Entdecker, Essayist und Wissenschaftsmanager in Personalunion: Gottfried Schatz.

Foto: Christian Fischer

Wenn ein Vortrag von Gottfried Schatz auf der Agenda stand, waren viele Wissenschafter und Studenten voller Vorfreude. Sie konnten sich sicher sein: Hier werden klare Worte in eine schöne, essayistische Sprache gefasst. Und am Ende würde man das Gefühl haben, ein bis zwei Kapitel aus dem umfangreichen Buch kluger Einsichten des Redners gelesen zu haben.

So war das auch bei der Eröffnung des Jubiläums "650 Jahre Universität Wien" im März dieses Jahres. Der Festsaal war bis zum letzten Platz voll. Was man zu hören bekam, war eine flammende Rede für die Grundlagenforschung und für die Universität als unabhängige, nicht von ökonomischen Zwängen gebeutelte Institution, die "nicht nur Wissen, sondern auch Vernunft, Bescheidenheit und den Mut zum eigenen Denken" vermitteln sollte. Das war zweifelsohne einer der Höhepunkte in der dritten Karriere von Gottfried Schatz.

Die erste führte den 1936 geborenen Burgenländer nach der Matura am Akademischen Gymnasium Graz an die Universität der steirischen Landeshauptstadt, wo er Chemie und Biochemie studierte und mit Auszeichnung 1961 promovierte. Der weitere Weg führte ihn an die Universität Wien, wo er in der Gruppe des Chemikers und späteren Wissenschaftsministers Hans Tuppy (Jahrgang 1924) arbeitete.

Entdeckung in jungen Jahren

Hier erreichte er gemeinsam mit Tuppy und Ellen Halsbrunner, wie er es zuletzt bezeichnete, das "höchste Ziel des Wissenschaftlers": Er war an einer Entdeckung beteiligt, die weitere Fragen aufwarf, wie das die besten wissenschaftlichen Arbeiten eben machen: Die drei Forscher wiesen die mitochondriale DNA mittels biochemischer Messungen nach: Das ist die bei Mehrzellern kreisförmige, doppelsträngige DNA in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen.

Später ging es für sechs Jahre an die Cornell University, gegen Ende des Aufenthalts auch als Professor. In den USA dürfte Schatz erstmals eine Willkommenskultur für Wissenschaft und Forschung erlebt haben, die er bis zuletzt in Österreich vermisste. Im Jahr 1974 schließlich folgte eine Professur am Institut für Biochemie am Biocenter der Universität Basel. Ein Wendepunkt in seinem Leben: Denn von da an bis zu seinem Tod am vergangenen Donnerstag war er mit der Schweiz eng verbunden. Er war schließlich sogar Leiter des Zentrums. Wissenschaftlich beschäftigt er sich, weil ihm eben die Fragen nicht ausgingen, unter anderem mit Mitochondrien – und entdeckte ein Transportsystem, das Proteine in diese Zellkraftwerke einschleusst.

Hohes Amt als Ratspräsident

Daneben begann ohne viel Aufsehen und in aller Bescheidenheit seine zweite Karriere: Schatz machte sich auch als Wissenschaftsmanager einen Namen und wurde 1985 für vier Jahre Generalsekretär der EMBO, der angesehenen europäischen Wissenschaftsorganisation im Bereich Molekularbiologie mit Sitz in Heidelberg.

Es wird niemanden wundern, dass ein derartig umtriebiger Geist am Ende seiner Universitätslaufbahn nicht aufhören kann, an die Wissenschaft zu denken – deshalb wurde er im Alter von 64 Jahren auch noch für vier Jahre Präsident des "Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierates", eines Pendants zum österreichischen Forschungsrat. In dieser Zeit als Forschungspolitiker lernte er das ihm schon bekannte Fördersystem der Schweiz bis ins Detail kennen. Er wusste also, was er sagte, wenn er es stets auch hierzulande als vorbildlich bezeichnete: Viel Geld für die wettbewerbsorientierte Grundlagenforschung, weniger Geld für die Anwendungsforschung. In Österreich pflegt man den umgekehrten Ansatz. Bei der Eröffnung der 650-Jahre-Feier der Uni Wien meinte er noch: "Wer aus Ungeduld nur auf kurzfristige angewandte Forschung setzt, wird bald nichts mehr haben, was er anwenden kann."

Ein kritischer Geist

Schatz wurde vielfach als mahnende Stimme bezeichnet, als "elder statesman", der sich kein Blatt vor dem Mund nimmt. Das wurde in seiner dritten Karriere, als Essayist, Buchautor und Redner besonders deutlich. Er liebte das schon immer: kritische Gedanken in schöne Worte fassen und schreiben. "Ich glaube, das kann ich ganz gut", sagte er recht bescheiden im vergangenen Frühjahr. Und weil es von derlei kritischen Geistern in der Wissenschaftsszene nicht gerade wimmelt, wurden seine Vorträge gut besucht und seine Essays gern gelesen. Schatz schrieb auch eine Autobiografie und zuletzt sogar einen Roman. "Postdoc", erst heuer im Verlag Styria erschienen, erzählt von der Odyssee eines österreichisch-ungarischen Nachwuchswissenschafters. Bei einem seiner letzten öffentliche Auftritte im vergangenen Juni am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien las er daraus – für viele Kenner von Schatz auch eine Art biografisches Vermächtnis.

Schatz litt schon sein einiger Zeit an Krebs. Am vergangenen Donnerstag starb der renommierte Forscher, der einmal sagte, zum Tod einen naturwissenschaftlichen Zugang zu haben, in der Schweiz.

"Ein guter Naturwissenschafter würde nie behaupten, die Wahrheit gefunden zu haben", sagte Schatz in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen im Jahr 2011. "Wir sind Wahrheitssucher, nicht Wahrheitsbesitzer". Angesichts dieses Credos erscheinen die drei Karrieren des Wissenschafters, wenn man so will, drei Zugängen zur Wahrheitssuche, nicht verwunderlich. (Peter Illetschko, 3.10.2015)