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Seit dem Ende der 1990er-Jahre fordern Globalisierungskritiker die Einführung der Finanztransaktionssteuer. Die Abgabe soll riskante Geschäfte weniger interessant machen und die Märkte zähmen.

Foto: AP/Mario Vedder

Es ist ein verregneter Herbsttag in Brüssel, als der großgewachsene EU-Diplomat zu dem Gespräch in sein Eckbüro mit schöner Aussicht auf die belgische Hauptstadt bittet. Das Thema an diesem Tag ist nicht einfach. Es geht um eine alte Idee, von der die Menschen in Europa schon lange nichts mehr gehört haben: um die Finanztransaktionssteuer (FTT).

Im Februar 2013 legte die EU-Kommission einen Vorschlag für die Einführung einer FTT vor, mit der nichts weniger als eine Zähmung der Finanzmärkte versucht werden sollte. Elf Länder, darunter Deutschland, Österreich und Frankreich, einigten sich darauf, die Abgabe auf Geschäfte von Banken, Hedgefonds und Versicherungen rasch einzuführen.

Doch schon nach kurzer Zeit mündeten die Verhandlungen in einer Sackgasse. Wer Beamte in Brüssel nach dem Verhandlungsstand fragte, erntete noch bis vor wenigen Monaten nur frustrierte Kommentare. Tenor: Selbst wenn die Finanzsteuer je komme, werde sie nur eine verwässerte Miniabgabe, weil jeder nach Ausnahmeregelungen verlange.

Doch an diesem Herbsttag wird beim Gespräch mit dem in die FTT-Verhandlungen involvierten Diplomaten rasch klar: Der Wind hat sich noch einmal gedreht. Die Finanztransaktionssteuer, so wie sie 2013 konzipiert wurde, erlebt eine Art Auferstehung. "Es sieht erstmals gut aus", sagt der Insider.

Neue Dynamik

Aber was ist nun anders als Ende 2014? Zunächst ist eine neue politische Dynamik in die Gespräche gekommen.

Unter den elf Staaten haben lange Zeit Frankreich und Italien Fortschritte blockiert. In beiden Ländern gibt es bereits eine Steuer auf bestimmte Finanzgeschäfte, und Rom und Paris wollten ihr Modell auf die anderen Staaten einfach übertragen. Doch das lehnten die anderen neun Länder ab. Vor allem kleinere Staaten wie Slowenien und Österreich fürchteten, dass das französische Modell ihnen finanziell so gut wie nichts einbringen würde.

In Frankreich gibt es aktuell nur eine Börsensteuer: In Paris ausgegebene und dort gehandelte Aktien werden also mit einer kleinen Abgabe belegt. Doch die EU-Kommission wollte viel weiter gehen.

Zunächst schlug sie vor, nicht nur Aktien, sondern auch Derivate mit der FTT zu erfassen. Derivate sind Finanzprodukte, deren Preise sich von den Preisen anderer Wertpapiere ableiten. Mit Derivaten kann man Investments absichern – aber ebenso gut hochriskant an den Finanzmärkten spekulieren. Über 200 Billionen Dollar beträgt der geschätzte Umsatz mit Derivaten allein in Europa.

Universelle Geltung

Die EU-Kommission wollte zudem Finanztransaktionen weltweit erfassen. Wo auch immer auf der Welt ein Wertpapier aus einem der elf Länder mit FTT gehandelt wird, sollte die Abgabe anfallen. Ausgabeprinzip wurde der Mechanismus getauft.

Selbst wenn eine Londoner Bank einem Hedgefonds in New York eine Siemens-Anleihe abkauft, wäre die FTT in Europa fällig gewesen. Um eine Steuerpflicht zu begründen, sollte es überhaupt ausreichen, wenn an dem Geschäft eine Bank oder ein Fonds aus einem der elf Staaten beteiligt ist. Ansässigkeitsprinzip wurde dieser Grundsatz genannt.

Frankreich und Italien lehnten diesen weiten Radius ab, Paris wollte zudem Derivate ausnehmen. Französische Banken sind schließlich groß in diesem Geschäft. Nach zwei Jahren ergebnisloser Verhandlungen stellten die übrigen neun Italien und Frankreich ein Ultimatum: Entweder Rom und Paris lenken ein, oder man erklärt das ganze Projekt für politisch erledigt. Davor schreckten Frankreichs Staatschef François Hollande und Italiens Premier Matteo Renzi, zwei Linkspolitiker, zurück. Sie lenkten ein.

Rom und Paris geben nach

"Alle Umfragen zeigen schließlich, dass große Teile der Bevölkerung die FTT befürworten", sagt der EU-Diplomat. Seit Jahresbeginn steht fest, dass Derivate nicht ausgenommen werden. Die Finanzsteuer soll auch wie ursprünglich angedacht weltweit Geschäfte erfassen.

Neben der politischen Dynamik hat auch eine Umstellung der Arbeitsweise Bewegung in die Gespräche gebracht. Die neun Länder arbeiten nicht im EU-Rahmen. Sie nutzen eine wenig erprobte Möglichkeit der vertieften Zusammenarbeit. Lange Zeit sollen die Gespräche nicht vorangekommen sein, weil die Verhandlungen unorganisiert abliefen, wird erzählt.

Fachbeamte einigten sich mündlich auf etwas; sobald ein schriftlicher Vorschlag vorlag, wollte es jeder anders gemeint haben. Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling hat die politische Koordination übernommen – er leitet die Diskussionen der Finanzminister. Die Portugiesen führen die Verhandlungen auf technischer Ebene und sorgen dafür, dass alles sofort sorgfältig protokolliert wird. Zudem haben die Verhandler 25 Untergruppen gebildet, in denen spezifische Probleme systematisch bearbeitet wurden.

Sind damit alle Hindernisse beseitigt? Nein. So wird aktuell darum gerungen, wie weit Finanzdienstleister (Marketmaker) von der Steuer ausgenommen werden sollen. Auch über Ausnahmen für Pensionsfonds wird diskutiert. Offen ist die Höhe der Steuer: Die Kommission wollte eine Abgabe von 0,1 Prozent auf Aktien und 0,01 Prozent auf Derivate, wobei die FTT bei Käufer und Verkäufer anfallen sollte. Zwischendurch war von viel niedrigeren Sätzen die Rede. Nun gibt es eine Marschrichtung: Man könnte die Finanzsteuer mit langsam steigenden Steuersätzen einführen.

Per Mausklick

In den kommenden Wochen ist eine politische Einigung möglich, erwartet wird ein konkreter Gesetzesentwurf bis zum Frühjahr. Selbst NGOs sind optimistisch: "Es sieht so aus, dass es eine Steuer geben wird, die zwar nicht unserem Ideal entspricht, aber die auch nicht so sehr verwässert wird, wie wir das lange befürchtet haben", sagt der deutsche Finanzexperte Peter Wahl von Weed. Besonders groß sind seine Hoffnungen, weil die FTT weltweit gelten soll: "Es ist ein Erzübel der Globalisierung, dass man Kapital per Mausklick unkontrolliert verschieben kann. Die Finanztransaktionssteuer wird diese Geschäfte in einem Maß erfassen, wie man das vor kurzem noch nicht für möglich hielt." (András Szigetvari aus Brüssel, 1.10.2015)