Als Google im September 2008 die erste Version von Android veröffentlichtet, wagte man von dem Aufstieg, den das Betriebssystem in den Folgejahren hinlegen sollte, noch nicht einmal zu träumen. Sieben Jahre später ist Android nicht nur die weltweit dominierende Smartphone-Plattform, auch die Software selbst wurde über die Jahre massiv umgestaltet. Mit Android 6.0 "Marshmallow" gibt es seit kurzem wieder eine neue Generation des Betriebssystems – und DER STANDARD hat diese natürlich gleich ausführlich unter die Lupe genommen.

Marshmallows Stärken

Gleich vorneweg: Wer ähnlich viele sofort sichtbare Änderungen wie beim Vorgänger "Lollipop" erwartet, wird von "Marshmallow" enttäuscht sein. Das hat allerdings durchaus gute Gründe: Einerseits war Android 5.0 von einem grundlegenden Redesign gekennzeichnet, durch das sich einiges an Optik und Interaktion geändert hat. Diesen Schritt wiederholt der Nachfolger natürlich nicht. Vor allem aber hat Google mittlerweile fast alle seine Apps in den Play Store ausgelagert, die Nutzer bekommen hier also laufend neue Features, ohne auf große Systemupdates warten zu müssen. Das bedeutet umgekehrt aber eben auch, dass die eigentlichen Android-Versionssprünge weniger sichtbare Änderungen aufweisen als bei anderen Betriebssystemen. All das heißt allerdings nicht, dass Android 6.0 ein unbedeutendes Update wäre – ganz im Gegenteil bringt es eine der wichtigsten Änderungen der letzten Jahre. Aber alles der Reihe nach.

Now on Tap

Es war im Vorfeld bereits als neues "Killerfeature" für Android bezeichnet worden: Mit Google Now on Tap will der Softwarehersteller sein Wissen quer durch das gesamte Betriebssystem zur Verfügung stellen. Mit einem Langdruck auf den Home-Button können die Nutzer den Inhalt des Bildschirms von Googles Wissensmaschine analysieren lassen. Anschließend werden zu zentralen Begriffen und Personen passende Infos dargereicht.

Rund um Google Now hat sich einiges getan: Zunächst wurde das Design der Now-Karten neu gestaltet (links), der Launcher wurde ebenfalls überarbeitet, und dann gibt es mit "Now on Tap" (rechts) noch ein vollständig neues Feature.
Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

Ungenütztes Potenzial

Ein wirklich nützliches Feature, und doch stellt sich im Test schnell eine gewisse Enttäuschung ob der aktuellen Implementierung ein. Werden doch in den meisten Fällen "nur" Karten mit weiterführenden Links geliefert. Zwar ist auch das als Ausgangspunkt für eine Recherche durchaus hilfreich, trotzdem bleibt unklar, warum man hier nicht gleich direkt die wichtigsten Infos in Karten zusammenfasst. Bleibt zu hoffen, dass dies mit einer späteren Version nachgereicht wird, derzeit will sich die "Magie" jedenfalls noch nicht so recht einstellen. Einzig die Möglichkeit, automatisch Reminder oder Kalender-Einträge aus passenden Inhalten zu erstellen, weist bereits über das derzeit Gebotene hinaus.

Grundlage

Dass dieses Feature exklusiv für Android 6.0 zur Verfügung steht, liegt daran, dass Google mit dem Blick auf Privacy-Bedenken eine eigene Programmierschnittstelle etabliert hat. Das Assist API stellt also die Basis von Google Now on Tap dar und sorgt dafür, dass App-Entwicklern die volle Kontrolle darüber bleibt, ob Now on Tap mit ihrem Programm zusammenarbeitet oder nicht. So können dann einzelne Apps – etwa ein verschlüsselter Messenger – das Feature komplett blockieren. Zudem hat das Assist API noch einen weiteren Vorteil: Auch andere Anbieter können es für ihre eigenen Konkurrenten zu Google Now on Tap nutzen. Gut zu sehen, dass Google hier weiter auf Wahlfreiheit setzt.

