auf die Möglichkeit, ohne Matura zu studieren. "Ich wusste gar nicht, dass das überhaupt geht", sagt Pertl, der einen Vorbereitungslehrgang an der FH Burgenland in Pinkafeld absolvierte, bevor er dort Gebäudetechnik und Gebäudemanagement studierte.

Der akademische Abschluss erleichterte ihm den Einstieg in die Selbstständigkeit: Pertl betreibt heute ein eigenes technisches Büro und arbeitet als Leiter des Produktmanager bei SEG Kioto GmbH im Bereich Solarthermie. "Ich hatte keine Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Ohne Studium wäre das schwieriger gewesen", sagt Pertl.

Dass Lehrabsolventen mit akademischem Abschluss lieber in Führungspositionen gesehen werden, vermerkt auch Dornmayr vom ibw. Hier sei das FH-Studium ohne Matura eine gute Möglichkeit, gut qualifizierte Führungskräfte aus der Praxis auszubilden. Zusätzlich würde es auch Lehrlinge anlocken, sagt Freundlinger: "Um gute Leute in die Berufsbildung zu bekommen, muss man ihnen auch die Möglichkeit geben, sich weiterzubilden." (Selina Thaler, 1. 10. 2015)