Einen wie Pavel Štěpánek bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Er ist ein Mann wie ein Bär, groß gewachsen, mit wachen Augen und schnellen Ideen. Seine Rede ist bestimmt und doch gelassen. So redet jemand, der die Welt und das Leben gesehen hat. Štěpánek war in Afrika, in Australien, in Asien. Nun wird seine Stimme leiser und flattrig, so als taste er sich nur ungern in die Erinnerung zurück: "Die haben mir nachgeschossen. Das steckt man nicht so leicht weg. Eigentlich wollte ich nie mehr in meine Heimat zurück."

1983 ist Štěpánek aus der Kohle- und Industriestadt Ostrava im Osten Tschechiens nach Deutschland geflohen. Er landete in Köln, wo er Fotografie studierte. Dann brachte ihn ein Zufall 1995 doch wieder nach Tschechien, in den Böhmerwald. Dorthin, wo Wiesen und Wälder in der Dämmerung bläulich erstrahlen, wo die Moldau behäbig fließt, am Fuße des Plöckensteins, der sich 1.379 Meter in den weiten Himmel über Tschechien und Österreich erhebt.

Auf der Suche nach Licht

Štěpánek seufzt. Das klinge sicher sehr romantisch. Aber so sei es nun mal gewesen. "Das Licht, die üppige, großzügige Natur in dieser Landschaft, die einzigartig ist in Europa. Das hat mich umgehauen." Ein Fotograf sei ständig auf der Suche nach dem richtigen Licht. 1995 war Štěpánek für einen Auftrag in Slowenien. Es gab Dauerregen, und er musste seine Arbeit abbrechen. Auf dem Rückweg durch Österreich erwischte es ihn dann. "Ich sah diese prächtigen Farben über den Hügeln und bin nach Tschechien gefahren, landete hier und bin geblieben." Hier, das ist die kleine Gemeinde Želnava am südlichen Ende des Böhmerwalds.

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Die Bergkette mit ihren dunklen Fichtenwäldern, uralten Gletscherseen und steinernen Meeren, mit ihren wilden schwarzen Flüssen und kargen Hochmooren erstreckt sich 120 Kilometer lang zwischen Deutschland, Österreich und dem Südwesten Tschechiens. Zusammen mit seinem kleineren Bruder, dem Bayerischen Wald, ist der Nationalpark Šumava die größte zusammenhängende geschützte Waldfläche in Mitteleuropa. Ein verkanntes Paradies, durch das sich gut ausgebaute Rad-, Wander- und Wasserwege oder Loipen für den Winterurlauber wie Äderchen ziehen – für Leute, die Urwüchsigkeit und herbe Romantik lieben.

Biobauer wie aus dem Buch

Šumava heißt übersetzt "die Rauschende". Für Štěpánek war es am Tag seines zufälligen Besuchs sofort eine berauschende Landschaft. Er verliebte sich kopfüber in ein Grundstück, auf dem damals nur die Ruine eines alten Gutshofes und ein Genossenschaftsgebäude stand. "Dann hat sich alles nach und nach entwickelt. Auch die Idee mit dem Biohof, auf dem ich meinen eigenen Käse mache." Das notwendige Wissen dazu holte er sich aus Büchern. 170 Schafe, 60 Ziegen, 25 Kühe, zwei Esel und ein Kartoffelacker, verteilt auf 33 Hektar Land, gehören heute zum Biohof Slunečná, wo man den Urlaub verbringen kann und ab und zu Kunstausstellungen im alten Kuhstall gezeigt werden. "Jetzt bin ich also Bauer", sagt Štěpánek und grinst.

Der Böhmerwald hat eine bewegte Geschichte. Mit der Errichtung des Eisernen Vorhangs wurde der Böhmerwald zur Hochsicherheitszone und zum militärischen Sperrgebiet, in der kaum jemand leben, arbeiten und schon gar nicht Urlaub machen durfte. Die alten Siedlungen verfielen, Natur und Tiere holten sich ihr Revier zurück und konnten sich so in ihrer wilden Pracht entfalten. Erst mit der Wende im Jahr 1989 geriet die Region wieder in das Blickfeld von Biologen, Reisenden und Leuten, die auf der Suche nach einem neuen Leben waren.

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"Die Natur ist hier noch viel unverbrauchter als im Bayerischen Wald. Hier gibt es weniger Strommasten und Wege, die den Wald zerschneiden", sagt Lucia Pec. Die junge Frau mit kecken Augen hüpft sicheren Schritts von Stein zu Stein über einen kleinen Bach. Am anderen Ufer steht sie inmitten der knorrigen Kiefern, der Waldboden ist mit weichem, saftigem Moos bewachsen.