Google Now on Tap im Einsatz auf einem Nexus 9.
Foto: Andreas Proschofsky / STANDARD

Kontextabhängige Suche

Ein verwandtes Feature von Android 6.0 ist die kontextabhängige Suche: Google-Sprachanfragen können nun direkt aus einer beliebigen App initiiert werden und ziehen dabei den aktuellen Inhalt einer App in Betracht. Das läuft dann in der Praxis etwa so ab: Wer sich einen Clip zu "King Kong" ansieht, kann einfach fragen: "Wann wurde der erste Film veröffentlicht?", und es gibt als Antwort das Jahr 1933, in dem der erste King-Kong-Film erschienen ist.

Nur auf Englisch

So gut das alles auch funktionieren mag, gibt es doch eine erhebliche Einschränkung: Sowohl Google Now on Tap als auch die kontextabhängige Suche funktionieren derzeit nur mit englischsprachigen Einstellungen. Deutschsprachige User müssen sich also bis zu einem späteren Update der Google-App gedulden.

Die kontextabhängige Suche.
Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

Launcher

Googles eigener Launcher wurde ebenfalls an zentraler Stelle überarbeitet. So ist die App-Übersicht nun wieder als vertikal scrollende Liste ausgeführt, die Aufteilung in mehrere Seiten gehört also der Vergangenheit an. Zudem werden die am häufigsten genutzten Apps in einer eigenen Zeile präsentiert, so die Nutzer dieses Feature nicht deaktivieren. Jene, die besonders viele Apps installiert haben, dürfen sich über eine integrierte Suchfunktion freuen. Dazu passt, dass bei einem Touch auf den Scrollbar im App-Launcher jetzt ein Buchstabe dargestellt wird, um schneller zur richtigen Position zu gelangen. An dieser Stelle darf kurz beklagt werden, dass die Nutzung von Scrollbars in Android aktuell allgemein extrem inkonsistent ist. Während sich andere Bereiche des User Interfaces mittlerweile recht einheitlich präsentieren, herrscht hier noch ein ziemlicher Wildwuchs.

Aber zurück zum Google Now Launcher: Apps können nun direkt vom Home-Screen deinstalliert werden, die Widget-Ansicht wurde ebenfalls neu gestaltet. Auf Tablets präsentiert sich das Layout des Launchers deutlich kompakter, so kommen am Nexus 9 jetzt sieben statt wie bisher fünf Apps in einer Reihe unter.

Google Now

Die Darstellung der Google-Now-Karten wurde praktisch vollständig neu gestaltet und priorisiert nun die wichtigsten Informationen besser, während Artikel-Empfehlungen am Ende landen. Das Layout ist dabei allerdings ziemlich großzügig ausgefallen, gerade ganz oben entsteht hier ziemlich viel Weißraum. Das muss nicht allen gefallen. Nett ist hingegen, dass bei der Sprachsuche nun einige Kommandos auch ohne Netzverbindung funktionieren, etwa das Starten der Musikwiedergabe oder das Aktivieren von WLAN und Flashlight.

Die Kamera

Google und seine Kamera-App – das ist eine für die Nutzer nicht immer befriedigende Beziehung. Mit Android 6.0 reicht man zumindest einige bisher schmerzlich vermisste Features nach. So gibt es nun endlich einen Burst-Modus, mit dem mehrere Aufnahmen in Folge getätigt werden. Google nutzt dies einerseits, um daraus animierte GIFs zu erstellen, aber auch, um unter dem Begriff "Smart Burst" automatisch das beste Bild aus einer Serie auszuwählen.

Äußerlich unterscheidet sich Marshmallow erst auf den zweiten Blick von seinem Vorgänger Lollipop.
Foto: Andreas Proschofsky / STANDARD

Zu den weiteren Neuerungen gehören eine Slow-Motion-Funktion sowie ein automatischer HDR+-Modus, bei dem die Kamera selbst entscheidet, ob ein Foto mit HDR oder ohne aufgenommen werden soll. Alles Dinge, die es bei anderen Herstellern schon länger gibt. Als wirklich nützlich könnte sich hingegen ein anderer Neuzugang erweisen: die "Dirty Lens Detection", über die die Google Camera davor warnt, wenn die Linse verschmutzt ist – immerhin einer der häufigsten Gründe für verschwommene Aufnahmen. Möglich macht all dies übrigens der Wechsel auf das Camera API 2 von Android, der bereits seit längerem angekündigt war und nun endlich vollzogen wird. Dieses erlaubt eine deutlich bessere Performance und die Änderung vieler einzelner Parameter. Den Nutzern macht Google diese Feinkontrollen leider aber weiterhin nicht zugänglich.

