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Flüchtlinge in Gevgelija an der griechisch-mazedonischen Grenze: ein Etappenziel entlang der Balkanroute von Griechenland nach Zentraleuropa.

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"Asyl nur, wenn man fast ertrunken ist": Thaer Al-Nashef.

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Früher, da wurde er fürs Zuhören bezahlt, fürs Fragen und fürs Mitschreiben. Heute spricht Thaer Al-Nashef selbst. Und wie. Es rattert aus ihm raus, und seine Hände wirbeln dazu, als wollten sie die Worte aus der mokkaduftschwangeren Luft des Salzburger Traditionscafés verscheuchen. Zu viel hat der Journalist und Aktivist in den 33 Jahren seines alten Lebens erlebt. Alles muss heraus, denn nun beginnt ein neues.

In der Flüchtlingsunterkunft am Rande Salzburgs, wo ihn das Zufallssystem der Asylländerquote vor zwei Monaten ausgespuckt hat, ist er einer von vielen. Noch einer dieser Neuankömmlinge, ausgespuckt am Ende der Balkanroute. Als wäre auch er vor den Fassbomben Assads und den herannahenden Truppen der Islamisten geflüchtet. Doch Al-Nashefs Geschichte ist eine andere. Seine Flucht begann, als noch niemand erahnte, in welche Tragödie Syrien später schlittern würde.

Sich beugen oder ins Gefängnis

Vor knapp zehn Jahren war der damals 23-jährige Absolvent eines Medienwissenschafts- und Altertumswissenschaftsstudiums ein angestellter Redakteur der staatlichen Nachrichtenagentur Sana. Es gibt Jobs, die sich leichter vereinbaren lassen mit einem unstillbaren Bedürfnis, scharfe Kritik am System des Präsidenten Bashar Al-Assad zu üben. Den aufgestauten Ärger über das korrupte Staatswesen lebte er zu Hause an seinem Schreibtisch aus. Die Einblicke, die er beruflich in die Verflechtungen des Geheimdienstes gewann, ließ er in regimekritische Texte einfließen.

Der Druck wuchs. "Eines Tages war klar: entweder regimekonform berichten – oder ab ins Gefängnis", erzählt Al-Nashef dem STANDARD. Als auch seine Mutter und die elf Geschwister bedroht wurden, stieg er gemeinsam mit mehreren anderen regimekritischen Journalisten in ein Flugzeug nach Kairo. Das war im November 2007. Seither ist Al-Nashef auf der Flucht.

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Übersehenes Thema

Viel wird über den Krieg in Syrien berichtet. Dabei wird leicht übersehen, dass es immer weniger Menschen gibt, die darüber berichten können. 177 Journalisten wurden laut der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) seit Beginn des Krieges umgebracht, dutzende seien willkürlich eingesperrt worden. Im internationalen Pressefreiheitsranking nimmt Syrien Platz 177 ein – von 180 Ländern.

Die rund 300 syrischen Journalisten, die ins benachbarte Ausland geflohen sind, sind laut RoG auch dort vor Verfolgung nicht sicher. Auch Thaer Al-Nashef bekam das zu spüren. Kairo war kein schützender Hafen. Dass er mit einer Ägypterin verheiratet ist, bewahrte ihn zwar vor der drohenden Auslieferung ans Regime in Damaskus, vor nächtlichen Droh-SMS oder vor laufenden anonymen Anrufen verschonte es ihn jedoch nicht. Jedes Mal, wenn einer seiner Berichte im syrischen Oppositionsfernsehen lief, bekam eines seiner elf Geschwister Besuch. Wo der Bruder sei. Ob der Bruder wisse, dass sein Leben in Gefahr sei.

Nur für zwei, drei Wochen in Kairo bleiben, schnell weiter nach Europa reisen – das war sein Plan. Aus ein paar Wochen wurden sieben Jahre. Immer wieder besuchte er EU-Botschaften, UNHCR-Geschäftsstellen – erfolglos. "Ich dachte: Offenbar bekommt man in der EU nur dann Asyl, wenn man übers Meer gekommen und fast ertrunken ist", erzählt Al Nashef. Ein Verdacht, der sich später zur Gewissheit verdichten sollte.

"Diesmal blieb deine Frau heil"

Im November 2011 wächst der internationale Druck auf Assad. Die Vereinten Nationen werfen ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, Großbritanniens Regierung verurteilt die Gewalt gegen Zivilisten, Frankreichs Außenminister Alain Juppé meint sogar, Assads Tage seien gezählt. Der Präsident wehrt sich – und verstärkt den Druck auf die kritische Presse. Am 25. November wird Al-Nashefs Frau Mona Al-Gharib in Kairo entführt. Tags darauf wird sie verletzt auf der Straße ausgesetzt. "Diesmal ist deine Frau heil zurückgekommen, das nächste Mal wird etwas passieren, was dir nicht gefallen wird, lass die Geschichte sein", sagt eine anonyme Textnachricht auf Al-Nashefs Smartphone.