In diesem Gemälde wirkt Lucia mit ihrem roten T-Shirt wie eine Märchengestalt. Sie ist in Hamburg aufgewachsen, ihre Mutter in Tschechien. "Sie hat in der Kindheit im Böhmerwald Urlaub gemacht, ihre sehnsüchtige Liebe zu dieser Region muss sich irgendwie auf mich übertragen haben." 2005 ist die Biologin mit ihrem Mann Harald Hoke in die kleine Gemeinde Srní gezogen. "Wir wollten einen Neuanfang", sagt sie mit fröhlichem Gesicht. Also haben sich beide zu Naturführern ausbilden lassen und bieten seither didaktische Wanderungen an.

Die Einsamkeit aushalten

Abenteurer, Pioniere und seltsame Charaktere hat die Šumava immer angezogen. Leute, die dem kargen Leben mit Ideenreichtum begegnen. "Das war alles andere als leicht", sagt Josef Štemberk, der im 1991 gegründeten Nationalpark arbeitet. "Fürst Schwarzenberg hat seine Förster immer nach drei Monaten ausgetauscht. Denn die Einsamkeit des Waldes hält nicht jeder aus." Der Blick geht hindurch zwischen wuchtigen Stämmen, die im Schein der Sonne orange erstrahlen. Je tiefer man in den Wald schaut, desto düsterer wird es. "Passen Sie auf! Diese Düsternis kann einen wahnsinnig machen", sagt Štemberk.

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Nicht nur der Wald hat seine düsteren Seiten. Auch das Wasser der Vydra, die sich von dem idyllischen Bergdorf Modrava ihren Weg über gewaltige Felsen und Steine abwärts bahnt, ist so dunkel, als schieße schwarzes Blut durch die Lebensadern des Böhmerwalds. Dieser Anblick macht aber auch Appetit, denn das dunkle Wasser erinnert an das samtige tschechische Schwarzbier, wie es in der urigen Brauerei in Modrava ausgeschenkt wird.

"Bier ist das leider nicht. Der Fluss ist nur deshalb so dunkel, weil er sich aus Mooren speist", erklärt Štemberk. Die Hochmoore, ein Paradies für Insekten und Vögel, wurden in früheren Zeiten für den Abbau von Torf genutzt. Heute werden sie renaturiert, um seltenen Tier- und Pflanzenarten wie dem Birkhuhn oder Hochmoorsträuchern ein dauerhaftes Zuhause zu bieten.

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In der Früh und am Abend ist der Böhmerwald unwiderstehlich. Wer einmal gesehen hat, wie die Schemen der weichen Hügelketten im diesigen Morgenlicht zur Geisterlandschaft verschwimmen, aus der sich einzelne Bäume wie knochige Riesen erheben, der wird diesen Wald nicht mehr los. So wird es auch Vladimíra Tesařová ergangen sein, als sie vor zwanzig Jahren zum ersten Mal in den Böhmerwald kam.

Turnschuhe und Barock

"Ich liebe die Einsamkeit, wenn ich mit meinen Hunden spazieren gehe", sagt sie. "Manchmal lege ich mich einfach auf den Waldboden und schlafe dort." Nach drei Monaten Einsamkeit müsse sie trotzdem immer wieder zurück in das urbane Leben, "um nicht völlig verrückt zu werden". Die Frau, die aus der Nähe von Prag stammt, tappt in ihren Turnschuhen hinauf zu einer weißen Barockkirche mit markantem rotem Dach, die beiden Doggen folgen ihr.

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Sie öffnet das Tor der Kirche, die nach dem Heiligen Gunther benannt ist, einem Benediktinermönch, der 1045 an diesem Ort, Dobrá Voda, als Einsiedler verstarb. Den Altar der Wallfahrtskirche hat Tesařová aus Waldglas gegossen, einem Kaliglas, das durch Eisenoxyde seine typische grünliche Färbung bekommt. Die Künstlerin betrachtet ihr Werk, das wie ein Eisberg schimmert.

"Die intensiven Grüntöne, die Sie im Glas sehen", sagt sie, "das sind die Flüsse und Bäche im Böhmerwald im Frühjahr. Es ist die Zeit nach der Schneeschmelze, wenn das Leben und die Farben zurückkehren." (Ingo Petz, 6.10.2015)