Exklusiv

All diese erwähnten Verbesserungen scheinen derzeit allerdings den neuen Geräten Nexus 6P und 5X vorbehalten zu sein. Bei bestehenden Nexus-Geräten ist nämlich auch nach dem Systemupdate weiterhin die alte Kamerasoftware zu finden. Es ist allerdings davon auszugehen, dass hier ein Update über den Play Store folgen wird.

Copy & Paste

Mit Android 6.0 arbeitet Google die Copy-&-Paste-Funktion um, und eines wird dabei schnell klar: Der neue Ansatz ist ein echter Gewinn. Anstatt oben im Toolbar werden die zugehörigen Kontrollen nun direkt über der jeweiligen Textpassage angezeigt. Zudem können Dritt-Apps jetzt dieses Menü um eigene Einträge erweitern. Googles Translate-App nutzt das etwa, um die Übersetzung von Textpassagen quasi systemweit anzubieten. Auch der Ablauf der Textauswahl wurde verändert: Nach rechts erfolgt diese nun automatisch von Wort zu Wort, während nach links – also zurück – buchstabenweise vorgegangen wird. Das beschleunigt in den meisten Fällen die Auswahl deutlich und erlaubt doch die notwendige Präzision, wenn sie einmal benötigt wird.

Die verbesserten Lautstärkeeinstellungen und der neue Copy-&-Paste-Ansatz gehören zu den netten Detailverbesserungen in Marshmallow. Rechts im Bild ein in den Entwicklereinstellungen versteckter, aber nicht minder aufschlussreicher Dialog: Dieser klärt darüber auf, welche Apps Android als "inaktiv" erklärt und deswegen ihren Netzwerkzugang bis zum nächsten Start beschränkt.
Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

Eine Frage der Lautstärke

Einer der am häufigsten geäußerten Kritikpunkte an Android 5.x war fraglos die Veränderung der Lautstärke-Einstellungen und dabei im Speziellen das Fehlen eines schnell zu erreichenden Stumm-Modus (ohne Vibrieren). In Android 6 kehrt dieser zurück, unterhalb von Vibrieren wird beim Leiserstellen nun automatisch auf den Priority-Modus gewechselt. Apropos Priority-Modus: An diesem gab es ebenfalls einige Verbesserungen, so kann jetzt festgelegt werden, dass ein Anrufer, der innerhalb von 15 Minuten mehrfach anruft, automatisch durchgelassen wird. Für Notfälle könnte sich das als sehr nützlich erweisen. Außerdem ist es mit Marshmallow möglich, "Do not Disturb" für die Dauer gewisser Kalender-Events automatisch zu aktivieren. Zudem wird beim Verändern der Lautstärke nun rechts ein neuer Knopf dargestellt, über den auch die anderen Systemlautstärken – beispielsweise für Musik und Alarme – eingeblendet und dann rasch verändert werden können. Der bisher notwendige Umweg über die Systemeinstellungen entfällt damit.

Berechtigungen

Es folgt jene Änderung, die zweifellos die wichtigste der neuen Version ist: Mit Android 6.0 führt Google ein neues Berechtigungssystem ein. Angesichts dessen Bedeutung haben wir diesem Thema bereits vor einigen Tagen einen eigenen Artikel gewidmet, der in aller Ausführlichkeit auf sämtliche Details eingeht. Insofern seien alle, die mehr zu diesem Bereich wissen wollen, darauf verwiesen, während im Folgenden nur die wichtigsten Eckpunkte abgehandelt werden.

