Peter Hein und die Fehlfarben führen auf "Über ... Menschen" ihre Weltanklage fort. Die Flüchtlingskrise kommt auch vor: "Viele müssen hier rein / Wir wollen raus."

Foto: Julia Hoppen

Wien – Natürlich geht alles einmal zu Ende, nur noch nicht jetzt. Peter Hein hat davon in seinem Leben mehr als ein Lied gesungen. Der Mann aus Düsseldorf hat seine grundsätzlich auf heiterem Fatalismus beruhende rheinische Frohnatur mit 58 Jahren mittlerweile so lange gehegt und gepflegt, dass daraus etwas ganz Eigenes geworden ist. Der auf Galgenhumor vertrauende Pessimismus passt seit mittlerweile zehn Jahren wie die Faust aufs Auge seines Wahlwohnsitzes Wien. Von selbst fängt Hein im privaten Umgang allerdings ungern zu schimpfen an. Es hilft ja eh nichts. Allerdings braucht man ihn auch nicht allzu sehr zu reizen, um den bestens schlechtgelaunten Beschwerdekünstler in Gang zu setzen. Der reißt sehr gern auch noch ein paar andere Leute mit, wenn sowieso alles den Bach hinuntergeht. Rein rhetorisch. Peter Hein ist ein höflicher Räsonierer.

Ein wichtiges Reizwort stellt etwa der Begriff Zukunft dar. Dieser wird schon auf Heins Debüt mit den Fehlfarben, dem regelmäßig zum besten deutschsprachigen Album aller Zeiten gewählten Weltverneinungsmanifest Monarchie und Alltag (1980) kategorisch abgelehnt. Zukunft ist historischer Humbug. Zukunft hat wahrscheinlich schon damals vor 35 Jahren nicht stattgefunden. Und der Grauschleier, der über den Städten lag, konnte über die Jahrzehnte auch nur auf den Flachbildschirmen, nicht aber real nachkoloriert werden.

Peter Hein und die Fehlfarben führen auf "Über ... Menschen" ihre Weltanklage fort. Die Flüchtlingskrise kommt auch vor: "Viele müssen hier rein / Wir wollen raus."
Foto: Julia Hoppen

Früher als junger Mensch sang Peter Hein darüber, wie es war, als er damals schon nicht mehr jung war – was für einen Menschen, der Jugend kategorisch als Humbug ansieht, eine beachtliche Leistung darstellt. Immerhin geht man als alter Mensch davon aus, dass man ein Anrecht darauf hat, dass alles so bleibt, wie es ist, obwohl das einem dann auch nicht recht ist. Heute mit 58 Jahren heißt es in einem neuen Lied namens So hatten wir uns das nicht vorgestellt: "Man wollte nicht mehr wie jemand anderer sein / Wollte sich von allem Alten befrei'n / Und plötzlich, ohne dass man sich's versah / Stand man nackt in der Zukunft, die keine war."

Wir sehen, es ist alles sehr kompliziert. Hein stieg nach Monarchie und Alltag und Klassikern wie Grauschleier, Das war vor Jahren, Paul ist tot und Es geht voran aus den Fehlfarben aus. Er wollte keine Karriere als professioneller Musiker, arbeitete als Bürohengst bei Rank Xerox. Seit 2002 und dem Comeback Knietief im Dispo wird halbprofessionell Musik gemacht. Wenn man heutzutage kein Geld mehr damit verdienen kann, geht das ja als Altersprekariat okay – oder nicht. Man sagt Ja zum Widerstand gegenüber den Verhältnissen, indem man als Punk immer noch weiter ein gebelltes Nein dagegenhält. Wenn alle einverstanden sind mit dem, was ist, muss es ja einer tun. Und sei es ein alter Sack.

tapeterecords

Nach Alben wie Handbuch für die Welt, Glücksmaschinen und zuletzt Xenophonie von 2012 liegen jetzt auf Über ... Menschen 13 neue Lieder im Zeichen von Sturheit, Aufsässigkeit und Unbelehrbarkeit vor. Hein gibt sich, nein, ist also unversöhnlich, wenn auch etwas altersmilde: "Hör mal, ich brech doch keinen Streit vom Zaun / Mit Generationen, die sich eh nichts trau'n / Ich alter Sack hab doch nicht in der Hand / Von wem ich genervt werd' / Das ist der Dinge Stand."

Die Musik zu diesen meist erst im Studio spontan hingekritzelten, aus groben Klötzen gehauten und gebauten Texten ist nach wie vor ruppig. Muss ja. Neben Bläsersätzen und erstaunlich poppigem Backgroundgesang ist die ganze Sache aber etwas aufgeräumter geworden. Reggae, Gottseibeiuns-Breitbeinrock, ein wenig Funk, Disco und zünftiger Biertrinker-House sind zu hören. Da kommt Luft rein. Gut, wenn die Bude nicht stickig wird.

Punk-Spießer und Rollator-Rebell

Peter Hein ist wie gewohnt leicht neben der Spur bellend auf Linie: "Davon geht die Welt nicht unter, dass man sie zerstört", heißt es in Untergang. An anderer Stelle tauchen selbstgehässige Begriffe wie "Punk-Spießer", "Rollator-Rebell" oder "bezahlter Rotwein-Genießer" auf. Warum Hein in seinen Weltanklagen allerdings vorzugsweise das Wir-Wort verwendet, wenn doch alles wegen den vielen Ichs auf dem Planeten zugrunde geht, das bleibt sein großes lyrisches Geheimnis, ein Teil (k)einer Bewegung.

Jetzt haben wir wieder Scherereien mit dem Begriff Zukunft: Die Fehlfarben und ihre Musik mögen zwar in ihrer längst zur Konvention gewordenen Formelhaftigkeit mittlerweile wohl auch Teil des Problems geworden sein, zu dem man Tote Hosen sagen darf. Letztendlich bleibt man aber trotzdem unverbogen. Peter Hein und die Fehlfarben sagen Nein zur modernen Welt. Eigentlich sagen sie Nein zu jeder Welt. Das ist Punk. Zur Festung Mitteleuropa sagen sie aktuell auch etwas: "Viele müssen hier rein / Wir wollen raus!" (Christian Schachinger, 1.10.2015)