Buchinger hat mittlerweile mehr als 86.000 Abonnenten auf Youtube.

Foto: Michael Buchinger

Keine Ahnung, was man sich vorgestellt hat. Aber es war sicher eine gute Idee, das Interview mit Michael Buchinger nicht in einem Starbucks-Café auf der Wiener Mariahilfer Straße zu machen, denn da würde jetzt vielleicht gekreischt werden oder zumindest würde er erkannt werden, müsste Autogramme geben und seinen Fans für Selfies zur Verfügung stehen. Und die Fragen, wie das alles so ist, würden andere stellen – mehrheitlich 14-jährige Mädchen.

Aber so sitzt er da, fast ein bisschen schüchtern, in einem cremefarbenen Trenchcoat, 22 Jahre, süßes Lächeln. Der Jetlag nach seinem Urlaub hat ihn schon um sechs Uhr früh aus dem Haus getrieben: Nach einem Spaziergang um den Block (wie in New York, wo er gerade war) hat er Frühstück geholt, war joggen, hat seinen Kalender upgedatet und war dann mit seinem Freund mittagessen.

Eine Kamera auf dem Bücherstapel

Man kann sich in der Sekunde vorstellen, wie das alles begonnen hat. "Ich war 15, und mir war langweilig", erzählt Buchinger, der aus dem Burgenland kommt. Dort hat er mit einer Kamera, die auf übereinandergestapelten Büchern stand, seine ersten Videos gedreht, heimlich, als die Eltern aus dem Haus waren. Viel zu umständlich wäre das gewesen, denen zu erklären, was er da so macht im Internet: "Für die Generation meiner Eltern ein bekanntlich sehr böser Ort", sagt er.

Seine Großeltern verstehen bis heute nicht, was er da tut, Woche für Woche. Was soll er auch sagen? "Ich habe eine Web-Serie, die sich mittlerweile 86.000 Fans regelmäßig anschauen." Buchinger ist Youtuber. Was das genau ist, das verstehen Leute über 40 schon kaum und nur dann ein wenig besser, wenn sie Teenager-Kinder haben, die sie nachts mit dem Smartphone im Bett erwischen und es dann heißt: "Nur noch ein Buchinger-Video. Dann dreh’ ich ab."

Michael Buchinger

"Gaming hätte ich machen sollen!"

86.000 "Abonnenten" also. Damit ist Buchinger vielleicht Österreichs bekanntester Youtuber. "Das ist eine Lüge!", ruft er in diesem typischen Buchinger-Ton, den die Fans aus seinen mehr als 300 Videos bestens kennen, winkt ab und fuchtelt dazu mit seinem Zeigefinger. "Gaming hätte ich machen sollen!", sagt er kokett, und man weiß sofort, das wäre nie sein Ding, genauso wenig wie die Fußballmannschaft in seiner Heimatgemeinde, lange Telefonate oder unhöfliche Menschen. Buchingers sogenannte "Hasslisten" sind Kult, aber das klingt bedrohlicher, als sie sind – nämlich mitunter auch Tipps in gutem Benehmen.

Monetär betrachtet, hat er, was die Let’s-Play-Formate der Gamer (Leute, die Videogames spielen und kommentieren) betrifft, sicher recht. Die haben sogar in Österreich bis zu 300.000 Abonnenten (wie der Youtuber VeniCraft). Für alle Altmediennutzer: Es gibt drei Felder, Videogaming, Schminktipps und Comedy, in denen Youtuber, selbst Teens oder Twens, für ihre Zielgruppe, auch Teens oder Twens, Superstars sind, für den Rest der Welt aber unbekannt bleiben.

Brav den Algorithmus füttern

"Keine Ahnung", sagt Buchinger, "was das über mich aussagt, wenn ich bei 14-Jährigen gut ankomme." Als Youtube-Komiker, der auf wundersame Weise ins Humorzentrum von Teenagern zielt, ist er kein Einzelfall. Während Erwachsene sich auf Youtube mithilfe von "Tutorials" höchstens einmal Nachhilfe holen, um die eigene Steuererklärung auszufüllen, Haare selbst zu färben oder Handydisplays auszutauschen, überzeugen die Youtube-Stars ihre jugendliche Zielgruppen dadurch, dass sie eben nicht perfekt sind, manchmal sogar dilettantisch, oft geradezu durchschnittlich. Nichts Weltbewegendes – genau das bietet das richtige Identifikationspotenzial.