Anfrage notwendig

Die Zeit der fixen Vergabe eines meist sehr unübersichtlichen Sets an Berechtigungen bei der Installation ist mit "Marshmallow" vorbei. Stattdessen müssen sich Apps künftig für den Zugriff auf sensible Informationen – etwa Adressbuch oder Standort – explizit die Erlaubnis der Nutzer einholen. Das passiert bei den für eine App zentralen Berechtigungen beim ersten Start, für optionale Funktionen hingegen erst, wenn das Feature auch tatsächlich benötigt wird. Zudem können die User nun jeder App über die Einstellungen nachträglich bereits erteilte Berechtigung wieder entziehen. Für die Transparenz ein großer Fortschritt, und zudem einer, der positive Auswirkungen auf das gesamte App-Ökosystem haben könnte, da die Entwickler gezwungen werden, genauer zu überlegen, welche Rechte sie eigentlich brauchen. Immerhin besteht die Gefahr, mit zu vielen Anfragen die User zu verärgern – und sie so zu verlieren.

Vor dem Zugriff auf sensible Informationen muss sich nun jede App explizit die notwendige Berechtigung holen.
Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

Stromsparen

Der größte Akku eines Smartphones nutzt wenig, wenn das darauf befindliche Betriebssystem verschwenderisch damit umgeht. Dass Android in dieser Hinsicht noch einiges Optimierungspotential bietet, ist natürlich auch Google klar, also hat man sich – wieder einmal – an die Arbeit gemacht. Das Ergebnis: Marshmallow verspricht spürbare Verbesserungen in dieser Hinsicht.

Doze

Konkret hat Google zwei zentrale Änderungen vorgenommen: Da wäre einmal Doze, ein Feature mit dem die Aufwachzyklen des Geräts bei Nichtnutzung immer länger werden. Ein entscheidender Punkt ist dabei, dass Google die Apps auf diese Zyklen zwingt. Anstatt dass jede App – wie bisher – ihre Synchronisierungs- und Benachrichtigungsaufgaben nach eigenem Gusto vornimmt, werden solche Tasks gesammelt und dann in einem Schub durchgeführt. Davon ausgenommen sind all jene Informationen, die die App-Entwickler als "High Priority" kennzeichnen – immerhin sollen wirklich dringende Benachrichtigungen auch weiterhin umgehend zugestellt werden. In Summe führt Doze also dazu, dass das Smartphone oder Tablet deutlich weniger Strom verbraucht, wenn es für eine gewisse Zeit untätig herumliegt.

Standby

Von der zweiten Änderung profitieren vor allem jene Nutzer, die besonders viele Apps installiert haben. Android 6.0 schränkt bei nicht benutzten Apps den Netzwerkzugriff immer weiter ein, um ihn dann nach ein paar Tagen Inaktivität gänzlich zu kappen. Wenn die App dann wieder gestartet wird, erhält sie natürlich wieder vollen Zugriff, und der Timer beginnt von vorne zu laufen.

Stromsparen ist ein Schwerpunkt in Android 6.0 – der Früchte trägt.
Grafik: Google

Auswirkungen

Wie sehr sich diese Änderungen auf die Akkulaufzeit des eigenen Geräts auswirken, hängt wie immer stark vom Nutzungsverhalten ab. Im Test zeigt sich aber, dass etwa ein Nexus 6 bei mittlerer Nutzung am Abend rund 20 Prozent mehr Akku übrig hatte als noch unter Android 5.1.1. Und Googles Behauptung, dass die Standby-Zeit eines Nexus-9-Tablets durch Doze verdoppelt wird, dürfte sogar eher noch vorsichtig geschätzt sein. Ein nettes Extra ist zudem, dass die Akkustatistiken nun angeben, wie viele mAh eine App seit dem letzten Ladevorgang verbraucht hat.

Einstellungen

In den Systemeinstellung hat sich ebenfalls einiges getan: So gibt es nun einen eigenen Speichermanager, der anzeigt, wie viel RAM einzelne Apps in letzter Zeit verbraucht haben. Dabei wird sowohl ein Mittelwert als auch die maximale Nutzung dargestellt, problematische Apps lassen sich also schnell aufspüren. Ein nettes Detail: Bei komplexeren Apps, etwa den Google Play Services, wird angezeigt, welche Komponente wie viel RAM benötigt.