Die "Geschichte" war das rätselhafte Verschwinden eines hochrangigen syrischen Deserteurs aus einem Flüchtlingslager in der Türkei – Al-Nashef hatte darüber berichtet. Als Korrespondent versorgte er Redaktionen in London, Kuwait und Beirut mit Analysen über den Nahen Osten. Es waren keine unparteiischen Analysen: Al-Nashef blieb auch im Ausland Anti-Assad-Aktivist. Als die Freie Syrische Armee im Juli 2012 nach Damaskus vorrückte, reiste er für wenige Stunden in die syrische Hauptstadt – und posierte in FSA-Uniform für die Kameras. Ein Akt der Solidarität, wie er heute sagt: "Gekämpft habe ich nie." Ofir Winter, Nahostanalytiker am Institute for National Security Studies INSS in Tel Aviv, bestätigt dies: "Es war ein Akt der Unterstützung für moderate syrische Kräfte."

Politik beim Frühstück

Auch heute, in jenem Flüchtlingsheim am Rande Salzburgs, in dem die Saat seines neuen Lebens nach dem Zufallsprinzip der Asylländerquote ausgestreut wurde, betreibt er seinen kleinen Aktivismus am Frühstückstisch. Er diskutiert mit den anderen Syrern, nicht alle sind Assad-Gegner wie er. Die Gespräche lässt er in sein sechstes Buch einfließen, den Roman "Reisepass", der nächstes Jahr auf Arabisch und 2017 auf Englisch erscheinen soll und seiner langen Flucht gewidmet ist.

Frau Mona und die beiden Kinder sind immer noch in Kairo. Als ägyptische Polizisten Al-Nashef drohten, ihm seinen syrischen Pass zu entziehen, floh er in die Türkei. In der Küstenstadt Izmir fing sein Leben an, sich in die Erzählung der vielen anderen syrischen Flüchtlinge einzufügen: Die Reise über die Balkanroute begann. Tage des Fußmarsches, Stunden des Zusammengepferchtseins "wie Hühner" in einem kaum belüfteten Kleinlaster. Reisegefährten, die bei der nächtlichen Fahrt im Schlauchboot am Ägäischen Meer plötzlich syrische Volkslieder anstimmen, um die Angst vorm Ertrinken zu vergessen. Die Motorpanne vier Kilometer vor Griechenland – und die Erleichterung, als einer der Flüchtlinge den Antrieb wieder in Gang setzt. Die Ohnmacht, die sich breitmacht, wenn es am Bahnschalter in Griechenland heißt: Sorry, keine Tickets für Flüchtlinge. All diese Gefühle bringt Al-Nashef während seiner Flucht zu Papier. Sie erscheinen als Serie in der israelischen Zeitung "Haaretz".

An der serbisch-ungarischen Grenze reißt die Serie plötzlich ab, eine Fortsetzung bleibt aus. Al-Nashef ist inzwischen angekommen: in Österreich, wo schon sein Bruder lebt.

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Kein religiöser Druck

Als "offenen, engagierten Typen" beschreibt ihn Diakonie-Heimbetreuer Johannes Altmüller. Als "gemütlich, nicht so verkrampft" beschreibt Al-Nashef jene Österreicher, die er in den zwei Monaten seit seiner Ankunft kennengelernt hat. "Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind hier besser. Und der religiöse Druck ist nicht so groß."

Ihm sei Sicherheit wichtiger als Religion, sagt Al-Nashef, der jüdische Wurzeln hat, sich aber nicht als praktizierend bezeichnet. "Ich wünsche mir, dass sich die Menschen hier in die Leute hineinversetzen, die vor Krieg und Todesdrohungen fliehen müssen."

Dass hier lebende Juden Angst haben, dass mit den Flüchtlingen auch der Antisemitismus zunehmen könnte, verstehe er, sagt Al-Nashef:. "Es stimmt, dass viele Syrer das Judentum mit israelischer Politik gleichsetzen und den Juden die Schuld für vieles geben", sagt er. "Es gibt aber auch viele, die Judentum und Christentum als Schwesterreligionen des Islam ansehen."

Europa stehe an einem Scheidepunkt, glaubt Al-Nashef: Es komme jetzt darauf an, dass "die Regierungen den Rechten zeigen, dass sie falsch liegen: Die EU muss beweisen, dass sie eine offene Gesellschaft bleibt." (Maria Sterkl, 4.10.2015)