Kein Wunder, dass beim Plausch über sein Leben der Student Buchinger, er studiert English and American Studies – "aber nicht als Lehrfach" –, irgendwann den einen Satz sagt: "Ich bin eh ganz normal, nur dass ich halt zwei Videos pro Woche mache." Die stellt er, für ihn ist das ein Studentenjob wie für andere Kellnern, immer dienstags und freitags auf Youtube und füttert damit brav einen Algorithmus, der im Netz die Kassen zum Klingeln bringen soll.

Die ganze Sache lässt mittlerweile TV-Redaktionen alt ausschauen und ist obendrein ein gutes Geschäft. Wie gut genau? "Es kommt darauf an", sagt Buchinger zurückhaltend. Sprich: Das mit den Einnahmen ist nicht immer vorhersehbar, "aber okay". So viel Youtuber auch in die Videokameras quatschen, beim Reden übers Geld wird es stiller. Während die sogenannten "Hauls" der Schmink- und Stylingtipp-Mädchen, in denen sie ihre Einkäufe vorstellen, sowieso wie ein feuchter Traum der Werbewirtschaft sind, sind es bei Buchinger Werbungen, die vor seinen Videos eingeblendet werden, und auch Productplacements.

Michael Buchinger

Unterhalten, nicht belehren

Und weil er nicht immer weiß, wie viel er wofür verlangen kann, und weil immer wieder auch medienrechtliche Dinge abzuklären sind, ist er jetzt auch, wie viele andere Youtuber, bei einer Vermarktungsplattform unter Vertrag. Deswegen war Buchinger im vergangenen Halbjahr auch vier Monate in Berlin. "Studio 71" haben unter anderen auch den erfolgreichsten deutschen Gamer und Youtuber Gronkh an Bord, checken Kooperationen – und schneiden natürlich bei den Einnahmen mit.

Es ist ein komisches Geschäft: In einer Branche, in der man eine ganz schöne Schlampe sein muss, um schnell zu wachsen, ist gleichzeitig die eigene Glaubwürdigkeit das größte Kapital eines Youtubers. "Du musst schon dahinterstehen", sagt Buchinger. Und obwohl er stets betont, dass er die Leute nur unterhalten und nicht belehren, "dass er oberflächlich bleiben will", hat er eine Message. Sein Video "Wenn Schwule das #sagen würden, was Heteros sagen" gibt diese Richtung vor. Ein großes Outing-Video, sagt er gespielt dramatisch, kann er leider nicht mehr machen. Das Thema hat er schon mit 15 erledigt, bei seiner Mutter im Burgenland.

Die Selbstoptimierungsmaschine

Klickt man sich quer durch sein Youtube-Werk, könnte man dieses Medium auch als Selbstoptimierungsmaschine, als Rhetoriktraining begreifen, für einen wie Buchinger, der früher einmal so nervös war, dass er bei seinen Videos beim Reden immer ganz außer Atem kam. So gesehen ist es keine Überraschung, wenn er sagt: "Es ist schon eine andere Art der Bestätigung, wenn man in einem anderen Medium unterkommt." So wie er als Kolumnist in der Miss. Denn: Auf Youtube kann jeder alles machen. Trotz Nischenstarruhms fühlen sich Youtuber oft als Underdogs und wollen weiter – ins Fernsehen, ins Kino oder eben Bücher schreiben, wie Michael Buchinger. Mal schauen, was die Zukunft bringt.

"Interessieren sich die Leute noch für mich, wenn ich 30 bin?", fragt sich der Youtube-Komiker ganz im Ernst und gibt sich selbst gleich die Antwort: "Ich denke nicht." Doch bis es so weit ist, begrüßt er weiterhin seine Fans mit seinem legendären "Hello friends, Michael Buchinger hier!" und schwenkt dabei gern ein Weinglas in die Kamera. Das war schon Stein des Anstoßes, siehe Vorbildwirkung für Jugendliche und so. Aber ganz oft trinkt Buchinger auch Tee oder Saft aus dem Weinglas, erzählt er. Untertags, wenn das Licht zum Filmen am besten ist, schafft er keinen Alkohol.

Michael Buchingers Internet ist vieles, aber sicher kein böser Ort. (Mia Eidlhuber, 03.10.2015)