Der neue Memory Manager liefert jede Menge Details zum Speicherverbrauch einzelner Apps.
Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

Die bisher als eigener Eintrag im Launcher zu findenden Google-Einstellungen sind nun als Unterpunkt in die Systemeinstellungen gewandert. Der Storage Manager bietet – wie schon bisher – den Zugriff auf einen einfachen File Manager. Mit der neuen Version ist dieser nun aber tatsächlich nützlich, da hier nun auf das gesamte /sdcard-Verzeichnis zugegriffen werden kann und nicht nur auf den Download-Folder. Eine deutliche Überarbeitung hat der App-Info-Dialog erfahren, der jetzt einen zentralen Zugang zu Speicherplatz-, Akku-, Daten- und RAM-Verbrauch bietet. Auch die erteilten Berechtigungen und die Benachrichtigungseinstellungen einer App können an dieser Stelle verändert werden.

Tuning

Und dann gibt es noch ein verstecktes Bonus-Feature in den Systemeinstellungen von Android 6.0: Wer bei den Schnelleinstellungen lange auf das Zahnrad rechts oben – also den Shortcut, mit dem man sonst zu den vollständigen Einstellungen gelangt – drückt, aktiviert damit den System UI Tuner. In diesem lassen sich dann die Einträge in den Schnelleinstellungen verändern, zudem können einzelnen Einträge aus der Statuszeile ausgeblendet werden. Und was viele freuen wird: Bei der Akkudarstellung kann eine eingebettete Prozentanzeige hinzugefügt werden. Für alle, die öfters Screencasts oder Screenshots aufnehmen, erweist sich der Demo Mode als sehr nützlich. Ist dieser aktiviert, wird eine generische Statuszeile eingeblendet, bei der nur Uhrzeit, WLAN und Netzwerk-Icons zu sehen sind. Und auch diese Angaben sind falsch, so ist die Uhrzeit immer eine Anspielung auf die gerade genutzte Betriebssystemversion – aktuell steht sie also beispielsweise fix bei 6:00.

Der System UI Tuner ermöglicht einige nette Detaileinstellungen.
Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

Direct Share

Eine Erweiterung erfährt das Sharing-System von Android. Mit Direct Share werden ist es nun möglich Inhalte direkt mit einer Person oder Gruppe in einer spezifischen App zu sharen. Also etwa ein Foto ohne weitere Umwege an einen Freund per Hangout zu schicken. Die meistgenutzten Kontakt/App-Kombinationen werden dann ganz oben im Sharing-Dialog präsentiert. Derzeit machen noch recht wenige Apps von dieser Möglichkeit Gebrauch, Googles eigenes SMS/MMS-Tool Messenger ist eine davon.

Vermischtes

Es folgen einige der kleineren Änderungen von Android 6.0 im Schnelldurchlauf: An so mancher Stelle wurde wieder optischer Feinschliff vorgenommen, dazu gehört eine – wirklich hübsch gemachte – neue Boot-Animation. Auch die Fensteranimationen wurden überarbeitet, sodass ein Fenster nun immer vom Touch-Punkt weg vergrößert wird. Der Schnellzugriff auf den Dialer am Lockscreen wurde entfernt, stattdessen gibt es nun ein Icon für die Sprachsuche. Mag komisch klingen, ist aber die logischere Wahl. Immerhin ist der Dialer ohnehin erst einsatzbereit, wenn das Gerät entsperrt ist, während einfache Sprachanfragen auch so funktionieren.

Mit Direct Share kann nun mit einem Klick direkt an eine Person über einen bestimmten Kommunikationsweg geteilt werden.
Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

Die Benachrichtigung, die über die Aufnahme eines Screenshots informiert, enthält jetzt einen Delete-Knopf, um misslungene Erzeugnisse gleich wieder löschen zu können. Bei Bluetooth-Tastaturen werden nun Keyboard-Shortcuts unterstützt, und das Zusammenführen von Kontakten in der zugehörigen App wurde verbessert. Es gibt systemweite Unterstützung für einen Bluetooth Stylus sowie MIDI-Support. Im Dialer wurde die Anzeige der letzten Anrufe überarbeitet, sie nutzt nun ein kompakteres Layout als bisher. Die mit "Lollipop" neu hinzugekommenen Heads-up-Notifications, die von oben kurz in den Bildschirm eingeblendet werden, können jetzt pro App einzeln deaktiviert werden. Und beim Setup eines neuen Geräts wurde die Integration der Zwei-Faktor-Authentfizierung per SMS weiter verbessert.

Einfaches Setup

Doch das Setup beherbergt noch eine zweite, wirklich hilfreiche Verbesserung: Es ist jetzt möglich, bei einem Tablet oder auch Android-TV-Gerät einfach die Einstellungen von einem Smartphone per WLAN zu übertragen. Dabei reicht es, während des Einrichtungsprozesses eines entsprechenden Geräts am Smartphone "OK Google, set up my device" zu sagen. Im Fall von Android-TV werden dabei sogar die WLAN-Passwörter automatisch übertragen. Ein wirklich nützliches Feature, keine Frage.

Das Übernehmen der Einstellungen von anderen Geräten wird mit Marshmallow einfacher.
Grafik: Google

In die Tiefe

Zu all dem kommen eine Reihe von wichtigen Änderungen an der Android-Basis. Mit "Marshmallow" erstellt Android automatisch ein Backup sämtlicher App-Einstellungen im Google Drive, nur Cache und temporäre Dateien sind ausgenommen. Eine solche Backup-Funktion gab es zwar schon bisher, aber nur wenn Apps diese explizit angefordert haben. Jetzt wird das Sichern der Daten hingegen zum Normalfall. Für die Nutzer bedeutet dies, dass künftig das Einrichten eines neuen Geräts erheblich schneller vonstatten gehen sollte, da es nicht mehr nötig ist, alle Apps wieder neu einzurichten.

Privacy?

Freilich nähren solche Funktionen immer auch Privatsphärenbedenken, insofern kann die Backup-Funktion weiterhin zentral deaktiviert werden beziehungsweise wird schon beim Einrichten des Geräts die Zustimmung der Nutzer hierfür abgefragt. Zudem können App-Entwickler Teile ihres Programms – oder auch die gesamte – App von diesem Feature ausnehmen. Jeder App stehen für ihre Daten 25 MB zur Verfügung, die auch nicht gegen das übliche Datenvolumen eines Google-Drive-Accounts gerechnet werden.

Google <3 Micro-SD (fast)

Jahrelang hatte es den Anschein gemacht, als ob Google wirklich alles versuchen würde, um die Nutzer von Micro-SD-Karten fernzuhalten. Mit der letzten Release hat man hier eine Kehrtwende vorgenommen, die man nun konsequent fortsetzt. Ab Android 6.0 kann eine SD-Karte – optional – zum Teil des internen Speichers erklärt werden, der Übergang ist hier nahtlos. Zu diesem Zweck wird die Karte neu formatiert und im Fall des Falles auch verschlüsselt. Dies ist vor allem für jene interessant, die auf diesem Weg billig den internen Speicher erweitern wollen, ohne die Karte laufend entnehmen und zum Datenaustausch verwenden zu wollen. Immerhin kann eine solcherart vorbereitete Micro-SD-Karte dann nicht mehr einfach so aus dem Smartphone genommen und mit einem anderen Gerät ausgelesen werden. Diese Möglichkeit beschränkt sich zudem nicht auf Micro-SD, auch externer USB-Storage kann als interner Speicher eingerichtet werden.

Einige Verbesserungen gibt es für die Einbindung externer Datenträger wie Micro-SD-Karten und USB-Storage.
Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

Eingebunden

Apropos USB-Storage: Dieser wird mit der neuen Version nicht nur automatisch erkannt, es kann auch direkt über den Dateiauswahldialog von Android auf diesen zugegriffen werden. Bisher waren für solche Aufgaben meist externe Tools notwendig. Beim Anhängen des Smartphones an einen Laptop hat sich ebenfalls etwas geändert: Der interne Datenspeicher wird nun nicht mehr automatisch gemountet, stattdessen müssen die Nutzer das noch einmal mithilfe einer Benachrichtigung am Smartphone oder Tablet explizit freigeben.

App Links

Mit den App Links soll die Zahl der "Mit welcher App soll diese URL geöffnet werden?"-Anfragen reduziert werden, indem Apps die Default-Wahl für einzelne Domains für sich reklamieren können. Damit das auch wirklich nur dazu berechtigte Apps tun, muss die App in ihrer Manifest-Datei auf eine bestimmte URL auf der eigenen Domain verlinken – die dann die nötige Bestätigung enthält. Die Konsequenz daraus ist, das künftig beispielsweise Links auf twitter.com automatisch mit der offiziellen Twitter-App geöffnet werden, ohne dass die Nutzer das zunächst festlegen müssen. Aber keine Angst: Natürlich können die Nutzer hier auch künftig andere Apps zu ihrer Default-Wahl bestimmen.

Apps können nun zur Default-Wahl für gewisse URLs werden – wenn sie beweisen können, dass die Domain auch wirklich ihnen gehört.
Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

4K, aber nicht immer 4K

Das folgende Feature mag manchen schon von Sonys Xperia Z5 Premium bekannt vorkommen: Es gibt einen neuen, ziemlich speziellen 4K-Darstellungsmodus. In diesem wird das User Interface von Haus aus mit 1080p dargestellt, nur einzeln Inhalte – etwa Filme oder Fotos – werden in der vollen Auflösung präsentiert. Damit hat man vor allem den Akkuverbrauch bei solchen Systemen im Blick, der Pseudo-1080p-Modus braucht wesentlich weniger Rechenkraft als laufend ein 4K-User-Interface betreiben zu müssen.

Fingerprint

Ganz neu ist ist die Unterstützung von Fingerabdrucksensoren im offiziellen Android. Damit ist Google reichlich spät an der Reihe, haben doch zahlreiche Dritthersteller mittlerweile eigene Lösungen für diese Aufgabe entwickelt. Angesichts dessen, dass diese zum Teil haarsträubende Fehler bei der Implementation vorgenommen haben, bleibt zu hoffen, dass die Google-Lösung bald von anderen übernommen wird.

Ablauf

In der Googleschen Lösung wird der Fingerabdruck ausschließlich lokal – und zwar verschlüsselt im Android Keystore – gespeichert, also nie in die Cloud übertragen. Die Verarbeitung erfolgt in der TrustZone, einem speziellen Hochsicherheitsbereich aktueller ARM-Chips, der extra für solche Aufgaben geschaffen wurde. Dort läuft ein eigenes Minimalbetriebssystem, auf dessen Inhalte Android selbst keinerlei Zugriff hat. So zumindest die Theorie, eine Untersuchung von unabhängigen Sicherheitsforschern gibt es bisher noch nicht.

Mit Android 6.0 kommt offizieller Support für Fingerabdruckscanner. Genutzt wird dies gleich bei neuen Nexus-Geräten wie dem 5X.
Grafik: Google

Dazu passend wird übrigens auch der zuvor erwähnte Android Keystore mit der neuen Version grundlegend umgestaltet. Die neue Version erlaubt jetzt exakte Kontrolle über die Nutzung von einzelnen Schlüsseln, zudem werden nun sowohl symmetrische als auch asymmetrische Keys unterstützt. Ganz allgemein wurde auch die Passwortspeicherung unter Android weiter gestärkt. Ein neuer Systemservice namens Gatekeeper soll Brute-Force-Angriffe erheblich erschweren.

Sicherheit

Doch Android 6.0 bringt noch weitere Sicherheitsverbesserungen. Apps, die Inhalte über andere Fenster zeichnen wollen – wie es etwa Facebook bei seinen Chat Heads tut – brauchen dafür nun die Zustimmung der Nutzer. Diese Funktion war in letzter Zeit zunehmend in Kritik geraten, da Schadsoftwareentwickler dies genutzt hatten, um Usern falsche Tatsachen vorzuspiegeln. Ebenfalls neu ist, dass Apps von Haus aus nur mehr auf das eigene Verzeichnis am Datenspeicher zugreifen dürfen. Für alles darüber Hinausgehende müssen sie die Storage-Berechtigung von den Nutzern einholen.

Entwickler können in ihren Apps nun einen "Strict Mode" für Netzwerkübertragungen nutzen. Dieser sorgt dafür, dass sämtliche Daten ausschließlich verschlüsselt übertragen werden. Versucht die App nicht verschlüsselt zu kommunizieren, stürzt sie ab. Insofern ist diese Funktion natürlich vor allem für die Testphase gedacht. Der Startprozess von Android wird ebenfalls weiter abgesichert, und dies aus guten Gründen: Gerade hier hatten die Hardwarehersteller oft durch Fehler in ihren Init-Skripten schwere Sicherheitslücken in ihre Android-Varianten eingebaut. Mit dem exec-Befehl können sie nun den Skripten einfach einen fixen Sicherheitskontext und die gewünschten Berechtigungen zuordnen. Und mittels "Verified Boot" warnt Android nun beim Boot davor, wenn das Original-Systemimage in irgendeiner Weise manipuliert wurde.

Patch Level

Angesichts der monatlichen Sicherheitsupdates fragen sich so manche Nutzer, auf welchem Stand ihr Smartphone eigentlich ist. Immerhin erhöht Google nicht mit jedem Update auch die Versionsnummer. Um hier Klarheit zu schaffen, führt Android 6.0 einen Eintrag namens "Security Patch Level" in den Telefoninformationen ein. Aktuell steht dieser auf 1. Oktober 2015.

In den Systeminformationen wird nun auch eine "Android-Sicherheitspatch-Ebene" geführt.
Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

Android for Work

Dass Google den Enterprise-Bereich weiterhin nicht abgeschrieben hat, beweist man mit zahlreichen Erweiterungen für Android for Work. Dazu gehören neuen Funktionen zum Einspielen von Updates, dem "leisen" Installieren und Deinstallieren von Apps auf Firmengeräten sowie zum Nutzer-Tracking.

Performance

Weitere Verbesserung verspricht eine neuere Version der mit Lollipop eingeführten Android Runtime (ART). Diese soll sowohl schneller zu Werke gegen als auch weniger Speicher verbrauchen. Auch die Performance des Text Renderings wurde laut Google weiter gesteigert.

Nicht mitgekommen

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die fertige Version von Android 6.0 einige Features vermissen lässt, die in der ersten Preview noch enthalten waren. Sowohl das dunkle Theme für die Einstellungen als auch die geteilte Tastatur auf Tablets sind wieder verschwunden. Und der versteckte Multi-Window-Modus kann immer noch nicht ohne größere Manipulationen am System genutzt werden.

Als Easter Egg gibt es wie schon bei Lollipop einen eigenen Flappy-Bird-Klon – dieses Mal aber mit Multiplayer-Modus.

Update?

Bei alldem bleibt die Frage: "Wann wird Android 6.0 für mein eigenes Smartphone erhältlich sein?" Und wie immer gibt es darauf keine einfache Antwort. Als Erstes werden Googles aktuelle Nexus-Geräte bedient, alle anderen werden sich noch ein Zeitlang gedulden müssen – so sie denn überhaupt noch das Update erhalten.

Fazit

Android 6.0 mag nicht die ganz großen sichtbaren Änderungen bringen: Google Now on Tap ist sicher nett, in seiner derzeitigen Form aber auch nicht der große Durchbruch. Die Kamera-App ist deutlich besser geworden, hat jenseits der Nexus-Linie aber kaum Bedeutung. Die wahren Stars von "Marshmallow" sind an anderer Stelle zu suchen, nämlich "unter der Haube": Das neue Berechtigungssystem ist ein großer Schritt für Android, von dem letztendlich sowohl Nutzer als auch Entwickler profitieren werden. Die bessere Akkulaufzeit ist ein weiteres großes Plus. In Summe ist Android 6.0 ein signifikantes Update, das nicht alles anders, aber vieles besser macht. Oder, wenn man es in Android-Versionsnamen ausdrücken will: Marshmallow ist das Jelly Bean für Lollipop. (Andreas Proschofsky, 6.10.2015)